Autorin Rabea Weihser

"An dieser neuen Schönheitsreligion ist wenig Gutes"

Die Autorin Rabea Weihser geht der Geschichte der Schönheitskultur auf den Grund. Hier spricht sie über die menschliche Lust an Verwandlung, Kunstwerke als frühe Beauty-Filter und die Frage, ob Make-up und chirurgische Eingriffe feministisch sind
 

Rabea Weihser, Schönheit ist ein komplexes Phänomen. Wir alle erkennen sie, wenn wir sie sehen, aber eine Definition ist tückisch. Nachdem Sie ein ganzes Buch mit dem Titel "Wie wir so schön wurden" geschrieben haben: Ist der Begriff für Sie einfacher oder noch komplizierter geworden?

Ich würde sagen einfacher, weil sich deutlich herauskristallisiert hat, dass man zwischen Attraktivität und Schönheit differenzieren sollte, insbesondere in Bezug auf Körper und Gesichter. Es gibt menschliche Universalismen, also Dinge, die alle Menschen auf der Welt schön finden. Und dann gibt es Moden, die sich je nach Kulturkreis und der herrschenden sozialen Gruppe immer wieder darüberlegen. Ich benutze zwar das Wort "schön" im Titel, aber gestehe da auch eine gewisse Ungenauigkeit ein. Schönheit an sich, so wie ich es am Ende des Buches definiere, hat eine inhaltliche Qualität. Attraktivität kann man vermessen: Was sind die perfekten Nasenmaße, der perfekte Abstand zwischen den Augen, wie verhält sich die Oberlippe zur Unterlippe, und wie unterscheidet sich das zwischen den Ethnien? Aber ein schöner Mensch ist so nicht definierbar. Er besteht nämlich zur einen Hälfte aus einem attraktiven Äußeren und – viel wichtiger – einem schönen Inneren, dem guten Charakter. Und da sind wir ziemlich nah an der Definition der antiken Philosophen, die davon ausgingen, dass in einem schönen Körper auch ein schöner Geist wohnt.

Dass sich Menschen schön machen wollen, ist ein uraltes Phänomen. Sie reisen in Ihrem Buch vom Lidstrich der alten Ägypter über die rasierte Stirn der Renaissance bis zu Schönheitsfiltern bei Social Media. Gibt es etwas spezifisch Zeitgenössisches bei diesem Thema? Was war Ihr Einstiegspunkt?

Ich habe mich seit Mitte der Zehnerjahre intensiv mit der Beauty Culture und Schmink-Tutorials auseinandergesetzt. Besonders die Augenbrauen erlebten in dieser Zeit ein radikales Umstyling. Es begann 2012 mit dem Model Cara Delevingne und ihren sehr buschigen sogenannten boy brows, wenig später kamen die passenden Luxusartikel auf den Markt, inzwischen hat jede Drogerie unzählige Brauenprodukte, und das Ergebnis sehen wir auf den Straßen. Ich wollte verstehen: Wo kommt das her, warum haben wir eigentlich Augenbrauen, und was bedeutet es, wenn wir sie auf verschiedene Weisen formen? Jetzt gerade werden aus den sehr breiten Balken der vergangenen zehn Jahre wieder ganz dünn gezupfte, horizontal flache Linien; oder sie werden ganz abrasiert oder schräg nach oben auslaufend gemalt – also wie diese Mr.-Spock-Augenbrauen, die eigentlich immer als Ergebnis einer schlecht ausgeführten Botox-Injektion galten. Ich finde die Vielfalt der Stylings sehr interessant. Sie sagen viel über unsere Zeit, Kultur, Identität und sozialen Status aus.

Diese Moden haben immer auch mit Bildkultur zu tun. In der Gegenwart sind wir durch Social Media mit mehr möglichen Vorbildern konfrontiert als jemals zuvor. Bedingen sich Schönheitsideale und Medienwandel gegenseitig?

Ganz bestimmt. Die Vielzahl und die ästhetische Eintönigkeit digitaler Medien haben unsere Ideale in den letzten 15 Jahren stark verändert. Letztlich läuft da ein uralter Prozess unter neuen medialen und sozialen Vorzeichen ab. Menschen machen sich für andere Leute schön, weil sie wissen, dass die ihnen dann positiver begegnen. Davor stehen die Erkenntnis, wie man selbst aussieht, und der Vergleich mit den Menschen um einen herum. Je mehr Bilder von sozial oder kulturell mächtigen Menschen wir sehen, desto größer ist auch der Druck, uns mit denen zu messen. Diese Bilder beeinflussen, was wir für erstrebenswert halten und wie wir uns selbst gestalten. 

