Nazi-Künstler in der BRD

"Es zeigt sich, wie halbherzig der Schlussstrich gezogen wurde"

Gab es eine "Stunde Null" in der deutschen Nachkriegskunst? Der Kunsthistoriker Wolfgang Brauneis sagt nein. Im DHM Berlin kuratiert er eine Ausstellung zu NS-nahen Künstlern, die in der jungen BRD erfolgreich weiterarbeiteten

Die These vom sauberen Neustart nach der Naziherrschaft ist auch hinsichtlich des westdeutschen Kunstbetriebs nicht haltbar. Das belegt zurzeit die Ausstellung "Documenta. Politik und Kunst" im Deutschen Historischen Museum in Berlin (lesen Sie eine Rezension hier). Nun beschäftigt sich eine zusätzliche Schau im DHM mit dem Wirken von im Nationalsozialismus geförderten Künstlern, die zwar nicht zu Documenta-Ehren kamen, aber in der BRD und in Österreich ihre Arbeit erfolgreich fortsetzen konnten.

In der von ihm kuratierten Ausstellung "Die Liste der 'Gottbegnadeten'" widmet sich der Kunsthistoriker Wolfgang Brauneis diesen problematischen Nachkriegskarrieren und ihrer öffentlichen Wahrnehmung. Es gab erstaunlich wenig Kritik an Aufträgen für Künstler von Hitlers Gnaden, stellt Wolfgang Brauneis im Monopol-Gespräch fest.

Wolfgang Brauneis, in der Ausstellung "Die Liste der 'Gottbegnadeten'" behandeln Sie die Nachkriegskarrieren erfolgreicher Künstler des Nationalsozialismus. Wie sind Sie auf das Thema gekommen?

Der erste Anstoß war ein biografischer. Vor acht Jahren habe ich mich mit dem Bruder meines Großvaters beschäftigt, Lothar Sperl, einem recht erfolgreichen Maler im Nationalsozialismus, der auch mehrmals in der "Großen Deutschen Kunstausstellung" im Münchner Haus der Deutschen Kunst vertreten war. Als ich auf eine Wandarbeit von ihm aus den späten 1950ern am Rathaus von Traunreut stieß, bemerkte ich, wie er hier sein bekanntestes Werk von 1942 sozusagen sampelte. Die drei Männer bei der Rodung auf dem älteren Gemälde wurden später in eine Art Wiederaufbaubild integriert. Das fand ich wahnsinnig spannend, und ich überlegte: Wie haben das die Leute wahrgenommen, die das Bild aus der "Großen Deutschen Kunstausstellung" kannten? Gab es mehrere solcher Fälle? Ich habe mich also auf die Suche nach Künstlern gemacht, die sich nach dem Krieg zwar formalästhetisch ein wenig anpassten, ansonsten aber ihre alten Traditionslinien weiterverfolgten. Ich bin sehr fündig geworden.

Hat Sie das überrascht?

Allerdings. Ich hatte mich auf Recherchen nach tendenziell halbseidenen Galerien und Verkäufen unter dem Ladentisch eingestellt. Aber ich stieß auf Kunst im öffentlichen Raum, geschaffen von Künstlern des Nationalsozialismus, gefördert von Industrie, Politik, Wirtschaft und Kirche. Dass es solche Großaufträge gab – das hat mich schon erstaunt.

Wir reden aber nicht über die Documenta, die parallel im DHM verhandelt wird,  sondern –  sieht man mal von dem bekennenden Nazi Emil Nolde ab, der 1955 in der ersten Kasseler Weltkunstschau ausstellte – von Künstlern, die in der zweiten Reihe weitermachten.

