Kunstprojekt über trinkende Frauen

"Alkohol hat ein patriarchales Element"

Die Fotografin Stefanie Moshammer nähert sich großen Themen über persönliche Erfahrungen. In ihrem neuen Projekt geht es um die Alkoholsucht ihrer Mutter. Ein Gespräch über trinkende Frauen und Bilder des Rauschs


Stefanie Moshammer, Alkoholismus ist lange fast ausschließlich auf Männer bezogen untersucht worden. In letzter Zeit mehren sich Artikel über Sucht bei Frauen. Wie sind Sie selbst auf das Thema gekommen?

Mich hat das Thema weiblicher Alkoholismus aufgrund eigener Familienverhältnisse schon lange beschäftigt. Mit einer alkoholkranken Mutter aufzuwachsen begleitet einen das ganze Leben. Eine Suchtkrankheit ist keine zu heilende Erkrankung. Sie lässt sich therapieren, jedoch verschwindet sie nicht einfach. Mich künstlerisch mit dem Thema auseinanderzusetzen war eher ein Prozess und eine etwas längere Entscheidung.

Auch eine Ihrer früheren Arbeiten begann mit einem Brief. Zuletzt hatten Sie Ihre eigene Geschichte mit einem Stalker zu einer eindringlichen Fotoarbeit gemacht, die bei C/O Berlin ausgestellt war. Ihre Werke gehen von Ihrem privaten Erleben aus, und Sie legen das auch offen. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?

Inhaltlich unterscheiden sich diese beide Arbeiten sehr, jedoch beziehen sich beide auf eine persönliche Erfahrung. Meine Arbeit "I can be her" handelt von einer absurden Idealisierung eines Frauenbildes und thematisiert den "American Dream". Ein mir unbekannter Mann verfasste einen Brief an mich. Eine eher groteske Liebesbotschaft. In "Each Poison, A Pillow" nehme ich einen selbstverfassten Brief als Anhaltspunkt, der an das "Christkind" adressiert war. Mein Wunsch als damals 7-Jährige war, dass meine Mutter hoffentlich nie wieder betrunken sein wird. Die Offenlegung einer so privaten Familiengeschichte war notwendig, um der Arbeit einen Kontext zu geben. Es ist der Bogen zu einer Tatsache, die in meiner Arbeit über eine persönliche Erfahrung hinaus ausgebaut wird. Somit geht es nicht ausschließlich um eine persönliche Familiengeschichte und erlaubt mehr Freiheiten in der Umsetzung.

Sie verhandeln von sehr privaten Situationen ausgehend große Themen.

Das Persönliche und Allgemeingültige zu vermischen zieht sich stets durch meinen Arbeitsprozess. Durch die eigene Erfahrung wird das Allgemeine weniger beliebig. Erst die erlebte Geschichte gibt einem eine aussagekräftige Stimme zu einem Thema, finde ich.

Ihre Recherchen zum Thema Frauen und Alkohol sind sehr umfassend. Was hat Sie bei Ihrer Suche überrascht, welche Erkenntnisse finden Sie bemerkenswert?

Ich finde, dass das Thema bereits sehr gründlich erfasst ist, allerdings wird es leider bis dato nicht sehr umfangreich medial aufgegriffen und behandelt. Ich hatte mich bei meiner Recherche auch mit dem Therapeuten meiner Mutter unterhalten, der vor allem suchtkranke Menschen behandelt. Was ich interessant fand, war die Tatsache, dass Alkoholismus bei Frauen meist eine sekundäre Erkrankung ist. Primär existiert eine psychische Belastung, und der Alkoholismus ist eine Folgeerscheinung. Beim männlichen Alkoholismus existiert meist zuerst ein Suchtproblem, das zu einem Sekundärproblem führt. Das hatte ich so noch nicht gehört. Dabei stelle ich mir die Frage, ob es es daran liegt, dass Frauen gesellschaftlich mehr psychischen Belastungen ausgesetzt sind.

Mich hat die ganz offene Gleichsetzung von Alkoholika und sexueller Verfügbarkeit in der Werbung der 70er- und 80er-Jahre bestürzt.

Diese Werbung richtete sich eindeutig an Männer, aber sie hat auch eine große Wirkung auf Frauen. Darüber wurde noch nicht viel nachgedacht, scheint mir. Ja, diese Werbungen richten sich hauptsächlich an Männer, da Alkohol ein patriarchales Element darstellt. Alkohol verkörpert Männlichkeit, und dieser Alkohol verkauft sich eben noch besser, wenn eine Frau leicht bekleidet oder sexualisiert dargestellt wird. Alkohol trinkende Frauen werden oft als sexuell verfügbar wahrgenommen, Männer hingegen nicht. Glücklicherweise sind die meisten dieser Werbungen veraltet und stellen ein verstaubtes Frauenbild dar, jedoch haben diese Anzeigen ein gewisses Bild geprägt, das immer noch vorherrscht.

In Ihrer kommenden Ausstellung in der Schweiz zeigen Sie Bilder aus dem privaten Familienalbum. Es sind Ausschnitte von Fotos Ihrer Mutter, auf denen auch immer irgendwo im Bild eine Flasche oder ein Glas zu sehen ist. Bilder, die es in allen Familien gibt. Es ist offensichtlich, aber man sieht es nicht, das macht es so bedrückend.

