Neuer Savvy-Direktor Renan Laru-an

"Wir trauen Ausstellungen nicht. Und wir trauen den Künstlern nicht"

Der philippinische Kurator Renan Laru-an ist neuer Direktor des Berliner Kunstraums Savvy Contemporary. Hier spricht er über verzerrte Bilder des "Globalen Südens" in Europa, den Documenta-Skandal und den Wert von Bescheidenheit beim Ausstellungsmachen

Die Fußstapfen, in die Renan Laru-an tritt, sind ziemlich groß. 2009 gründete Bonaventure Soh Bejeng Ndikung den Berliner Projektraum Savvy und verstand ihn als Kontaktzone zwischen westlichen und nicht-westlichen Kulturen. Nun hat der Ausstellungsmacher und Co-Kurator der Documenta 14 die Intendanz des Haus der Kulturen der Welt (HKW) angetreten, und Laru-an übernimmt seine Nachfolge als Savvy-Leiter im Stadtteil Wedding. Beim Gespräch ist der neue Direktor gelassen zugewandt, kritisiert aber auch den westlichen Kunstbetrieb. Vor der Glasfassade des Kunsthauses, der auch ein sozialer Treffpunkt mit vielen Veranstaltungen ist, zieht stetig das Berliner Leben vorbei. 


Renan Laru-an, Sie wurden im November zum Direktor von Savvy Contemporary ernannt und sollten eigentlich im Januar in Berlin ankommen. Jetzt haben wir Mai, und Sie sind erst seit ein paar Wochen hier. Was ist passiert?

Das Problem lag auf der Seite der Philippinen. Einer der größten wirtschaftlichen Beiträge zur dortigen Wirtschaft ist der Export von Arbeitskräften. Viele Filipinos gehen ins Ausland, um unter anderem als Haushaltshilfen oder Seeleute zu arbeiten. In letzter Zeit hat der Menschenhandel mit Fachkräften aus den Philippinen zugenommen. Dabei handelt es sich um hoch gebildete Menschen aus der Mittelschicht, die als "Wissensarbeiter" gehandelt werden, zum Beispiel in Callcentern oder als Online-Support für Glücksspiele. In den letzten sechs Monaten hat der Staat daher die Ausreiseregeln verschärft. Jeder Filipino, der das Land als Arbeitnehmer im Ausland verlässt, muss dieses Verfahren durchlaufen. Das dauert eine Weile, und selbst ein Universitätsprofessor, der ein Stipendium erhält, muss da durch. Das System ist für ganz bestimmte Berufe gedacht, nicht für einen künstlerischen Leiter. Sie wussten nicht, wo sie mich hinstecken sollten. Aber wir hatten nicht erwartet, dass es so lange dauern würde.

Als Sie schließlich hier angekommen sind, haben Sie sich willkommen gefühlt?

Ja. Ich habe meinen Kollegen schon erzählt, dass ich ehrlich gesagt gar nicht das Gefühl hatte, Manila verlassen zu haben, weil sich alles so lebendig und vertraut anfühlte: die enge Zusammenhalt im Team und die Art, wie sie die Dinge angehen. Das hat wirklich einen Unterschied gemacht und zeigt auch, dass Savvy in seinem Aufbau etwas Besonderes ist.

Sie haben viele Jahre lang frei gearbeitet. Warum jetzt eine Institution leiten?

Seit 2019 war ich auf der Suche nach einer Institution, in der ich meine Praxis und Forschung der letzten zehn Jahre einbringen konnte. Aber es ist immer ein Problem für internationale Freiberufler, einen sicheren Job zu finden, vor allem, wenn sie aus weniger privilegierten Verhältnissen kommen und kein Sicherheitsnetz haben. Man versucht immer, sein Netzwerk und seine Expertise in verschiedenen Institutionen zu verteilen und zu filtern, denn nicht alle Institutionen wollen alles davon haben. Sie müssen sich heraussuchen, was sie von deinen Kapazitäten gebrauchen können. Ich bin den üblichen Weg gegangen und habe mich bei Museen und Kunstinstitutionen als Kurator beworben, sowohl regional in Südostasien als auch international. Aber die Zusammensetzung der Institutionen ist im Allgemeinen nicht sehr entgegenkommend gegenüber sehr spezifischen Praktiken. Sie wollen einen Kurator oder Kulturarbeiter, der in ihre Vision und Geschichte passt. Aber Savvy hat eine Ausrichtung, die wirklich zu meinem Hintergrund und meinem Werdegang passt. Als sich also die Möglichkeit bot, dachte ich, dass es quasi meine Pflicht ist, mich zu bewerben. Ich denke, dass internationale Kulturschaffende die Verantwortung haben, sich selbst zu zeigen und sich als geeignete Kandidaten für eine Führungsposition zur Verfügung zu stellen. Das ist eine sehr wichtige Einstellung, die People of Color, die in der Kunst arbeiten, haben sollten: Sich nicht nur um kuratorische oder mittlere Positionen zu bewerben, sondern auch um Führungspositionen.