Ja, diese an Künstler des Nationalsozialismus vergebenen Aufträge zeigen, wie halbherzig der Schlussstrich gezogen wurde, wie problematisch die Behauptung einer "Stunde Null" nach dem Krieg war. Denn diese Werke waren ja öffentlich sehr präsent, auch wenn es keinen kritischen Diskurs darüber gab. Es wurde in Tageszeitungen darüber berichtet, das schon, es gab Berichte über diese und jene Denkmalenthüllung, aber eben keine Diskussionen darüber. Gestritten wurde de facto nur in einem Fall. Das ist sehr interessant: Die kunstaffine Öffentlichkeit stürzt sich einerseits auf die wiederentdeckte Moderne, anderseits schert sie sich ziemlich wenig darum, was sonst noch so stattfindet.

Was war das für eine Ausnahme, die doch heiß diskutiert wurde?

Das war ein etwa 27 Quadratmeter großer Gobelin mit dem Titel "Die Frau Musica" von Hermann Kaspar, der mit dem Entwurf 1965 einen Wettbewerb für die künstlerische Ausgestaltung der Nürnberger Meistersingerhalle gewonnen hatte. Heute kennt den Künstler kaum jemand mehr, aber er war an fast allen künstlerischen Großprojekten der Nazis beteiligt, an der Neuen Reichskanzlei, dem Reichsparteitagsgelände, dem Haus der Deutschen Kunst und anderen. In den 1950ern und 1960ern hatte Kaspar unglaublich viele Großaufträge. Das Frappierende an dem Teppich war, dass die Meistersingerhalle eigentlich direkt neben dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände steht. Als der Literaturkritiker Hans Bertram Bock von dem Auftrag erfahren hatte, schrieb er einen ausführlichen Artikel über Kaspar und dessen Karriere im Nationalsozialismus. Das führte zu heftigen Diskussionen, einer Sondersitzung des Stadtrats und Texten in der Tagespresse, bis hin zur "Süddeutschen Zeitung". Die Causa Kaspar war auch deswegen brisant, weil der Künstler eine Professur an der Münchner Akademie hatte – die meisten Künstler des NS haben ja ihre Professuren wiederbekommen, vor allem in Düsseldorf und München. Gegen Hermann Kaspar gab es auch Proteste an der Akademie, inklusive einer kleinen Ausstellung und einer Broschüre über ihn und seine Karriere, organisiert vom AStA der Hochschule. Das war also ein besonderer Fall.

Einige der Künstler durften dann sogar NS-Gedenkstätten ausgestalten. So etwas wurde nicht kritisiert?

Nein, und das ist wirklich bemerkenswert. Anfang der 1960er gestaltete Willy Meller eine Monumentalskulptur für das erste westdeutsche NS-Dokumentationszentrum, in Oberhausen. Die Entrüstung darüber blieb aus, erstaunlicherweise, denn Meller war einer der erfolgreichsten Bildhauer im Nationalsozialismus gewesen. Er wurde unter anderem mit der Bauplastik für NS-Ordensburgen oder dem KdF-Seebad Prora beauftragt. Dass dieser Künstler eine figürliche Plastik vor diesem Dokumentationszentrum errichten durfte, das war einer der Momente während der Recherche, in denen ich dachte, ich werde bekloppt. Kunst war im Nationalsozialismus sehr populär. Es gab viele Ausstellungen, Kunstzeitschriften, Postkarten, Kunstdrucke – in Sachen Merchandising waren die Nationalsozialisten wirklich durchaus modern. 1962 müssen viele Leute gewusst haben, wer Willy Meller ist. Trotzdem gab es keinen Widerspruch.

Die Künstler, die sie in der Ausstellung behandeln, standen allesamt auf der "Gottbegnadeten"-Liste. Wer dort vermerkt war, neben bildender Kunst umfasste sie auch Persönlichkeiten aus Literatur, Musik und Theater, war aufgrund ihrer oder seiner Bedeutung für den nationalsozialistischen Kulturbetrieb vom Arbeitseinsatz und Wehrdienst befreit. Wie nachvollziehbar ist diese Liste heute?

