Herr Pakesch, in der Galerie Eva Presenhuber werden jetzt "Die frühen Werke" von Franz West gezeigt, einige davon stammen aus Ihrer Sammlung. Wann haben Sie West kennengelernt?
Das war so um 1977, 1978 herum. Ich habe damals in Graz eine Ausstellung zu Valie Export kuratiert, vorab war ich in der Galerie Nächst St. Stephan in Wien, um Werke der Künstlerin abzuholen. Und da stand eben diese sehr eindrucksvolle, eigenwillige Figur Franz West, der in einem Grafikraum Collagen aufhängte. Als ich dann in den 80er-Jahren selbst eine Galerie in Wien betrieb, war er ein häufiger Gast, und da hat er mir auch einige Collagen und Objekte verkauft – damals noch mehr als fliegender Händler, der er war. Mich hat sein Werk immer wahnsinnig interessiert, und auch die Künstler meiner Generation wie Herbert Brandl, Heimo Zobernig und später auch Martin Kippenberger und Albert Oehlen waren sehr fasziniert von ihm. Ab Mitte der 80er-Jahre war es mir dann möglich, ihn durch einen Vertrag und regelmäßige Zuwendungen von den Verkäufen im Wirtshaus abzuhalten. So haben wir begonnen, regulär zusammenzuarbeiten.
West war damals schon über 30 – aber von seinem späteren Weltruhm noch weit entfernt.
Ja, sicher. Er hat damals sogar noch bei seiner Mutter gewohnt, hat von der Hand in den Mund gelebt. Vielen schien sein Werk nicht konsistent genug. Auch wir mussten in der Zusammenarbeit erst eine gewisse Kontinuität aufbauen.
Wie und wann kam dann der Erfolg?
Schon früh war der Kurator Kasper König auf ihn aufmerksam geworden und hatte ihn Ende der 70er-Jahre in die Nachwuchssektion der Ausstellung "Westkunst" aufgenommen. König hat West dann auch zu den Skulptur Projekten Münster 1987 eingeladen. Noch davor hatte Harald Szeemann, der bei mir Fotos und Skulpturen von Franz West gesehen hatte, ihn zu einer großen Skulpturenausstellung ins Kunsthaus Zürich geholt. Dann kam eine Gruppenausstellung in Graz, eine erste Schau bei der Galerie Max Hetzler, Ausstellungen in der Kunsthalle Bern und der Wiener Secession. Das waren die markanten Stationen Ende der 80er-Jahre.
Sie sagten gerade, sein Werk war nicht konsistent. Er ließ sich auch keiner Schule zuordnen, keiner Richtung.
Aus heutiger Perspektive sieht man natürlich, wie konsistent und tief sein Werk ist. Aber damals wirkte er sprunghaft, bewegte sich als absoluter Einzelgänger – wobei er natürlich in einem festen Koordinatensystem verankert war. Auch wenn er es nicht immer gerne gehört hat, stellte für ihn der Wiener Aktionismus einen wichtigen Referenzpunkt dar, von dem er sich dann distanziert hat. Was die Aktionisten machten, war ihm einfach zu brutal, zu unvermittelt. West wollte etwas Subtileres. Sein wirkliches Biotop waren die 1980er-Jahre. Künstler wie Heimo Zobernig oder Herbert Brandl oder auch die südamerikanische Malerin Eugenia Rochas, später auch Martin Kippenberger oder Mike Kelley: Das waren Personen, die für ihn wichtig waren.
Worin sehen Sie heute die Relevanz seines Werks?
Das Faszinierende ist seine Fluidität. Wests Werk bewegt sich von der statischen Skulptur zur Performance. Als Bildhauer, der eigentlich ein Performer war, war für ihn die Musik sehr wichtig. Und wenn wir in seine Bilderwelt, in seine Collagen hineinschauen, sieht man darin bereits eine Antizipation der heutigen elektronischen Welt und Digitalkultur. Schon in den 70ern hat West Medienbilder verwendet, zum Beispiel Fotografien aus Illustrierten. Dabei hatte er einen sehr eigenen, selektiven Blick, was sich in dieser sehr speziellen Welt seiner Collagen niedergeschlagen hat. West hat sich enorm für Drucksachen interessiert, für Bildproduktion, für die neuesten Technologien. Der Umgang mit elektronischen Medien verbindet ihn mit Oehlen und Kippenberger, während sich die Vermischung des Skulpturalen und Performativen bei Mike Kelley wiederfindet. Sie alle haben sich auf eine ganz wunderbare Weise gegenseitig beeinflusst.
Das bekannteste Beispiel für die Vermischung des Skulpturalen mit dem Performativen sind die sogenannten "Passstücke", die West in den 70er-Jahren entwickelte und von denen Sie jetzt auch einige Exemplare in Zürich zeigen. Was macht diese Werke so besonders?