Sind die Institutionen also nicht offen genug?

Institutionen haben sehr unterschiedliche Dringlichkeiten - zusätzlich zu ihren kurzfristigen und langfristigen Ziele. Die Herausforderung für die Bewerber und die Institutionen besteht darin, sich auf halbem Wege zu treffen, wenn es darum geht, die Rollenvorstellungen zu öffnen. Wenn man genau hinsieht, schlagen viele unabhängige Kulturschaffenden neue Wege vor, wie sie in den Institutionen arbeiten können. Das ist auch hier bei Savvy der Fall. Bei uns arbeiten etwa 25 hochqualifizierte und erfahrene Personen. Aber im europäischen Kontext konnten sie keine Stelle finden. Selbst kleinere Institutionen, die bereit sind, sich zu öffnen, haben nur ab und zu eine oder zwei offene Positionen für Kuratorinnen oder Manager. Das Ergebnis ist, dass es Fachleute gibt, die in ganz Berlin und Europa verstreut sind, aber keine feste Anstellung finden können. Bei Savvy gibt es diese andere Vorstellung von Regelmäßigkeit und Dauerhaftigkeit.

In der Mitteilung zu Ihrer Berufung hieß es: "Der Leitungswechsel in einem Kunstraum [...] ist keine Formalie. Er ist ein fortwährendes Abtasten und Einstellen von Frequenzen." Was heißt das genau?

Ich habe immer in unterschiedlichen Workflows und Hierarchien gearbeitet, und mit konkurrierenden Bürokratien in einem System. Ich bin in Mindanao, der südlichsten Region der Philippinen, aufgewachsen und habe in Manila gewohnt. In den 1970er-Jahren erlebte das Land einen gewaltigen institutionellen Aufschwung. In Südostasien waren wir die ersten, die über offizielle Institutionen für zeitgenössische und moderne Kunst verfügten. Das hat auch spezielle Kulturschaffende hervorgebracht, die mit Entwicklungsarbeit zu tun haben. In den 90er- und 2000er-Jahren wurde Singapur zu einem regionalen Zentrum: 1996 wurde das Singapore Art Museum und 2015 die National Gallery Singapore eröffnet. Auf den Philippinen und in Indonesien hingegen hat sich die Landschaft der öffentlichen Institutionen von den 70er bis zu den 2000er Jahren kaum verändert.

Wozu führte das?

Man könnte es als eine Stagnation oder eine Art Sackgasse bezeichnen. Singapur und Hongkong wurden zu den wichtigsten Akteuren in der Region, die eine andere Ausrichtung und eine andere Vorstellung von der Rolle der Kunst in der Gesellschaft hatten. Dagegen wandelten sich Kontexte wie die Philippinen und Indonesien wirtschaftlich so, dass die materiellen und infrastrukturellen Bedingungen für die Aufrechterhaltung eines Kunst-Ökosystems einem anderen Muster folgen mussten. Es gibt unterschiedliche, miteinander konkurrierende Vorstellungen darüber, wie man arbeitet, wie man Institutionen aufrechterhält und wie man zusammenarbeitet. Das prägt und formt die neue Generation von Kulturschaffenden.

In welche Richtung?

