Security-Personal kuratiert Ausstellung

"Der Beruf des Museumswärters ist definitiv unterschätzt"

Niemand kennt ein Museum besser als das Wachpersonal - trotzdem wird es selten nach seiner Meinung gefragt. Das Baltimore Museum of Art hat nun eine Ausstellung von seinen Security Guards kuratieren lassen. Wir haben mit einem von ihnen gesprochen 

Museumswärterinnen und -wärter gehören zu jedem Ausstellungsbesuch, werden aber oft nur als strenge Spielverderber wahrgenommen, die jeden Übermut in den heiligen Hallen sofort sanktionieren. Dabei verbringt niemand so viel Zeit in den Museumsräumen wie sie - und viele kennen die Kunstwerke sogar besser als manche Kuratorinnen und Kuratoren. Außerdem ist dieser (oft unterbezahlte) Bereich der Museumsarbeit viel diverser besetzt als die kuratorischen oder wissenschaftlichen Abteilungen der Institutionen. Viele der Guards sind außerdem selbst Künstlerinnen und Künstler, die sich etwas dazuverdienen.

Das Baltimore Museum of Art hat nun die Ausstellung "Guarding The Art" von 17 Mitgliedern seines Security Teams zusammenstellen lassen. Alle Teilnehmenden konnten sich Werke aus der Sammlung des Hauses aussuchen, die bis Anfang Juli zusammen gezeigt werden. Wir haben einen der Kuratoren, den Museumsaufseher und Künstler Chris Koo, gefragt, wie er das Projekt erlebt hat und was das Aufpassen im Museum für ihn bedeutet. 


Chris Koo, was ist für Sie die schlimmste Angewohnheit von Museumsbesuchern?

Es ist vielleicht ein Klischee, aber mich stört, wenn Leute unvorsichtig sind und zu nah an die Werke herangehen. Außerdem gibt es immer wieder Personen, die uns Dinge fragen, die sie ganz offensichtlich schon wissen. Sie wollen uns testen und sich überlegen fühlen.

Wie regieren Sie da?

Ich versuche, so verständnisvoll und ruhig wie möglich zu bleiben. Ich möchte keine Besucherinnen oder Besucher verschrecken, schließlich kommen sie aus Interesse an der Kunst in unser Museum. Ich will keine Diskussion anfangen, deshalb erzähle ich meistens, was sie hören wollen. Aber ich hoffe, dass die Ausstellung "Guarding The Art" mehr echten Austausch zwischen uns und dem Publikum fördern kann. 

Wie sind Sie Museumswärter geworden? War das eine pragmatische oder eine Interessens-Entscheidung?

Ein bisschen von beidem. Ich habe mich schon immer für Kunst und Malerei interessiert, aber ich war in meinem Alltag nicht wirklich davon umgeben. Ich wollte mehr Kunst in meinem Leben und Menschen treffen, die auch eine Leidenschaft dafür haben. Ich hatte keine Abschlüsse, die für andere Positionen in der Kunstwelt nötig sind, deshalb bin ich Museumswärter geworden. Ich bin sehr glücklich, von so vielen großartigen Werken umgeben zu sein. 

Museumswärter ist ja ein körperlich sehr anstrengender Job. Können Sie auch noch so denken, wenn Sie acht Stunden auf den Beinen waren?

Ja. Meine Liebe zur Kunst überstrahlt das alles. An jedem Tag.

Das klingt ziemlich hingebungsvoll. Glauben Sie, dass es vielen Ihrer Kollegen genauso geht? Oder macht es letztlich keinen so großen Unterschied, ob man ein Museum, einen Supermarkt oder ein Verwaltungsgebäude bewacht?

Es ist interessant, weil viele meiner Kolleginnen und Kollegen erstmal verneinen würden, Künstler oder künstlerisch tätig zu sein. Aber wenn man sich länger mit ihnen unterhält, kommt oft doch heraus, dass sie irgendwann Kunst gemacht haben oder eine tiefe Wertschätzung für Kunst haben. Vielleicht ist diese Motivation nach einiger Zeit in dem Job nicht mehr so präsent, aber sie ist definitiv verbreitet. Ich kann nicht für alle anderen sprechen, aber für mich ist ein Museum auf jeden Fall ein besonderer Ort. 

Wie bekommen Sie die Zeit herum?

Es hat ein bisschen gedauert, meinen Geist darauf zu trainieren, immer etwas Neues zu sehen. Aber wenn man mit einer offenen Haltung in jeden Raum geht, auch wenn man schon hundert Mal dort war, gibt es immer etwas zu entdecken und zu lernen. Ich höre auch Musik beim Arbeiten, aber nur so, dass Interaktion mit dem Publikum trotzdem noch möglich ist. Ich versuche meistens, keine Gespräche zu belauschen, aber manchmal geht es nicht anders. Das kann unterhaltsam sein. Das Museum ist auch ein Ort der Begegnungen. Ich mag es zu sehen, wie Menschen auf die Werke reagieren. Es gibt eine interessante Dynamik. Viele ältere Besucher kommen für ihre ganz eigene Erfahrung ins Museum und wollen keine Geräusche oder Unterhaltungen in den Ausstellungsräumen, weil sie das störend finden. Die Jüngeren tauschen sich eher über das aus, was sie sehen. Sie wollen ein Gemeinschaftserlebnis. Und das ist es auch, was wir mit unserer Ausstellung ermöglichen wollen. 