Und die Menge dieser Bilder ist extrem gewachsen.

Früher war die bildmächtige Gesellschaftsschicht eine kleine Elite. Es gab die Repräsentationsmalerei, reiche Menschen, die Aristokratie, der Adel haben sich malen lassen, und sonst kursierten kaum Bilder von Menschen. Im 20. Jahrhundert – mit der Verbreitung der Massenmedien wie Fotografie, Film, Fernsehen, Magazinen – wuchs die Zahl der abgebildeten Menschen, die entweder viel kulturelles Kapital hatten, weil sie besonders schön oder talentiert waren, oder sozialen und politischen Einfluss hatten. Und heute können auf Social Media alle alles zeigen, unabhängig vom Status. Trotzdem gibt es natürlich immer noch mächtige Gruppen, die Schönheitsideale diktieren können. Die Kardashians und die Trumps sind gewissermaßen der Adel unserer Zeit: Ihr Leben erscheint vielen so erstrebenswert, dass sie sich freiwillig nach ihren Regeln stylen. 

Wenn man sich Schminkvideos anschaut, bei denen ein Gesicht aus mehreren Farbschichten praktisch neu entsteht, ist man fast wieder bei der Porträtmalerei, oder?

Visagistinnen sprechen davon, dass sie erstmal eine blank canvas schaffen: Sie machen das Gesicht zu einer "weißen Leinwand". Man trägt einen Primer auf, dann eine Grundierung, und dann malt man mit hellen Farben Höhen, mit dunklen Farben Tiefen und mit bunten Farben Leben auf das Gesicht. Vieles davon ist aus der klassischen Porträtmalerei abgeleitet.

Sie haben eben gesagt, es gibt beim Thema Attraktivität etwas Universelles. Gleichzeitig haben Schönheitsideale auch immer mit Abwertung anderer Erscheinungsformen zu tun. Da spielen unter anderem Rassismus und koloniale Stereotype eine Rolle. Das, was wir schön finden, ist also gar nicht unbedingt das Gute, oder?

Das "Schöne" lässt sich nicht vom Guten und Wahren trennen. Das entspricht der antiken philosophischen Ästhetik, die in unserem zwischenmenschlichen Wertesystem noch erstaunlich lebendig ist. Aber wenn Sie Attraktivität meinen: Die hat nichts mit schön, gut und wahr zu tun. Attraktivität kann künstlich herbeigeführt werden. Fast alle Menschen tun das. Natürlichkeit ist ein Trugschluss. Der Mensch hat Technik und Kultur erfunden, um sich aus seinem Naturzustand zu befreien. Schon wenn wir uns die Zähne putzen, arbeiten wir gegen unsere Naturbelassenheit an. Was daran wahr ist? Die Geschichte der Kosmetik wurde, vor allem von Männern, gern als Geschichte der Täuschung erzählt. Weil die gestaltete Schönheit der Frauen eben nicht wahr war. Was daran gut ist? Ich denke, wir erleben gerade, wie gefährlich diese Verquickung von Attraktivität, Sexismus, Status, digitalen Medien und Marketing ist. An diesem neuen Schönheitsdruck, dieser Schönheitsreligion ist wenig Gutes.

Welche Rolle spielt denn die Kunst dabei? Einerseits hat sie Ideale wie Botticellis "Venus" verbreitet, andererseits hat sie sich vor allem seit der Moderne auch immer wieder aufgelehnt und einen Platz für das Widerständige, Nicht-Ideale geschaffen ... 

Es gibt natürlich in den letzten 40, 50 Jahren Künstlerinnen, die den männlichen Blick auf weibliche Körper kritisieren. Der männliche Voyeurismus hat ja die europäische Kunstgeschichte maßgeblich geprägt. Die berechtigte Kritik verändert Schönheitsideale aber nicht. Sie hat keinen Einfluss darauf, was Menschen begehrenswert finden.

Weil klar ist, dass es eine Abweichung ist?