In meiner Generation gibt es dieses Selbstbewusstsein zu sagen: "Wir arbeiten mit Institutionen, aber auch über sie hinaus." Institutionen können angenehm, fruchtbar, bösartig oder produktiv sein, je nachdem, wie man sie nutzt. In der Praxis erlebe ich, dass meine Kollegen jenseits der institutionellen Kritik arbeiten oder Dissens um des Respekts willen austragen. Einige bleiben bei den Institutionen. Einige sind aktiv geworden und verfolgen ihre eigenen freien Programme. Viele von uns navigieren auf dem komplexen Terrain, das uns zur Verfügung steht. Deshalb ist es auch so schwierig, sich als "philippinischer" oder "südostasiatischer" Kurator oder Spezialist zu bezeichnen, denn jeder Beruf reduziert die Heterogenität der Praktiken und Geschichten auf die Repräsentation als singuläres Ziel. Vieles hat sich in den Kuratorien außerhalb der selbst ernannten Kunstzentren verändert, zum Guten wie zum Schlechten. In einer neoliberalen Logik  sind diese "südostasiatischen", "afrikanischen" oder "karibischen" Kuratoren nun direkte Konkurrenten auf einem globalen Markt der Ideen. Um diese erlebten Realitäten zu erkennen, muss man verschiedene Frequenzen entwickeln, die gleichzeitig logistisch, praktisch, konzeptionell, ethisch und historisch sind. Die Rolle eines Direktors in einem Kunsthaus besteht darin, diese Dinge zu kuratieren, damit sich alles fügt.

Das klingt recht abstrakt. 

Nehmen wir das Ausstellungsmachen: Aus meiner Arbeit in Südostasien bin ich es gewohnt, dass wir immer über die verfügbaren Materialien und Ressourcen sprechen müssen, unsere Kapazitäten und Absichten, sowie über die Einschränkungen, auf die wir stoßen werden. Wer sind die Verbündeten und Partner, auf die wir uns verlassen können? Das ist der erste Schritt. Dann schreiben wir das Konzept so, dass es mit den tatsächlichen Ergebnissen und Bedingungen übereinstimmt. Wenn wir mit meinen Kollegen hier das Konzept für Ausstellungen und Projekte entwickeln, steht am Anfang immer ein sehr bewusster konzeptioneller Rahmen und eine Erzählung, eine Skizzierung von Ideen und die Verknüpfung von Interessen in verschiedenen geografischen Gebieten. Die Formen des Outputs und der Produktion kommen erst später. Das sind zwei sehr unterschiedliche Ansätze, die auch zu unterschiedlichen Problemen und Herausforderungen führen. Das erinnert mich an die Ausführungen der philippinischen Künstlerin Brenda Fajardo in ihren "Aesthetics of Poverty".

Sie haben in Jakarta auch schon mit dem Kollektiv Ruangrupa zusammengearbeitet. Bei der Documenta Fifteen, die Ruangrupa-Mitglieder kuratiert haben, kam es zu einem scheinbar unlösbaren Konflikt. Um es ganz verkürzt zusammenzufassen: Den überwiegend aus dem "Globalen Süden" stammenden Künstlerinnen und Künstlern wurde Antisemitismus vorgeworfen, viele von ihnen prangerten das wiederum als Rassismus an. Wir haben Sie die Debatte erlebt?

Es war wirklich schmerzhaft, diese Diskussion in der Region zu verfolgen. Es gab Unterstützung aus dem kulturellen Bereich für die Documenta, aber es gab diese überwältigende Flut von Inhalten in den sozialen Medien und in den Mainstream-Medien. Ich musste einen Schritt zurücktreten und mich fragen, was eigentlich wirklich passiert ist. Für mich war es nicht nur eine Frage des Aufeinandertreffens zweier Systeme. Für mich als jemand, der unter den Bedingungen des sogenannten "Globalen Südens" und Südostasiens sozialisiert wurde, war es eine Gelegenheit, auch über unser eigenes Verständnis unserer Ansätze nachzudenken. Das war meine erste Annäherung, denn ich konnte mich nicht vollständig auf den deutschen Kontext einlassen, da ich zu der Zeit nicht hier lebte. Ich hatte nicht den Überblick, woher diese Emotionalität kommt.

Und zu welchem Schluss sind Sie gekommen?

Es gab eine Wiederbelebung des kulturellen Relativismus auf beiden Seiten. Natürlich war die Documenta kein Einzelfall, sondern ein seismisches Ereignis einer anhaltenden kulturellen Krise in der zeitgenössischen Kunst. Das ist eine Realität, aber vielleicht gibt es auch andere Ebenen, über die man nachdenken muss.

Welche denn?