Sie ist ein bisschen lückenhaft. Mich wundert zum Beispiel, dass der Maler Franz Eichhorst, auch Lehrer von Lothar Sperl, nicht draufstand. Ebenso fehlen manch angesehene Bildhauer wie Fritz Koelle oder Kurt Schmid-Ehmen. Aber es sind sicherlich etwa 90 Prozent der – nach heutiger Kenntnis – wichtigsten Künstler der Hitlerzeit verzeichnet. Manchmal wundert man sich auch über Einträge. Willy Kriegel ist verzeichnet, ein Maler leicht surrealer, düsterer Landschaftsbilder, die eher untypisch für die Zeit waren. Da habe ich allerdings gelesen, dass das Ehepaar Kriegel mit dem Ehepaar Goebbels eng befreundet war. Mitunter waren wohl persönliche Kontakte maßgeblicher als künstlerische Fragen.

Warum bestimmt die Liste die Struktur der Ausstellung im DHM?

Der Vorteil ist, dass es sich um eine, im wahrsten Sinne des Wortes, amtliche Übersicht aus der NS-Zeit handelt. Gleichzeitig ist eine Beschränkung, die dazu führte, dass wir manche interessante Fälle konsequenterweise nicht in die Ausstellung genommen haben, denn die Betreffenden standen eben nicht auf der "Gottbegnadeten"-Liste. Im Vorfeld hatte ich überlegt, ob ich die Künstlerliste der ersten Ausstellung zum Thema NS-Kunst – "Kunst im 3. Reich. Dokumente der Unterwerfung" im Frankfurter Kunstverein – zugrunde legen sollte. Aber die Liste stammt eben aus dem Jahr 1974. Man würde sich zu sehr in Diskussionen verstricken, ob der eine oder andere Künstler spezifisch nationalsozialistische Kunst produziert hat, zurecht ausgewählt wurde, ob er Parteimitglied war und so weiter. Das sind aber hier Nebenkriegsschauplätze, die vom eigentlichen Thema ablenken.

Das Thema der ästhetischen und inhaltlichen Kontinuitäten nach 1945?

Ja, und um die Karrieren der Künstler, deren Netzwerke vor und nach 1945. Wir wollten aber keineswegs herausfiltern, ob jemand überzeugter Nazi war oder nicht. Das Ziel war – etwas großkotzig formuliert – die deutsche Kunstgeschichte nach 1945 um ein Kapitel zu erweitern. Sie hat sich bisher explizit über den Bruch mit dem Nationalsozialismus definiert, es wurde oft so getan, als ob der die Kunst und die Künstler des Nationalsozialismus von der Bildfläche verschwunden wäre. Aber wie kommt es, dass selbst Leute, die sich seit zehn oder 20 Jahren ihres Lebens mit deutscher Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts beschäftigen, Hermann Kasper und Willy Meller nicht kennen? Dabei gab es kaum Maler oder Bildhauer, die in den 1950er und 60ern Jahren mehr Aufträge hatten als Kaspar, Meller, Paul Matthias Padua, Arno Breker und andere. Rein monetär gesehen waren die Genannten mit die erfolgreichsten Künstler der ersten Nachkriegsjahrzehnte. Ich finde, das kann man nicht so leicht unter den Teppich kehren.

Wie ist die Ausstellung aufgebaut?

Zunächst geben wir einen Überblick über den nationalsozialistischen Kunstbetrieb, auch um den Bekanntheitsgrad dieser Künstler unmittelbar nach 1945 nachvollziehen zu können. Dann dreht sich Ausstellung um die Auftragskunst, die Netzwerke und die städtischen Milieus nach 1945, Österreich eingeschlossen, denn einige Künstler waren dort tätig. Ein weiteres großes Kapitel beschäftigt sich mit den Ausstellungen und Reaktionen darauf. Wir haben festgestellt, dass auf Ausstellungen kritischer reagiert wurde als auf Auftragskunst. Und wir präsentieren schließlich einen Fotoauftrag mit etwa 300 Werken von "Gottbegnadeten", die hier und heute in der Bundesrepublik und in Österreich noch zu sehen sind.