Ja, weil diese feministische Kunst auch oft mit Übertreibung arbeitet. Wenn Cindy Sherman in ihren 1990er-Serien die barocke Porträtmalerei karikiert und sich dabei absurde Plastikbrüste anklebt, ist die Kritik am männlichen Blick auf weibliche Modelle offensichtlich. Nichts daran sieht begehrenswert aus, sondern eben wie eine Parodie hohldrehender weiblicher Schönheitsideale. Das zieht sich ja durch Cindy Shermans gesamte Arbeit. Es geht immer um eine Konstruktion von Weiblichkeit in einer patriarchalen, kapitalistisch geprägten Postmoderne. Aber die Ideale ändern sich dadurch nicht.

Die französische Künstlerin Orlan ging noch einen Schritt weiter und ließ sich ihr Gesicht nach dem Vorbild kunsthistorischer Ideale wie der "Mona Lisa" oder der "Venus" operieren. Aus der Kombination dieser Elemente entsteht aber etwas, dass das Publikum eher verstörend als attraktiv findet. Ist das nicht eine ziemlich effektive Strategie, um die Absurdität dieser Ideale zu visualisieren?

Es ist auf jeden Fall ein konsequentes Konzept, um Schönheitsideale zu hinterfragen. Orlan hat damit in den 1990ern einige Kunstkritiker schockiert, weil sie diese Operationen als Performance live vor Publikum hat durchführen lassen. Ihr Ziel war ja auch nicht, hinterher als abschreckendes Beispiel zu dienen. Sondern sie folgt der antiken Vorstellung, dass ideale Schönheit nur ein Kompositum sein kann. Es gibt keinen perfekt schönen Menschen – also müssen wir ihn uns bauen. Sie hat sich zu einer "Frankensteinin" gemacht, aber das hatte keine Auswirkung auf eine breitere Öffentlichkeit. Ihre Art der feministischen Kritik an einer Beauty Culture spricht ja kaum zu denen, die sich diesem Schönheitsdruck täglich und bereitwillig unterwerfen.

Das Thema Schönheits-OPs ist sehr emotional. Manche halten die Normalisierung von Eingriffen - vor allem bei Frauen und weiblich gelesenen Personen - für eine Anpassung an patriarchale Ideale, andere sehen darin eine Form von empowerment. Warum polarisiert dieses Thema so?

Weil sich logischerweise nicht klar definieren lässt, wie frei Frauen handeln können, wenn die Welt, in der sie leben, von männlichen Vorstellungen und Regeln geprägt ist. Außerdem tangieren diese Eingriffe wieder die Frage von Wahrheit und Täuschung. Wir fordern von allen öffentlich agierenden Instanzen Transparenz ein. Immer mehr Prominente legen jetzt ihre Prozeduren offen. Je mehr ich aber darüber weiß, was andere Leute machen, um sich einem Ideal anzunähern, desto eher bin ich bereit, denselben Weg zu gehen, vorausgesetzt ich habe das Geld. Selbstgestaltung und Verwandlung sind urmenschliche Wünsche – und je mehr geht, desto mehr wird auch gemacht. Soziale Medien sind Marketingplattformen, auf denen die Grenze zwischen privater Zurschaustellung und Produktwerbung verschwimmt. Da entstehen dann unendliche Konsumspiralen: Menschen sollen sich unvollkommen fühlen, solange Produkte verkauft werden können, die eine Lösung für ein Problem versprechen, das bis gestern noch niemand hatte.

Auf der einen Seite könnte man sagen, der Zugang zu Normschönheit wird durch Kosmetik und ästhetische Eingriffe demokratischer. Andererseits ist dann jedem ins Gesicht geschrieben, wer sich das alles leisten kann, und wer nicht. Und wird es dann nicht noch schwieriger, aus der Konsumspirale auszusteigen?

Ich denke, auch hier erleben wir gerade einen vibe shift – und ich wüsste nicht, wie man diese rasante Cyborgisierung verhindern sollte. Das Internet abschalten? Wenn Eingriffe leichter zugänglich sind, stellt sich auch mehr Leuten, vor allem Frauen, die Frage: Wie weit will ich gehen? Kann ich mit meinem Geld und meiner Zeit nicht Sinnvolleres anstellen? Ist diese Schönheitserwartung nicht überhaupt eine Riesenunverschämtheit? Muss ich mich wirklich unters Messer legen, weil das jetzt alle machen, die gefilmt und fotografiert werden? Da liegt ja für viele eine instinktive Grenze, die auch moral-psychologisch belegt ist. 