Zum Beispiel die Geschichte Südostasiens im Hinblick auf die verinnerlichte Kolonisierung oder die Flüchtlingskrise, oder welche Möglichkeiten der Vergleich dieser beiden regionalen Blöcke nach dem Kalten Krieg bietet, um nur einige zu nennen. Südostasien als geopolitischer Block ist ebenso problematisch wie zum Beispiel die Schengen-Festung. Ich fand es schade, dass das Gespräch zu sehr polarisiert wurde, dass es keine vermittelnde Ebene gab, um schwierigere und vielschichtigere Gespräche zu führen. Man könnte es so interpretieren: Die derzeitigen Formen des globalen Ausstellungswesens können keine "feindseligen" oder riskanten Themen aufnehmen. Oder vielleicht haben wir die vertrauten Ausstellungsformate, in denen es immer ein Unbehagen gibt, sich mit schwierigen Themen auseinanderzusetzen, ausgeschöpft. Ich denke, so entsteht (Selbst-)Zensur durch die Angst, sie in Ausstellungen zu vermitteln. Wir trauen Ausstellungen nicht. Und wir trauen den Künstlern nicht. Es geht nicht nur darum, den deutschen oder indonesischen Kontext zu verstehen, sondern auch darum, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Gespräche stattfinden können. Dies geschieht nicht während und nach einer Kontroverse, sondern ist grundlegend für die Planung und Verwaltung einer Institution.

Die Documenta hätte den Skandal voraussehen müssen?

Man kann die Ausprägung von Kontroversen nicht vorhersagen, sehr wohl aber den Verlauf von schwierigen Gesprächen. In Südostasien haben wir zum Beispiel sehr schwierige Gespräche über China. Die Menschen stellen im öffentlichen Raum immer wieder Fragen. Wie gehen Sie mit China um? Das ist eine sehr provokante Frage, die für verschiedene Akteure aus unterschiedlichen Gründen schwierig ist. Und so ist es auch mit Deutschland. Schon bevor ich ankam, haben die Leute gefragt: Wie werden Sie mit dem Thema Antisemitismus umgehen? Ich verstehe und schätze die Besorgnis, aber sie geht bereits von einer defensiven Position aus, in der so viel Bewertung steckt. Für mich ist die Position: Man kommt mit einer Offenheit, verstehen zu wollen und einer Offenheit, schwierige Gespräche zu erwarten. Sie können überall und selbst in den fortschrittlichsten Räumen stattfinden.

Manchmal wirkt es, als hätten viele Menschen Skrupel, sich überhaupt an solchen Diskussionen zu beteiligen, weil sie so voraussetzungsreich sind und man schon viel Wissen braucht. Ist das ein Problem auch für die Kunst?

Aus der Sicht eines Ausstellungsmachers: Die Menschen haben sich aus verschiedenen Gründen vom Format der Ausstellungen entfremdet. Einer davon ist seine Überschneidung mit Content-Management und der Industrie der Content-Produktion. Die Form der Ausstellung ist nicht mehr so zuverlässig, wie sie einmal war. Sie hat diese tiefe persönliche Schnittstelle, die die Fakten, die Informationen und den Kontext zusammenführt. Unser Verständnis von Kontext meint oft die Zugänglichkeit von Informationen, Fakten und Daten in Bezug auf Wahrheit und bestimmte Realitäten außerhalb unserer eigenen Komfortzone. Aber ich denke, Kontext entsteht in der Begegnung mit dem Material und mit den Menschen. Man kommt nicht mit diesen Wikipedia-Informationen in die Ausstellung und versucht dann, sie mit den Informationen und Daten in Einklang zu bringen, die die Kuratoren präsentieren. Es ist eine Herausforderung für die Ausstellungsgestaltung, persönlicher, verletzlicher, roher und unvollständiger zu sein. Wir müssen erkennen, dass auch wir unzureichend sind, dass auch wir nicht alles wissen.

Tun Ausstellungen nicht oft so, als wüssten sie es eben doch?

Ich würde sagen, es ist ein größeres Problem, dass es so wirkt, als würden Institutionen und Initiativen den Dialog miteinander einstellen. Jeder will die "erste", "originelle" und "intelligente" Ausstellung machen. Vielleicht ist es an der Zeit, bescheidener zu sein und Zweifel an der Autonomie von Ausstellungen zu hegen. Wir müssen anfangen, diese Dinge als eine Ökologie von Ausstellungen und anderen Ausstellungstraditionen zu betrachten. Ich hätte mir gewünscht, dass die Documenta im letzten Jahr eine eingehendere Diskussion darüber geführt hätte. So wie es sich auf dem Papier liest: Hier ist etwas Innovatives, das aus Südostasien oder aus Indonesien kommt. Aber was sind die problematischen Aspekte dabei? Das kann nur einordnen, wenn man es in das Ökosystem des Ausstellungswesens und dessen Erbe einordnet. Denn die Ausstellung ist das Medium der Interpretation und Kommunikation.