Parallel ist die Schau "Documenta. Politik und Kunst" im Deutschen Historischen Museum zu sehen. Wie hängen die beiden Ausstellungen zusammen?

Als ich mit Raphael Gross vor drei Jahren zum ersten Mal über die Ausstellung sprach, hatten wir noch das Bild von "zwei Seiten der Medaille" vor Augen. Aber es stellte sich heraus, dass dieses Bild so nicht stimmt. Es gibt viele Berührungspunkte. Darunter skurrile Details, wie im Fall des Wuppertaler Stadtbaudezernenten Friedrich Hetzelt – ein im Nationalsozialismus renommierter Architekt, der unter anderem Herrmann Görings Landsitz Carinhall plante. Dieser Dezernent vergibt Arno Breker in den 1950ern einen gutdotierten Auftrag, kauft aber im selben Jahr eine Henry-Moore-Plastik an, um sie dann nach Kassel für die erste zweite Documenta auszuleihen. Man darf durchaus davon ausgehen, dass hier moderne Kunst instrumentalisiert wird.

Von der Nazikunst hieß es dann, das ist "Nichtkunst", damit beschäftigen wir uns nicht. Der "Nichtkunst"-Begriff stammt übrigens von Werner Haftmann, der inzwischen als Nazi in Verruf geratene erste Documenta-Kurator.

Haftmann hat im zweiten Documenta-Katalog auch geschrieben: "Kunst ist, was bedeutende Künstler machen." Einfach gelöst, muss ich sagen. Das Problem ist ja nur, dass Haftmann quasi als Doppelagent spricht, als Kurator und Kunsthistoriker. Als Kurator kann er natürlich persönliche Entscheidungen treffen, welche Werke ihm wichtig sind, welche nicht. Wenn aber der Kunsthistoriker dem Kurator folgt, oder umgekehrt, wird es tricky. Denn: was ist eigentlich Gegenstand der Kunstgeschichte? Die "gute" Kunst? Wenn ich hier am DHM mit Zeithistorikerinnen oder -historikern spreche, schütteln die an solchen Stellen den Kopf. Dort wäre es undenkbar, Themen, die einem nicht gefallen, gleichsam zur "Nichtgeschichte" zu erklären. Da müsste man auch über die Parameter der Kunstgeschichtsschreibung noch einmal nachdenken.

Sie haben über die Werke gesprochen, die nach wie vor im öffentlichen Raum zu sehen sind. Votieren Sie dafür, die Kunst plattzumachen oder zu kommentieren?

Von der "Nichtkunst" zur verschwundenen Kunst – das ist nicht der richtige Weg. Man sollte die Werke stehenlassen und kommentieren. Die Versuche, das über zusätzliche Kunstwerke zu tun, finde ich tatsächlich schwierig. Die Arbeiten, die man mit Kunst kritisch kommentieren könnte, haben doch bisweilen eine ziemliche Präsenz. Ein Dialog auf Augenhöhe ist eine Herausforderung. Kontextualisierungen sind sinnvoll, aber sie sollten das Stadium der Texttafel am besten direkt hinter sich lassen. Ich finde, man sollte mit Augmented-Reality-Apps arbeiten, bei denen nicht nur Texte, sondern auch Bilder untergebracht werden können  – was der betreffende Künstler sonst geschaffen hat, Hintergrundinformationen über den Auftrag oder den Wettbewerb, Reaktionen, solche Dinge.

Wo muss man weiterforschen?

Eigentlich gilt es, bei so gut wie allen Künstlern noch tiefer zu schürfen. Eine Karriere wie die von Hermann Kaspar wird mich sicher noch weiter beschäftigen, auch in publizistischer Form. Das ist wirkliche eine faszinierende Figur. Ein Künstler, der in beiden Systemen sehr erfolgreich war – über den aber kaum etwas geschrieben wurde – das ist doch verrückt.