Iris-Apfel-Kollektion für H&M

Barocke Träume aus 100 Prozent Polyester

Die 100-jährige Stil-Ikone Iris Apfel hat eine Kollektion für H&M entworfen. Schade eigentlich, dass sich eine Sammlerin von Vintage-Schätzen einer Fast-Fashion-Kette hingibt, die das Gegenteil von individuell und nachhaltig ist

2004 designte Karl Lagerfeld eine Kollektion für die schwedische Modekette H&M und stieß damit eine Trendwelle an, die bis heute nicht zu stoppen ist. Nach nur wenigen Stunden waren die günstigen Designer-Kleider restlos ausverkauft, und es sollten unzählige Kollaborationen mit Modegrößen wie Matthew Williamson, Roberto Cavalli, Versace und Kenzo folgen; berühmte Designer und Modehäuser also, deren Kleider normalerweise eine Monatsmiete oder auch mehrere kosten.

Das günstigste Teil der damaligen Kollektion war ein weißes Tanktop mit einem aufgedruckten Karl-Konterfei für 14,90 Euro. High fashion für alle – und alle lechzten nach dem kleinen Bisschen Haute-Couture im Kleiderschrank. In diesem Fall eben in Form eines Träger-Oberteils, das ohne Lagerfelds Kopf vermutlich 4,99 Euro gekostet hätte - was das Problem hinter dem "günstigen" Glamour noch einmal verdeutlicht.

Die "Vogue" veröffentlichte 2016 ein Ranking der besten H&M-Kollaborationen - auf Platz eins war Rei Kawakubos Comme-des-Garçons-Zusammenarbeit mit der Fast-Fashion Marke. "Nennen wir es Authentizität ... für weniger als 30 Dollar," beschrieb das Magazin die dunkel gehaltenen Rüschenentwürfe mit der klar erkennbaren Handschrift der japanischen Designerin.

Ein lila Rüschen-Fluff als Jacke

Nun gibt es eine neue heiße Anwärterin auf den Kollaborations-Thron - denn der Fast-Fashion Riese konnte die dramatisch gekleidete Modelegende Iris Apfel für eine Zusammenarbeit gewinnen. Apfel ist Besitzerin einer der größten Modeschmuck-Sammlungen der USA und Dank einer Ausstellung im Metropolitan Museum of Art im Jahr 2005 auch eine Fashion-Ikone. "Mehr ist mehr, und weniger ist langweilig" ist ihr Credo, wenn es um Styling geht - und wohl auch beim Alter. Sie wurde im August letzten Jahres 100 Jahre alt. Ihre riesigen runden Brillen, der rote Lippenstift, die sich stapelnden Armreife, Ketten und Ringe machen Apfel zu einem unverkennbaren Mode-Charakter, einer kultigen Inspirationsquelle. Grund genug für H&M, sie als die nächste Gastdesignerin einzusetzen.

Die Aufsehen erregenden Apfel-Entwürfe könnten aus dem Kleiderschrank ihrer Schöpferin stammen: Wild gemusterte Jacquard-Stücke, buntbedruckte Schluppenbluse, Pyjama-ähnliche, mit Fransen verzierte Hemden, eine Kette mit Froschanhänger, ein lila Rüschen-Fluff als Jacke. Doch während Apfels eigene Garderobe aus kostbaren Designer-Schätzen und Vintage-Funden besteht, sind die massenproduzierten Kollektions-Teile oft aus zu 100 Prozent Polyester. Im Online-Shop findet sich unter allen Produkten der Tag "Conscious Choice", H&Ms Hinweis auf die nachhaltige Kauf-Option. Ist die Entscheidung, eine grüne Gliederkette oder ein "geripptes Turtleneck-Top" zu erstehen also auch eine gute, wenn es um das Thema Umweltschutz geht?

H&M hat in den vergangenen Jahren, und seitdem die Frage der Nachhaltigkeit das Einkaufserlebnis mental begleitet, immer wieder "Greenwashing"-Skandale am Hals. Durch irreführende Marketing-Moves und Slogans verkauft das Unternehmen seine schnell und billig hergestellten Kleider als viel grüner als diese tatsächlich sind. Die Interessengruppe "Changing Markets Foundation" veröffentlichte 2021 einen Bericht über die Verwendung von Kunstfasern durch 46 führende Marken. Sie stellte fest, dass 60 Prozent der Behauptungen zur Verwendung umweltfreundlicher Materialien bei britischen und europäischen Modeunternehmen, darunter H&M, falsch waren und die Kaufenden in die Irre führten.

Das Gegenteil von den Werten Iris Apfels

Der Bericht kritisiert insbesondere die Verwendung von Polyester aus recycelten Plastikflaschen als eine "falsche Lösung" und stellte fest, dass die Marken nicht genug tun, um sicherzustellen, dass ihre Kleidung tatsächlich recycelbar ist. Vielmehr stünden die Firmen einer wahren zirkulären Lösung im Weg. Allen voran wurde die Gruppe auf die "ethische" Conscious Collection von H&M  aufmerksam, in der sogar mehr synthetische Stoffe verwendet wurden als in der Hauptkollektion. Jedes fünfte untersuchte Kleidungsstück bestehe zu 100 Prozent aus synthetischen Materialien, die aus fossilen Brennstoffen gewonnen werden, so der Report.

"H&M und andere Fast-Fashion-Giganten sind alles andere als nachhaltig. Diese Unternehmen bedienen Mikrotrends, anstatt Produkte zu produzieren, die modisch und langlebig sind. Die Produkte von Fast-Fashion-Unternehmen werden aus billigen Materialien und in der Regel in Fabriken hergestellt, in denen Kinderarbeit eingesetzt wird," fasst "Central Trend" die Kluft zwischen Werbebotschaften und dem tatsächlichen Einsatz im Bereich Nachhaltigkeit von Billigmode-Unternehmen zusammen. Kleidung für 4,99 Euro kann niemals nachhaltig sein, und wenn es sich "nur" um den Aspekt der sozialen Nachhaltigkeit handeln sollte. Und auch dann nicht, wenn Iris Apfel großmütterlich von den Plakaten schmunzelt.

Dass das Lebenswerk einer so spät entdeckten Trendsetterin in einer H&M-Kollektion ihren vermeintlichen Höhepunkt findet, ist tragisch. Gerade, weil doch ihre von allen Enden der Welt zusammen gesuchten Einzelstücke und der sorgsame Blick fürs Detail den unverkennbaren Stil Iris Apfels ausmachen. Schnelle Massenproduktion steht im kompletten Gegensatz zu ihrer eigenen Kleidungsweise. "Alle sehen gleich aus, sie tragen alle das Gleiche. Sie tragen das, was gerade in ist, was Trend ist, das, was man ihnen vorsetzt. Das ist furchtbar langweilig. Ich möchte Persönlichkeit sehen," promotet Apfel ihre eigene H&M-Linie. Dass jedoch ein individueller Stil beim globalen Fast-Fashion-Discounter anfängt, wäre neu.