Lassen Sie uns über Savvy in der Berliner Ökologie sprechen. Im Moment haben Sie eine Kooperation mit dem Gropius Bau. Wer profitiert davon? Savvy, weil Sie an Sichtbarkeit gewinnen, oder eher der Gropius Bau, weil er von Ihnen "Offspace-Glaubwürdigkeit" bekommt?

Für mich ist es gut, dass die Leute den Unterschied sehen. Die Gegenüberstellung ermöglicht es den Menschen, die Unterschiede im Ausstellungsmachen und auch in der Art zu betrachten, wie Institutionen wie Savvy das Seherlebnis kultivieren. Die Menschen in Europa haben das Privileg, in einem musealen Umfeld und mit der Präsenz von Kunst und Künstlern im Allgemeinen sozialisiert zu werden, was im Rest der Welt nicht der Fall ist. Savvy repräsentiert in gewisser Weise den Rest der Welt: dass es eine andere Landschaft des Betrachtens und Machens von Dingen gibt. Eine andere Zusammenstellung von dem, was künstlerisch oder kuratorisch ist. Das ist ebenso legitim und qualitativ hochwertig wie das, was in diesen stabileren Institutionen angeboten wird. Und es wird bleiben und ist ein regelmäßiger sichtbarer Raum.

Savvy ist ein wichtiger Raum für verschiedene migrantische Communitys hier im Wedding und in Berlin. Aber die Sprache, die verwendet wird, ist meist akademisches Englisch, und nicht jeder ist mit den dekolonialen Diskursen vertraut, die oft im Programm auftauchen. Ist Savvy also wirklich für alle?

Das ist die Verbindung zu der Idee, dass wir Ausstellungen persönlicher gestalten: Es erlaubt uns, andere Ausdrucksformen und andere Arten der Übersetzung als nur Text oder Sprache oder Ausstellungsdesign zu finden. Eine der letzten Projekte hier hat sich sich mit Protestliedern über den Widerstand auf den Philippinen befasst. Meine Kollegen sagen, dass einige Leute in den Ausstellungsraum kamen, ohne die Sprachen der Lieder zu kennen, weil sie etwas anderes hören wollten, andere Register für ihre Ohren. Aber das ist nur ein Schritt. Wichtig ist, dass die Zugänglichkeit und der Gedanke der Übersetzung nicht nur von einer Kunstinstitution aufgegriffen wird, sondern von einer Gemeinschaft von Institutionen. Savvy hört nicht bei Savvy auf. Das wird die Grundlage für das sein, was wir in den nächsten Jahren tun werden. Wir wollen offen sein für ein neues Publikum und uns auf etwas einlassen, das näher und nachbarschaftlicher ist.

Was heißt das genau?

Es bedeutet, Berlin als eine Asemmblage vieler Kulturen und Realitäten zu betrachten, die sich in Bezirken, Kiezen und kleinen Kreuzungen wiederfinden. Die Kunstinstitution sollte ein notwendiger öffentlicher Nachbar sein. Uns interessiert auch die Frage, was eine Kunstinstitution von ihren Nachbarn braucht und wie beide ihre Interessen teilen können, damit sie sich auf Augenhöhe begegnen und mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede haben. Das haben wir während der Pandemie erkannt: dass wir einen Bezirk nicht von gloablen Vorgängen isolieren können. Ich sage den Kollegen in Berlin immer, dass wir vorsichtig und strategisch vorgehen müssen, denn viele andere Kunstinstitutionen und Gemeinschaften auf der ganzen Welt schauen sich an, was Savvy macht. Es gibt einen Druck für unabhängige Kunstinstitutionen, sich so zu verhalten, dass sie weiterhin ethisch sind, aber gleichzeitig auch ein gewisses Qualitätsniveau in Bezug auf ihre Arbeit aufrechterhalten.

Ist das ihr Eindruck? Auf der Documenta hörte man öfters von Künstlerinnen und Künstlern, sie würden gar nicht mehr "nach Westen" schauen ... 

Es ist eine Mischung, denn einerseits ist die Ökologie von, sagen wir, Jakarta sehr spezifisch, was die von Künstlern betriebenen Räume angeht. Aber das ist nicht die einzige Ökologie, die die gesamte Kunstlandschaft ausmacht. Ich kritisiere, dass ein gewisser Teil der sogenannten internationalen Kunstwelt nur in den "unabhängigen künstlergeführten" Sektor in Südostasien investiert hat. Und das geht insofern nach hinten los, als dass sie ein sehr enges Verständnis von Kollektivität und Unabhängigkeit in Bezug auf Kunst, Gesellschaft und globale Ströme haben. Weil sie die Existenz anderer Institutionen nicht wirklich mit einbezogen haben. Die internationale Kunstwelt hat das gefördert, was sie sehen wollte und wie sie Südostasien lesen wollte. Es ist produktiv, darüber zu spekulieren, wie Entscheidungsträger in größeren Netzwerken der internationalen Kunst alte Dichotomien und Binaritäten in lokalen Kontexten normalisiert oder neue ermöglicht haben.