Als der Aufruf an alle Security Guards kam, sich an der Ausstellung "Guarding The Art" zu beteiligen, wussten Sie sofort, dass sie mitmachen wollen?

Nein gar nicht, ich hatte große Zweifel, ob ich dem gewachsen bin. Aber dann dachte ich, dass das eine Möglichkeit ist, mit der ich nicht gerechnet hatte und die ich ergreifen sollte. Ich wollte einfach sehen, wohin das gehen kann, und es hat sich bisher absolut gelohnt. Der Prozess war sehr interessant und wir haben alle viel gelernt. Die Ausstellung ist sehr vielfältig geworden und lebt von unseren verschiedenen Blickwinkeln. Wir haben zuerst versucht, die einzelnen Kunstwerke auszuwählen und dann ein Thema für die Ausstellung zu finden, aber das hat nicht wirklich funktioniert. Jetzt steht unsere persönliche Sicht auf die Arbeiten im Vordergrund. Da hängen religiöse Bilder aus dem 16. Jahrhundert neben einer zeitgenössischen Arbeit von Mickalene Thomas, in der es um soziale Ungleichheit geht, und einem abstrakten Gemälde von Mark Rothko. Das ist aufregend zu sehen. Ich hoffe, dass das Publikum in diese Räume kommt, sich fragt, wie diese Auswahl zustande kommt und sich dann tiefer damit auseinandersetzt. 

Sie haben sich Philip Gustons "Oracle" von 1975 und Mark Rothkos "Black Over Red" von 1957 ausgesucht. Warum diese Werke? 

Philip Guston ist ein sehr wichtiger Künstler für mich. Ich habe keine professionelle Malerei-Ausbildung, aber seine Arbeit hat mich sofort beeindruckt, und dann habe ich mich tiefer eingelesen. Ich finde, er hat mit kompletter Freiheit und Aufrichtigkeit gemalt, ohne den Trends der Kunstwelt zu folgen. Das bedeutet mir viel für meine eigene Kunst. Er hat das gemalt, von dem er dachte, dass die Welt es sehen muss. Und Mark Rothko Farbräume berühren einen einfach auf eine tiefe und emotionale Art, die schwer in Worte zu fassen ist. Die Erfahrung ist für jeden Menschen anders und sehr persönlich, aber trotzdem irgendwie universell. 

Haben Sie schon in "Ihrer" Ausstellung Aufsicht gehabt?

Noch war ich dort nicht eingeteilt, aber ich hoffe, dass das bald passiert. Meine Kolleginnen und Kollegen haben erzählt, dass das Feedback sehr positiv ist. 

Museen reden immer darüber, dass sie ein diverseres Publikum und auch Mitarbeitende mit verschiedenen Hintergründen haben wollen. Die diverseste Gruppe in Museen, die schon da ist, ist wahrscheinlich das Wachpersonal. Werden Sie zu wenig gesehen?

Ich denke schon. Ich hoffe, dass die "höheren" Positionen im Museum durch die Ausstellung aufmerksamer für diese Menschen werden. Aber ich verstehe auch, dass das Zeit brauchen wird. Unser Projekt hat auf jeden Fall dazu geführt, dass sich alle Abteilungen stärker verbunden gefühlt haben. Ich hoffe, dass das so bleibt. 

Wird Ihr Beruf unterschätzt? 

Er wird definitiv unterschätzt und verdient mehr Anerkennung. Bevor ich selbst angefangen habe, in dem Job zu arbeiten, habe ich die Security Guards im Museum oft auch nicht beachtet oder wertgeschätzt. Und ich musste ehrlich gesagt auch einen Teil meines Egos beerdigen, um mich als Museumsaufsicht zu bewerben. Es ist eine Erfahrung, die Demut lehrt. 

Sie malen auch selbst. Ertappen Sie sich manchmal dabei, dass Sie von dem beeinflusst werden, was Sie im Museum sehen?

Ja, das ist wohl so. Wenn ich male, versuche ich, nicht zu viel zu denken, aber später merke ich, dass die Werke tatsächlich Ausstellungen reflektieren, die gerade laufen. Im Moment gibt es zum Beispiel eine großartige Schau der Malerin Joan Mitchell. Seitdem sind meine Pinselstriche expressiver geworden, und ich habe mit abstraktem Expressionismus experimentiert. Oder wenn ich viel Zeit in den Räumen mit religiöser europäischer Kunst verbracht habe, denke ich an meine eigene Erziehung und male etwas dazu. Gerade arbeite ich aber an Bildern, die eine Hommage an meine Kolleginnen und Kollegen bei "Guarding The Art" sein sollen und sich mit ihren ausgewählten Werken aus der Ausstellung beschäftigen.  

Im Corona-Lockdown wurden auch in den USA Museen geschlossen. Wie haben Sie diese Zeit erlebt? 

Wir haben sehr viel Glück gehabt, denn das Museum hat sich gut um uns gekümmert. Niemand wurde entlassen, und wir wurden auch in den Schließzeiten weiter bezahlt. 

Wir haben am Anfang über das "Fehlverhalten" von Museumspublikum gesprochen. Wie kann man Ihnen umgekehrt als Besucherin oder Besucher den Arbeitstag angenehmer machen? 

Ich möchte dem Publikum keine Vorschriften machen, wie es sich verhalten soll. Aber jede Interaktion, die sich ehrlich und aufrichtig anfühlt, wenn Leute Interesse und Empathie zeigen, ist ein schöner Moment.