Zaha Hadid im Interview

"Irgendwas ist falsch am System"

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Zaha Hadid

Lange Zeit galt sie als „unbaubar“, doch mittlerweile ist Zaha Hadid nicht nur die berühmteste Architektin der Welt, sondern gestaltet auch Möbel und Mode. Ein Gespräch über Kunst und Design, Geschlechterkämpfe und ihre irakische Heimat

Frau Hadid, ab welchem Punkt Ihrer Karriere wurden Sie ernst genommen?
Ich bin noch nie ernst genommen worden. Ich werde heute höchstens ein bisschen ernster genommen.
 
Sie untertreiben: Immerhin haben Sie den „Nobelpreis“ für Architektur, den Pritzker Prize, bekommen. Ist es für Sie immer noch schwierig, Bauherren und Investoren Ihre Auffassung von Architektur zu erklären?
Früher dachten sie, worüber redet die eigentlich? Heute geht es nicht mehr um das Verstehen, sondern um die Wahrnehmung meiner Person. Sehr seltsam. Früher hätte ich sagen können: „Das ist grau“;, und sie hätten mit mir gestritten, ob es stimmt. Wenn ich heute sage: "Die Karte ist grau", dann ist sie grau.
 
Was ist der Grund dafür, dass Sie bisher die einzige Frau unter den Pritzker-Preisträgern sind?
Das weiß ich nicht, irgendwas muss am System falsch sein. Es ist eben sehr schwierig für Frauen.
 
Architektur ist eine Männerwelt ...
... nicht nur Architektur. Alle Kunden sind Männer. Dabei sind kulturelle Institutionen für Frauen leichter zugänglich als Banken zum Beispiel. Beim Golfen unter Männern, beim Hochseefischen – da werden Geschäfte gemacht. Die Männerwelt ist eine Art Bruderschaft. Selbst wenn ich noch so sehr respektiert werde, dort werde nie akzeptiert. Immerhin: Vor Gremien ist es egal, ob ich eine Frau oder ein Mann bin. Auch das war vor zehn Jahren anders.
 
Es hat lange gedauert, bis Sie Ihr erstes Gebäude bauten.
Hätte ich meinen ersten Entwurf gleich bauen können, hätte ich nicht denselben hohen Grad an Komplexität erreichen können, den ich heute habe.
 
Überall auf der Welt geht es nun um höher und größer, alles ist phallisch. Sie bauen anders - kann man „feminine Gebäude" sagen?
Nicht wirklich. Als sich alles um Türme drehte, wollte ich mich mit dem Boden beschäftigen. Heute sind Türme das Nonplusultra. Interessant, denn eigentlich dachte jeder, nach dem 11. September hätten sich Türme erledigt.
 
Hat Kunst einen Einfluss auf Ihre Arbeit?
Vielleicht ganz am Anfang Malewitschs Suprematismus, nicht Malerei im Allgemeinen. Ich mag besonders die eher monochromen Gemälde von Malewitsch, Picasso oder Mondrian, die mit verschiedenen durchscheinenden Farbschichten spielen. Die Technik spricht mich sehr an.
 
Gibt es Kollegen, die Sie besonders schätzen?
In der Architektur natürlich Frank Gehry und im Designbereich Marc Newson. Er hat einen komplett anderen Stil als ich, aber ich finde das sehr interessant.
 
Innen und Außen sprechen bei Ihnen eine „hadidsche“ Formensprache. Ist das nicht auf Dauer fade?
Schwierig vielleicht, aber nicht fade. Es gibt doch in fast jedem Bereich einen „Look“ – Frisuren, Autos, Kleidung, selbst Essen –, warum sollte ein Stil in der Einrichtung etwas Schlechtes sein? Ich stelle ja auch ganz unterschiedliche Einzelmöbel her. Es gibt das Sofa und den Tisch von mir. Diese Stücke werden von den Käufern sicher individuell kombiniert und in das eigene Design integriert.
 
Wenn Sie Möbel entwerfen, denken Sie zuerst an sich selbst als Konsumentin?
Ich denke immer an eine Serie von Möbeln, die in eine sehr kleine Wohnung passen wie der Inhalt einer Box. Ich mag die Dialektik von Zusammenrücken und Explosion. Unsere Möbel sollen sowohl in sehr kleinen als auch in sehr großen Räumen funktionieren.
 