Was wurde dabei übersehen?

Die Verbindungen von Geschichten, Praktiken und Gemeinschaften werden ständig übersehen. In Ermangelung einer stabilen vergleichenden Rubrik ist ein schärferes Instrumentarium und eine enorme Menge an Geduld erforderlich, um den diskursiven Lärm der "Power Entrepreneurs" zu durchdringen. Ich habe viele Fälle erlebt, in denen wohlmeinende Kollegen zu mir kamen und sagten: Oh, du bist nicht typisch südostasiatisch, weil du nicht zu einem Kollektiv gehörst. Ich freue mich für sie, dass sie wissen, was Kollektivität ist und wer Südostasiaten sind. Die Bezugnahme auf eine einzige globale Zivilgesellschaft ist ein weiteres Anliegen. Sie setzt ein universelles ethisches System voraus, das annehmbare Verhaltensweisen für das Zusammenleben und die Lösung von Konflikten vorschreibt.

Und diese Lösungen passen nicht?

Damit wird zum Beispiel definiert, wie Freundschaft oder Solidarität aussehen. Das kultiviert reaktionäre Positionen, die in der Sprache radikal erscheinen. Ich denke außerdem über den Einfluss des Managements auf kuratorische Entscheidungen und auf die Gestaltung von Verantwortung nach. Die künstlerischen Praktiken haben sich in den letzten zehn Jahren rasant entwickelt, aber das Management, einschließlich der Verhaltenskodizes und der Abläufe in den Institutionen, ist nach wie vor entwicklungsorientiert, also von einer NGO-Logik geprägt. Letztendlich muss die Rolle des Managements von Künstlern, Kuratoren und den so genannten "unabhängigen" Kulturschaffenden weiter bewertet werden.

Aufgrund des Antisemitismus-Skandals bei der Documenta gab es kaum einen Raum, um über solche Themen zu sprechen ... 

Ja, und ich denke, dass die Geschichte der Institutionen und die Rolle des Staates in die Diskussionen mit einbezogen werden müssen. Unabhängig davon, wie schwierig diese Geschichten sind, müssen sie in der Praxis des Ausstellungsmachens, des Managements, der Verwaltung und so weiter angesprochen werden. Es gibt eine Menge unangebrachten Anti-Institutionalismus, eine fehlgeleitete Institutionskritik. Aber ich sage nicht, dass das nicht gesund ist. Das Gespräch muss nuanciert sein. Gespräche müssen fließen. Der Diskurs ist nie isoliert. Man kann nicht einfach sagen: "Die internationale Ebene ist uns egal".

Savvy hat sich aktiv an der Debatte über die Umbenennung von Berliner Straßen mit kolonialem Erbe beteiligt. Gleich gegenüber befindet sich der Nettelbeckplatz, der nach einem Seefahrer benannt ist, der vom Sklavenhandel profitierte und Befürworter des Kolonialismus war. Für den Platz wird gerade ein neuer Name gesucht. Wollen Sie sich auch an dieser Diskussion beteiligen?

Umbenennungen sind wichtig, und sie müssen stattfinden. Aber ich denke, wir müssen Wege finden, um über Kontinuität nachzudenken und nicht nur einen Straßennamen nach dem anderen zu ändern. Manchmal reizt uns das unmittelbare Ergebnis: zu sehen, dass ein Name geändert wurde oder die Vielfalt der Menschen an einem Ort. Aber was machen wir danach? Wir haben den Raum für People of Color und für eine andere Art von Diskurs geöffnet. Der nächste Schritt ist die Pflege und Instandhaltung. Wie stellen wir sicher, dass diese Gespräche fortgesetzt und tatsächlich umgesetzt werden? Wir müssen nach strukturellen Veränderungen suchen, sowohl in Bezug auf die Software als auch auf die Hardware der Institutionen. Das bedeutet auch, stabile Positionen für Menschen zu schaffen, die dafür sorgen, dass diese Dinge angesprochen werden.