Refik Anadol, Sie werden meist als "KI-Künstler" bezeichnet und sind sowohl in der Tech-Welt als auch in Kunstinstitutionen präsent. Was war zuerst da: die Liebe zur Kunst oder zur Technik?
Auf jeden Fall die zur Kunst. Ich habe 2008 im Studium entschieden, Künstler zu werden, Peter Weibel war einer meiner Mentoren in Istanbul. Damals habe ich den Begriff data painting geprägt. Ich wusste, dass ich Informationen in Kunst verwandeln wollte.
Also war das Tech-Element schon da ... Sie wollten nie mit Öl auf Leinwand malen oder Bronzen gießen?
Nein, mich hat nie die rein physische Welt interessiert. Also, sie interessiert mich, aber vor allem, wenn sie eine Verbindung mit der virtuellen Welt eingeht.
Ihre aktuelle Ausstellung im Guggenheim Bilbao beschäftigt sich mit der Architektur von Frank Gehry, der auch den dortigen Museumsbau entworfen hat. Gebäude sind nun eine sehr materielle, physische Angelegenheit, wie ist Ihr Verhältnis dazu?
Zwei Dinge: 2013 habe ich Gehry kennengelernt, als ich seine Walt Disney Concert Hall in Los Angeles angeschaut habe. Er hatte zwei große Durchbrüche: das Guggenheim Bilbao, eines der besten Museen der Welt, und diese Halle, eines der besten Konzerthäuser der Welt. Und ich habe schon als Achtjähriger "Blade Runner" geliebt, wo die Architektur nicht mehr nur Glas oder Beton ist. Die Gebäude denken, erinnern sich und kommunizieren autonom. Diese Zukunft der Architektur wird oft als dystopisch gesehen, aber ich sehe dort eine Utopie. Ich frage mich, wie man diese neue Technologie nutzen kann, um die Menschheit voranzubringen, anstatt immer in so eine doomsday-Mentalität zu verfallen und die Zukunft schwarzzumalen. Ich frage mich, wie wir die Zukunft heller machen können. Und auch Gehry will alles immer heller und besser machen. Das ist die Verbindung.
Sie haben für Ihre neueste Arbeit eine speziell programmierte KI unter anderem mit riesigen Mengen von Gehrys Entwürfen gefüttert. Diese spuckt nun auf dieser Basis eigene Bilder aus. Wie findet Frank Gehry das?
Wir haben ihn natürlich gefragt, ob wir sein Archiv benutzen dürfen, und er hat Ja gesagt. Er hat die Innovation gutgeheißen, weil er Innovation liebt.
Sie wenden dieses Verfahren immer wieder an: Sie füttern eine KI mit Millionen von Bildern zu einem Thema und lassen sie dann eigene "Visionen" generieren. Kritiker monieren, dass die abstrakten Farb- und Formenwirbel, die dabei herauskommen, unabhängig vom Ausgangsmaterial immer ziemlich gleich aussehen.
Diesmal ist es ganz anders. Sie werden sehr direkte, sehr konkrete Welten sehen. Das ist kein abstraktes Werk. Wir haben die KI mit 35 Millionen ethisch korrekt gesammelten Datensätzen trainiert und das mit Gehrys Archiv kombiniert. Wenn diese Elemente zusammenfließen, ensteht etwas Neues. Stellen Sie sich eine Zeitmaschine vor, die sich an die Zukunft erinnert. Es wird Gebäude geben, urbane Räume, Landschaften, in denen sich Natur und Architektur verbinden, in denen KI bessere Vorschläge macht als das, was wir haben, in denen KI sich, ich würde sagen nachhaltigere Zukünfte vorstellt. KI bietet uns vielleicht inklusiveres Design. KI zeigt uns, wie die Natur die Architektur inspirieren kann, wie wir über das hinausdenken können, was wir hier haben.
Sie zeigen Ihre Werke in sehr unterschiedlichen Kontexten: Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos, an der Fassade der Event-Halle The Sphere in Las Vegas und zunehmend auch in Museen. Sind Kunsträume besonders – oder auch nur eine Art von Projektionsfläche?