Welche Grenze ist das?

Wir wollen unsere körperliche Unversehrtheit bewahren, und wir wollen uns darauf verlassen können, dass die anderen um uns herum es genauso sehen. Es gibt eine Angst vor einer "Alienisierung“. Wir brauchen einen verlässlichen Vergleichsmaßstab, um uns unter Menschen sozial orientieren zu können. Aber wenn wir das Gefühl haben, die anderen sind gar nicht mehr wirklich mit uns vergleichbar, weil sie moralische und körperliche Regeln brechen, weil sie sich "entmenschlichen", bekommen wir ein Problem mit unserem sozialen Kompass. Die Auswirkungen sind jetzt schon ganz handfest: Junge Frauen rennen mit ihren gefilterten Selfies zum Chirurgen und lassen ihr Gesicht einem KI-generierten Avatar angleichen. Sollte sich das ausweiten, wird das unsere sozialen Instinkte empfindlich stören.

Die digitale "Vorstufe" zu OPs wären dann diese Gesichtsfilter, die eine Person virtuell stark verändern können. Ist das eigentlich etwas Neues, oder haben die ihre Vorbilder in der Kunstgeschichte? Idealisiert oder verzerrt wurde in der Porträtmalerei ja schon immer. 

Ganz richtig. Heute manipulieren viele Filter-Apps die Augen. Im Buch gehe ich der Frage nach, welche Bedeutung kleine und große Augen für Männer und Frauen hatten oder wie sie sich historisch als Ideal manifestiert haben. Kaiser Konstantin hat sich im 4. Jahrhundert immer facefiltern lassen: Auf allen Münzen, in Büsten und Statuen hat er sich mit riesigen, feuchten Augen zeigen lassen. Heute wäre das ein Symbol der neuen, sanften, sensiblen Männlichkeit. Damals war es Zeichen seiner Willenskraft und Durchsetzungsstärke und vor allem – der Blick war meist gen Himmel gerichtet  – seiner Verbindung zu höheren Mächten. Konstantin hat maßgeblich dazu beigetragen, dass das Christentum zur Staatsreligion im Römischen Reich wurde. Und seine Filterspiele waren seine begleitende Marketingkampagne.

Durch den riesigen Pool an Gesichtern, den wir online zur Verfügung haben, müsste sich eigentlich die ganze Vielfalt des Menschlichen zeigen. Man bekommt aber das Gefühl, dass die Beauty-Vorbilder mit den größten Reichweiten ziemlich ähnlich aussehen. Wird der Schönheitsbegriff durch Algorithmen immer enger?

Viele Menschen finden im Internet sozialen Halt und Austausch. Es gibt diverse tribes und peergroups mit ganz individuellen Stilistiken. Wenn aber Marketinginteressen dazukommen, muss man Dinge vereinfachen, reproduzierbar und skalierbar machen. Deshalb sehen wir so viele gleichförmige Menschen auf Social Media. Wenn die junge Frau mit der Barbie-Nase, den hohen Wangenknochen, den langen gewellten Haaren, den aufgeblasenen Lippen und den fake lashes superviele Produkte verkauft, dann sucht man auch für die nächste Kampagne solche Testimonials. Und wenn plötzlich alle Influencer so aussehen, wollen auch alle Follower so aussehen. Das ist ein Schneeballsystem. Wie sich Ideale durchsetzen und zu einer Gleichförmigkeit führen, lässt sich an allem verfolgen, was die Kardashians in den letzten zehn Jahren gemacht haben. Bei Kim Kardashian ist aber auch wirklich interessant, dass sie inzwischen aussieht wie Nofretete. Sie wurde nicht mit diesem Gesicht geboren, aber sein jetziger Zuschnitt trifft ein jahrtausendealtes Schönheitsideal. 

Sie haben Ende 2024 einen "Zeit"-Artikel über das "Mar-a-Lago-Face" geschrieben, das im Umkreis der Trump-Regierung überall zu finden sei. Ist es produktiv, von einem Gesicht auf politische Haltung zu schließen? Oder ist man da wieder gefährlich nah an der Pseudowissenschaft der Physiognomik?