Die "Passstücke" sind Skulpturen, die man haptisch und körperlich erfahren soll. Die, wie West gesagt hat, eigentlich erst zur Kunst werden, wenn der Betrachter sie sich aneignet, anfasst, um den Körper legt wie eine Prothese. Leider müssen sie in Ausstellungsräumen auf Podesten gezeigt werden, aber eigentlich sind sie erst gültig, wenn sie sozusagen die Symbiose mit einer menschlichen Person eingehen.
Das erinnert auch an Franz-Erhard Walther, mit dessen Textilarbeiten das Publikum interagieren soll.
Das hat sicher mitgeschwungen, und das hat West sicher gekannt, wobei der stärkere Referenzpunkt Joseph Beuys war.
Anders als Beuys verfolgte West aber kein anthroposophisches Weltbild, oder?
Nein. Was ihn vieler stärker interessierte, war das Philosophische. Franz West hat sich sehr für Sprache interessiert. Der Wiener Linguist Martin Prinzhorn und der Lyriker Ferdinand Schmatz waren dabei wichtige Partner, mit Auseinandersetzungen. Ab Mitte der 80er-Jahre schlug sich dies zunehmend in seinen Skulpturen nieder, die sich dann weniger am Körperlichen orientieren als an philosophischen Fragen.
Wie das?
Die Basis dafür war eine sehr eigenwillige Lektüre von Sigmund Freud und Ludwig Wittgenstein. Später hat sich West eine Zeit lang mit den Vorsokratikern beschäftigt, und dann mit Jacques Lacan und dem französischen Strukturalismus. Das ist ein sehr weites Feld, wobei Franz eben eine eigenwillige Art der Lektüre hatte. Er hat ein Buch nicht von Anfang bis Ende gelesen, sondern sehr selektiv. Das resultierte in einem wahnsinnig großen Zitat-Repertoire. Ich war immer wieder verblüfft, wie er passend zu einer Situation oder einer Person Zitate von Freud oder Wittgenstein gefunden hat. Franz hatte immer ein Buch dabei, meist diese gelben Reclam-Hefte, die er in seine Tasche stecken konnte. Anfangs, als er noch bei seiner Mutter im Karl-Marx-Hof wohnte, las er sie während der halbstündigen Stadtbahnfahrt ins Zentrum Wiens.
Auch typisch für seine Skulpturen ist die Verwendung preisgünstiger, alltäglicher Materialien. Dass sie plump und rüde wirken, dass da nichts glatt ist. Lag darin auch ein Aufbegehren gegen Perfektion und das Elitäre?
Sicherlich. Die "Passstücke" kamen ja teilweise auch mit Anleitungen daher, zum Selbermachen. Und er hat multiples gemacht, die der Käufer erst vollenden sollte. Ihm war die Interaktion sehr wichtig, die Zugänglichkeit.
Aus was für Verhältnissen kam er?
Seine Mutter gehörte zum linksliberalen jüdischen Bürgertum Wiens, wobei er nicht jüdisch erzogen wurde. Die Mutter war sehr politisch, praktizierte als Zahnärztin bewusst im Karl-Marx-Hof, was ja ein Modell für sozialen Wohnungsbau war.
West selbst trat ja gerne als Dandy auf.
Das hat er bewusst stilisiert, auch in Abgrenzung zum rauen Wiener Aktionismus. Das Dandytum ist im Wiener Kontext sehr wichtig; auch eine Figur wie Oswald Wiener war für West von großer Bedeutung. Und ebenso der italienische Komponist Giacinto Scelsi, ein Aristokrat und eine zentrale Figur für die Neue Musik, der eine extreme Dandy-Haltung gelebt hat.
Von West stammt das schöne Dandy-Zitat: "Mein Ideal war immer, nichts zu tun und dennoch davon leben zu können." Auch seine späteren Möbelskulpturen wirken wie eine Einladung zum Müßiggang.
Dazu hat er Mitte der 90er-Jahre dann auch das sehr schöne Künstlerbuch "Otium" gemacht, das sich ganz um den Müßiggang und das kreative Nichtstun dreht. Freie Zeit zu haben, war für ihn sehr wichtig.
Franz West starb 2012. Was können wir heute, 13 Jahre nach seinem Tod, von ihm lernen?
Ganz wichtig ist der bereits angesprochene partizipative Aspekt. Das Fluide, der Bezugsreichtum vom Philosophischen bis zur Psychoanalyse, von der Musik bis zur Poesie, und auch das Kollaborative. In der Ausstellung zeigen wir Pappmaché-Skulpturen, die West von Herbert Brandl, Eugenia Rochas oder Albert Oehlen bemalen ließ. Und dann, denke ich, können wir von ihm lernen, dass Künstler sein auch eine Frage der Haltung ist. West war kein Schamane wie Joseph Beuys, aber er hat gezeigt, dass die Person, die künstlerisch agieren kann, damit der Welt etwas gibt. Das ist etwas, das für die heutige Zeit von großer Bedeutung ist.