Ein Ort wie das Guggenheim ist ein Traum für jeden Künstler. Ich meine, neben mir befinden sich Werke von Richard Serra und Sol Lewitt, es ist eine große Ehre, hier zu zeigen und die Welt dieser Künstler zu betreten. Ich glaube sehr an Museen, was auch unser KI-Museum Dataland zeigt, das wir in Los Angeles eröffnen wollen. Ich lerne so viel von den Kollaborationen mit dem MoMA, dem Guggenheim oder dem Centre Pompidou und allen Projekten, die noch kommen werden, und das sind viele. Ich glaube, wir brauchen gute Beispiele, wie KI in der Kunst funktionieren kann. Wir müssen den Leuten zeigen, wie KI funktioniert. Wir haben hier einen education room. Und wir arbeiten auf einer Cloud, die mit erneuerbaren Energien läuft.
Nicht alle in der Kunst sind so begeistert. Kürzlich hat das Auktionshaus Christie's eine Online-Auktion mit ausschließlich KI-generierten Werken abgehalten. Auch eine Arbeit von Ihnen war dabei. Dagegen haben rund 6000 Künstlerinnen und Künstler mit einer Petition protestiert. KI-Kunst und die Firmen dahinter beuteten Kreative aus und begingen "Massendiebstahl" an menschlicher künstlerischer Arbeit. Können Sie diese Vorwürfe nachvollziehen?
Natürlich. Weil sie absolut recht haben. Aber sie brauchen auch gute Beispiele, wie KI-Kunst funktionieren kann. So wie unsere. Die meisten der Künstler sind gegen kommerzielle KI-Modelle, die das Werk anderer Leute ohne Erlaubnis verwenden. Aber das tue ich nicht. Ich sammle seit zehn Jahren meine eigenen Daten und trainiere meine eigenen Modelle. Als KI-Künstler kann man nicht faul sein, man muss der kommerziellen Technologie voraus sein. Es ist schwer, aber es ist möglich und muss getan werden.
Wie können Sie sicher sein, dass Sie keine Urheberrechte verletzten, wenn Sie eine KI wie im MoMA in New York mit einer ganzen Museumssammlung füttern?
Die Daten hat das Museum selbst als frei zugängliche Datenbank auf GitHub gestellt. Das wissen viele Leute nicht. Und mein Werk "Unsupervised" ist jetzt auch ein Teil der Sammlung, es steht also nicht außerhalb.
Finden Sie, dass das individuelle Urheberrecht in Zeiten von KI überholt ist?
Es kommt immer auf den Kontext an. Das MoMA weiß sicherlich, dass meine Arbeit und ihre Datenbank kein old-school-Verständnis von Copyright ist. Vielleicht glauben sie, dass das Archiv für die Menschheit da ist, nicht für Einzelne. Ich glaube, dass verschiedene Institutionen unterschiedliche Visionen haben. Ich habe zum Beispiel auch mit den Philharmonikern Los Angeles gearbeitet, und wir haben über 100 Jahre Musikgeschichte verwendet. Überall, wo wir angefragt haben, haben wir eine positive Antwort bekommen. Es geht um Ethik und Erlaubnis.
Sie unterrichten auch an der UCLA in Los Angeles. Haben Studierende in kreativen Feldern Angst, durch KI obsolet zu werden – oder wird Künstliche Intelligenz längst als Werkzeug akzeptiert?
Das, was ich unterrichte, ist die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine, 50 Prozent Mensch, 50 Prozent Maschine. Das ist etwas ganz anderes als die Propaganda, dass KI alles übernehmen wird. Das wäre eine schreckliche Zukunft, aber das ist nicht mein Thema. Meine Studierenden genießen die Praxis sehr, wenn sie den Sinn dahinter verstehen.
Ihre Arbeiten haben oft Begriffe wie "Träume" oder "Imaginationen" im Titel, die Maschinen sollen "halluzinieren" oder "fabulieren". Ist das nicht irreführend, weil es genau diese autonome Kreativität der KI behauptet?
Ich glaube, die Leute missverstehen das. Ich frage, was jenseits der Realität liegt, deswegen habe ich meine Arbeit mit KI begonnen. Deswegen sage ich machine hallucination, nicht human hallucination. Ich programmiere die Maschine so, dass sie träumt. Im Zentrum steht der Mensch.