Da gibt es einen riesengroßen Unterschied. Die Physiognomik, aus der die Schädelkunde hervorging, hat genetisch vererbbare Knochenstrukturen vermessen und daraus völlig abwegige, rassistische Theorien abgeleitet. In der Trump-Administration ist hingegen das Interessante, dass hier eine dynastische Ähnlichkeit nicht wie im europäischen Adel genetisch vererbt, sondern ästhetisch hergestellt wird. Der Zusammenhalt der herrschenden Gruppe wird durch Auswahl ähnlicher chirurgischer Eingriffe und Optimierungsmaßnahmen beschworen. Am "MAGA-Face" zeigt sich Donald Trumps Vorliebe für klassische, biologische Stereotype, wie er sie von den beauty pageants der 1980er-Jahre kennt. Die Männer sollen soldatische Körper und dominante Kiefer haben, dazu hatte sich Trump schon in seiner ersten Amtszeit geäußert. 

Was folgt daraus?

Die Macht der Bilder wird diesen Idealen zu einem neuen Hype verhelfen. Trumps Anhängerschaft wird sich an dieser Art der Selbstgestaltung orientieren. Auf TikTok kursieren schon die Begriffe conservative chic und liberal chic. Ersteres bedeutet, sich stark zu schminken, in einem etwas zu dunklen, gebräunten Foundation-Ton, dazu dunkel betonte Augen, schwere Wimpern, übermalte Lippen und lange, gewellte Haare, die wir auch vom "Instagram-Face" kennen. Der liberal chic wäre dann das genaue Gegenteil. Mit anderen Worten: "Clean Girl Chic". Das ist natürlich alles eine Social-Media-Spielerei, aber das "MAGA-Face" finde ich schon deutlich erkennbar. Und mit diesen hochgetunten Kieferknochen liegen die Trump-Minister voll im "Looksmaxxing"-Trend.

Ist es nur gerecht, wenn sich der Schönheitsdruck auf Männer ausweitet oder vergrößert es das Problem?

Es ist eine sehr traurige Entwicklung, dass jetzt Essstörungen oder Körperdismorphien unter Jungs und jungen Männern zunehmen. Marktliberal gesprochen war das eine logische Entwicklung, ein brachliegendes Segment: eine körperlich unsichere, leicht beeinflussbare Zielgruppe, der man alles andrehen kann, was Anerkennung und Zugehörigkeit verspricht. Hat ja mit Frauen auch schon super funktioniert. Und die Augenbrauen waren ein erfolgreiches Testfeld: Brow Styling kommt auch für Männer infrage, weil es nicht weit von Bartstyling entfernt ist und dichte, dunkle Brauen als Zeichen dominanter Männlichkeit gelesen werden. Wieder ein biologischer Klassiker. Inzwischen gibt es in jeder Drogerie eigene Männerpflegeregale in genderkonformem Produktdesign.

Sie starten am 17. September Ihre monatliche Gesprächsreihe "Schönheitssalon" mit wechselnden Gästen in der Urania Berlin. Eine Frage dabei lautet, wie feministisch es ist, sich schön zu machen. Ihre Antwort?

Wir fangen mit dieser Frage an, weil sie so viele aktuelle Debatten aufgreift. Meine These dazu ist: Es ist nicht feministisch, sich zu schminken oder sich körperlich zu optimieren. Aber: Auch Feministinnen schminken sich, wenn sie glauben, sich dem herrschenden Schönheitsanspruch nicht entziehen zu können, oder weil sie einfach Spaß an Mode und Verwandlung haben. Das ist nur eine der vielen kognitiven Dissonanzen, die wir aushalten müssen. Es hat sicherlich gewisse psychologische Effekte, sich rituell zu pflegen und mit Farben umzugehen. Aber dass Frauen sich besser und sicherer fühlen, wenn sie sich schminken, ist auch laut Studien darauf zurückzuführen, dass sie dann mehr positive Resonanz von außen erwarten. Das heißt, der externe Blick ist bereits internalisiert. Trotzdem ist es wichtig, sich zu befragen: Für wen tue ich das eigentlich alles? Ich finde es spannend, von meinen Podiumsgästen und dem Publikum die unterschiedlichsten Antworten darauf zu hören. Meiner Meinung nach befinden wir uns an einem mediensoziologischen Scheideweg: Die Optionen unserer Selbstgestaltung und die Auffassung davon, was menschlich schön ist, verändern sich so rasant, dass ich ein großes Gesprächsbedürfnis wahrnehme. Und genau deshalb starte ich den "Schönheitssalon".