Schnäppchen sind Ihre Entwürfe nicht. Ihre „Vortexx“-Lampe, die Sie in limitierter Edition bei Sawaya & Moroni herausbringen, hat bisher nur einen Schätzpreis, und der liegt über der 100000-Euro-Marke.
Sie müssen die vielen verschiedenen Arbeitsschritte bei dem Entwurf und der Fertigung berücksichtigen. Es sind über 160 Arbeitsschritte notwendig, es ist ein völlig neues computergesteuertes LED-System entwickelt worden - das kann man nicht mehr als "Schnäppchen" hergeben.
 
Mit diesem Maßstab: Wie empfinden Sie die Ikeaisierung im Designbereich?
Es gibt zwei verschiedene Aspekte. Als Konsument ist es erfreulich, interessantes Design zu einem kleinen Preis zu bekommen. Als Designer ist es ärgerlich, wenn man Jahre an der Entwicklung gearbeitet hat und dann im Hauruckverfahren die Sachen leicht modifiziert nachgebaut werden. Aber man muss auch zugeben, dass Ikea viele junge Talente fördert.

Lassen Sie uns mit Mode weitermachen. Haben Sie Lieblingsdesigner?
Ich trage eigentlich immer Yohji Yamamoto. Auch mal Dior oder etwas von den Belgiern.
 
Was reizt Sie an denen?
Wenn sie einen Blick auf meine Architektur werfen, werden Sie das auf Anhieb verstehen.
 
Trifft man Zaha Hadid in den Designer-Stores?
Ich shoppe! Aber immer weniger, weil mir die Zeit fehlt. Mal nicht nachzudenken, sondern einfach Sachen auszuwählen und zu probieren ist ein großer Luxus.
 
Sie haben diese Woche an vier Abenden in vier Städten Dinner gehabt - ist das nicht ein bisschen viel Global-Playing?
Nein. Mir reicht in der Regel eine Stunde Freizeit. Ein bisschen lesen, ein Magazin, eine Zeitung, nicht sprechen, keine Menschen sehen – und dann bin ich wieder fit.
 
Sie leben in London, wurden aber in Bagdad geboren. Fühlen Sie sich noch als Irakerin?
Ich habe sehr starke Gefühle für das Land und die Menschen. Ich habe letztens durch Zufall im Fernsehen ein irakisches Theaterstück gesehen, das hat mich sehr berührt. Bis 1977 habe ich in Beirut studiert, und bis heute packt mich die Energie, sobald ich in die Stadt komme.
 
Was geht in Ihnen vor, wenn Sie sich die gewalttätigen Auswüchse des Islam anschauen?
Ich schaue mir das von außen an, wie Sie auch. Es ist etwas passiert zwischen der islamisch-arabischen und der westlichen Welt, eine sehr starke Entwicklung voneinander weg. Keiner der Menschen im Nahen Osten, die ich kannte, war ein Fanatiker. Sie tranken Bier, gingen zum Strand und trugen Bikinis. Das hat sich geändert. Ich glaube, es ist eine Reaktion auf den Westen. Die Araber sind jahrzehntelang übergangen und nicht ernst genommen worden. Ob man von christlichen oder muslimischen Arabern spricht, ist dabei völlig egal. Oder war es zumindest. Ich bin in eine christliche Schule in Bagdad gegangen. Damals gab es Juden, Christen und Muslime die miteinander gelebt haben. Die Juden sind als Erste gegangen und dann die Christen. Ich finde das sehr traurig, denn der Nahe Osten ist die Wiege wichtiger Religionen, die es im Irak immerhin für eine kurze Zeit geschafft haben, friedlich miteinander zu leben. Der Islam war und ist ein integraler Bestandteil der Welt, er ist kein komisches kleines Ghetto von ein paar Verrückten.
 
Wenn Sie in den Emiraten und Abu Dhabi arbeiten, wie sehr müssen Sie sich umstellen?
Ich habe im Irak nie jemanden mit Burka oder Kopftuch gesehen. Jetzt sind verschleierte Frauen dauernd im Fernsehen. Auch das ist eine Reaktion auf den Westen, ich kann es kaum erklären, warum das passiert. Ich kann es emotional nachvollziehen. Aber wenn ich dort bin, trage ich die Sachen, die ich auch hier trage.
 
Könnten Sie sich vorstellen, wieder dort zu leben?
Ja, aber nicht zu diesem Zeitpunkt. Man lebt dort, wo die Freunde sind und wo die Familie ist. Beirut ist wirklich fantastisch, aber meine Freunde sind in London oder in Amerika.