Trotzdem klingt das nach Schöpfungskraft und Verklärung. Müsste man KI nicht gerade entmystifizieren, damit mehr Menschen sie verstehen?
Absolut. Und das tun wir seit zehn Jahren. Wir zeigen immer, wie es funktioniert. Sie können hier in der Ausstellung sitzen und lernen, woher die Daten kommen, was meine Parameter als Künstler sind. Es ist alles demystifiziert.
Wir sehen gerade, wie sich die großen Tech-Firmen politisieren und sich ganz offen Trump anbiedern. Wer KI-Kunst macht, hat zwangsläufig Verbindungen zu Big Tech. Ist das ein Problem für Sie?
Alles rund um KI ist besorgniserregend, nicht nur die Unternehmen. Aber als Künstler habe ich die Möglichkeit, es besser zu machen und für Veränderung einzutreten. Ich zeige, dass man mit erneuerbaren Energien arbeiten kann, obwohl die allermeisten Firmen enorme fossile Ressourcen verbrauchen. Ich zeige, dass man ethisch Daten sammeln kann. Es geht um das gute Beispiel.
Aber nicht alle Künstlerinnen und Künstler können ihre eigenen Infrastrukturen schaffen und sind auf kommerzielle Anbieter angewiesen. Arbeitet man dann nicht unfreiwillig den Konzernen zu?
Aber Künstler müssen die Technologie benutzen. KI wird immer komplexer. Die einzige Möglichkeit ist, dass Künstler die Technik verstehen und Innovationen schaffen. Ich arbeite mit Nvidia, Google, Microsoft, mit all diesen Riesen, um ein guide und ein Kompass zu sein. Und sie hören zu, kollaborieren und handeln.
Sitzen die "Riesen" nicht letztlich am deutlich längeren Hebel? Sie hören ja offenbar auch Trump und anderen Autokraten zu.
Wenn momentan irgendjemand auf der Erde KI einsetzt, dann muss jeder, der mit den Algorithmen in Berührung kommt, diese Systeme nutzen. Das ist einer der Gründe, warum Künstler anwesend sein müssen, um den Firmen den Kompass und die Richtung zu geben: die Politik, die Poesie und dergleichen, um die Entwicklung zu gestalten.
Von Ihren Werken gab es auch NFTs, der Ankauf Ihrer Arbeit durch das MoMA wurde durch den Krypto-Unternehmer Ryan Zurrer ermöglicht. Was sagen Sie zum Vorwurf, dass digitale Kunst als Aufwertung für Krypto-Währungen fungiert?
Ich sehe da kein Problem, Krypto-Währungen sind ein Zahlungsmittel unter vielen. Sie sind transparent und ich finde sie sehr kraftvoll, wenn sie für das Gute eingesetzt sind. Wir machen sie zu einem positiven Wert für die Gesellschaft. Übrigens kommen nur 20 Prozent meiner Sammler aus der Krypto-Szene, die anderen sind aus der klassischen Kunstwelt. Die wissen nicht mal, wie man Krypto benutzt.
Apropos "alte Kunstwelt": 2023 hatten Sie auf X einen inzwischen legendären Schlagabtausch mit dem US-Kritiker Jerry Saltz. Der hatte Ihre Arbeit im MoMA unter anderem als "Bildschirmschoner" abgetan. Sie konterten, dass schlechte Reviews auch nur Daten seien, die KI wiederum verwerten kann. Kümmert es Sie, was die traditionelle art world von Ihnen denkt?
Zuerst einmal: Alle sind mir wichtig. Aber ich habe nur Respekt, wenn jemand seine Arbeit richtig macht und gut recherchiert. Zumal in Zeiten von KI, wo jeder Algorithmus mich besser kennt als die Kunstkritiker. Jeder kann deep research machen, es gibt ein KI-Modell, das alle meine Keynotes und Interviews liest. Wonach ich wirklich suche, ist neue Information oder eine frische Perspektive, an der ich wachsen kann. Ich glaube, viele fragen sich, wie sie in Zeiten von KI den Dialog weiterbringen können. Aber dann darf es kein fauler Dialog sein, das kann ich nicht respektieren.