Bei meiner Recherche in unserem Familienalbum bin ich auf zahlreiche Bilder gestoßen, wo meine Mutter trinkend abgebildet ist. Hier verschwimmt Norm und Verfänglichkeit. Wann erkennt man, ob ein Mensch ein Alkoholproblem hat? Frauen, aber auch Männer, trinkend zu sehen gehört zur Norm. Meist ist das Gegenteil eher verfänglich, und man muss sich einer Gesellschaft stellen, die meist intolerant und kritisch mit Konsumverzicht umgeht.

Seit ich mich mit Ihrer Arbeit beschäftige, fällt mir die große Anzahl erhobener Gläser in den Händen junger Frauen auf Instagram auf. Es ist ein sehr häufiges Motiv, oft als Selfie. Was ist da Ihrer Meinung nach los?

Wir leben in einer hedonistischen Gesellschaft und Alkohol ist ein gesellschaftlich anerkanntes Genussmittel. Die Verkörperung einer gewissen Freiheit ist ein kapitalistisches Gut. Zu trinken bedeutet, sich zu gönnen, das Leben zu feiern, Ausgelassenheit zu zelebrieren. Dass es hier eine Kehrseite gibt, wird nur selten adressiert. Ich bin Alkohol nicht abgeneigt, aber mein Blick auf Alkohol ist nicht immer ein positiver. Ein Genussmittel kann auch schnell zu einem Giftmittel werden.

Die Ausstellung heißt "Each Poison, A Pillow". Was hat es mit Kissen für Sie auf sich?

Unter anderem wurden die eben genannten Bilder auf Kissen gedruckt. Ebenso finden sich Fragmente eines von mir verfassten Textes auf den Kissen. Erst durch das Zusammenfügen der Kissen ist dieser Text entschlüsselbar. Die Kissen repräsentieren für mich etwas Häusliches, und damit ein gewisses Wohlgefühl. Auf den Kissen sind jedoch eher verstörende Bilder zu sehen. Der Großteil von weiblichem Alkoholismus wird im Häuslichen ausgetragen. Es ist selten der Fall, dass eine Frau jede Nacht in eine Kneipe geht, um sich dort volllaufen zu lassen. Meist findet der Konsum verdeckt statt. Menschen, die Alkohol, oder auch andere berauschende Substanzen zu sich nehmen, erwarten sich ein beruhigendes Gefühl. Es gibt einem emotionalen Komfort, was ebenfalls ein Verweis auf die Kissen ist. Ein schmaler Grat zwischen Genuss und Gift. Jedes Gift, eine Entspannung - Each Poison, A Pillow.

Es gibt eine eindringliche Gegenüberstellung, ein Mehrkanal-Video mit dem Auge Ihrer Mutter und Ihrem eigenen. Sie nehmen den Blickwinkel des anderen ein. Ein Kommunikationsangebot, das Ihre Mutter offenbar angenommen hat, oder?

Diese Mehrkanal-Videoinstallation besteht aus sich wiederholenden Videos, in denen meine und die Augen meiner Mutter zu sehen sind. Wir stehen uns quasi Auge in Auge durch Zwischenschaltungen gegenüber. Jeder Blick drückt eine andere Emotion aus, wobei ich – als Tochter – gleichzeitig versuche, den Ausdruck meiner Mutter zu adaptieren. Dabei versuche ich, mich in ihren emotionalen Zustand zu begeben. Gleichzeitig agiert das Auge auch als eines der stärksten Hinweise, ob jemand getrunken hat. Ich wollte aber auch, dass die Arbeit teilweise losgelöst von dem Thema erlebbar ist.

Ihre Mutter kommt auch als Performerin in einem Video vor. Wie hat sie Ihre Idee umgesetzt?

Ich sehe diese Arbeit als eine Gemeinschaftsarbeit zwischen Mutter und Tochter, in der ich versuche, ihren Kampf gegen Alkoholismus und die Auswirkungen auf mich als Tochter zu visualisieren. In einem Teil der Arbeit ist meine Mutter in unterschiedlichen Positionen zu sehen, wobei sie jeweils verschiede Flaschen auf ihrem Körper balanciert. Diese Positionen zeigen die Stärke, der sie widerstehen muss, bis es zu dem Punkt kommt, an dem die Flaschen die Balance verlieren. Eine ständige Gratwanderung zwischen Stärke und Schwäche. Dazu kommt das klirrende Geräusch der fallenden Glasflaschen, das einen zusammenzucken lässt.

Ein anderer Film, den Sie zeigen, ist ein Zusammenschnitt von found footage sturzbetrunkener jungen Frauen. Sie fallen aus Taxis, rennen ungebremst gegen Schaufenster oder stürzen vom Tisch. Was interessiert Sie daran?

Es zeigt einen Blick auf das Alltägliche. Diese Videozusammenstellung bewegt sich zwischen Komik und Erschrecken, je mehr man davon sieht, desto verstörender erscheinen einem diese Frauen. Wie oft kommt es vor, dass man betrunkene Frauen in der Öffentlichkeit sieht, und fast jedem ist das selbst schon mal passiert. Ich, und auch viele meiner Freundinnen, könnten Teil dieser Videos sein. Und es kam sehr oft vor, dass ich mir selbst die Frage gestellt habe: Besteht die Gefahr, alkoholkrank zu werden? Gleichzeitig will ich der Arbeit nicht zu viel Schwere geben. Ich übe hier keine Kritik aus. Wie bereits erwähnt - manches sollte auch losgelöst von dem Thema funktionieren und auf unterschiedliche Weise lesbar sein. Es geht eben darum, einen anderen Blick zu bekommen, der nicht nur deprimierend und bekümmernd ist.