Von vielen Künstlerinnen und Künstlern gibt es ein "ikonisches" Gemälde; eines, mit dem die Person identifiziert wird, die es geschaffen hat: von Leonardos "Mona Lisa" bis zu Marcel Duchamps "Akt, die Treppe hinabsteigend". Auch in der Ausstellung von Irma Stern im Berliner Brücke-Museum gibt es ein solches Werk, das wohl für die Malerin stehen wird; so oft, wie es abgebildet und erwähnt worden ist.
Es hängt weit hinten im Rundgang durch den zauberhaften Bau des Museums, das seinem Namen zum Trotz derzeit keine, oder nur sehr wenig Kunst der Brücke-Künstler zeigt. Stattdessen lernt man eine Malerin kennen, die mit einem einzelnen Mitglied des Brücke-Quartetts Kontakt hatte, ansonsten aber eine ganz eigene Laufbahn eingeschlagen hat.
Bei dem "ikonischen Werk" handelt sich um das Bildnis eines Schwarzen Dienstmädchens. Auf den ersten Blick gar nicht so besonders, zumal die Besucherinnen und Besucher an dieser Stelle des Rundgangs bereits viele Porträts von Menschen mit dunkler Haut gesehen haben.
Zwischen Südafrika und Deutschland
Aber dann springt doch die Selbstsicherheit ins Auge, die die durch Schürze und Häubchen als Dienstkraft gekennzeichnete Person ausstrahlt: die verschränkten Arme, der Blick geradezu demonstrativ an ihren Betrachterinnen und Betrachtern vorbei, als erfülle sie nur eine lästige Pflicht, der Malerin Modell zu sitzen. Als sei dies etwas, das sie im Innersten gar nicht berührt. Und was für ein schönes, ebenmäßiges Gesicht mit großen Augen und vollen Lippen, der Kopf von der hohen Stirn zum schmalen Kinn konisch zulaufend.
Diese "Maid in Uniform" hat Irma Stern im Jahr 1955 gemalt, als die Künstlerin eine etablierte Größe im heimischen Südafrika war; anerkannt als eine derjenigen, die die westliche Moderne ins Land gebracht hatten. Stern, 1894 als Tochter deutsch-jüdischer Eltern in der damaligen Republik Transvaal geboren, verbrachte ihre ersten Lebensjahrzehnte zwischen Südafrika und Deutschland.
In Berlin studierte sie Malerei; privat, weil der Zugang zur Akademie für Frauen vor 1918 verschlossen war. Während des Ersten Weltkriegs hatte sie dann Kontakt zu Max Pechstein, dem von seinen "Brücke"-Kollegen verstoßenen Expressionisten, der kurz zuvor in der Südsee gewesen war. Er teilte sein Interesse an außereuropäischen Ländern und Menschen mit Irma Stern, die ihrerseits mit Darstellungen Schwarzer Menschen in Berlin Furore machte.
Symbolisches Kapital
Pechstein nahm sie mit zur Gründung der "Novembergruppe", und schon 1919 hatte sie eine große Einzelausstellung in der Stadt. Weitere folgten in den 1920er-Jahren. Zwischendurch lebte sie phasenweise in Kapstadt und etablierte sich im inzwischen britisch beherrschten Südafrika als Künstlerin, die ihren europäischen Ruf offenkundig gut zu vermarkten wusste.
Später reiste sie viel, unter anderem ins französische Kolonial-Westafrika, nach Belgisch-Kongo und auf die Insel Sansibar, wo sie die kulturelle Vielfalt dieser Handelsnation mit Beziehungen nach Arabien und Indien faszinierte. Geschnitzte Türrahmen arabischer Häuser verwendet sie fortan gern als Rahmen ihrer Bilder. Einige sind auch im Brücke-Museum zu sehen.
"Mit Ende des Zweiten Weltkriegs ist Stern auf dem Höhepunkt ihrer Karriere und in Südafrika eine erfolgreiche und finanziell etablierte Künstlerin", heißt es im Ausstellungskatalog, der hierzulande die erste Monografie seit Jahrzehnten darstellt. In diesem Kontext eines großbürgerlichen Lebensstils ist Sterns Arbeit zu sehen, mit dem beständigen, kunstmarktgerechten Wechsel zwischen europäischen und afrikanischen Sichtweisen. Ihr Erfolg, schreibt Kuratorin Lisa Hörstmann im Katalog, rühre "daher, dass Stern ihr symbolisches Kapital als vermeintliche Insiderin geltend machen konnte".
Die Wärme im Bild
Das ist ein bisschen spitzzüngig. Der Existenz zwischen weißen Privilegien bei jüdischer Herkunft und nicht-weißem Umfeld spüren die Beiträge des Katalogs bis in alle Verästelungen nach. Doch in der Ausstellung selbst geht es um Kunstwerke, und die beeindrucken durch die malerische Sicherheit wie durch die warmherzige Nähe, mit der Stern den von ihr dargestellten Personen begegnet.
Sie liebt kräftiges Kolorit und sichtbaren Farbauftrag, sie legt ihre Bilder flächig an, mit wenig Raumtiefe. Manchmal erinnert ihre Malweise an Vincent van Gogh, in ihren frühen Jahren naheliegenderweise an Pechstein.
"Umgababa" von 1922 ist das wohl "Brücke"-mäßigste Bild der Ausstellung, mit einem Eisenbahngleis, das zwischen Grün und Gewässer ins Irgendwo führt. Daneben eine Schwarze, ihre Ernte auf dem Kopf tragenden Frau, die den Gegensatz von ursprünglicher und kolonialer Lebensweise akzentuiert; einen Gegensatz, den Stern im Unterschied zu den europäischen Kollegen im eigenen Lebensumfeld erfährt. In ihren Darstellungen des im Kongo erlebten Urwalds springt die überreiche Natur geradezu aus dem Bild heraus.
Keine Figur für Vereinnahmung
Während die Kuratorinnen - neben Lisa Hörstmann hat Museumsdirektorin Lisa Marei Schmidt die Schau gestaltet - in Katalog und Wandtexten mit den Ambivalenzen von Irma Sterns Œuvre ringen, teilen sich dem Publikum die Neugier und Unvoreingenommenheit in jedem der Gemälde mit. Sicher, Stern war privilegiert, reiste mit Chauffeur durch bereits erschlossene Länder Afrikas wie auch Europas, doch nie gleitet sie ins Schablonenhafte oder bloß Pittoreske ab. Deswegen kann die Dienstmagd von 1955 zur Ikone werden, weil sie Hautfarbe wie sozialen Status transzendiert.
Als ihr Gegenstück kann die "Watussi-Königin" von 1943 gelten. Sie ist durch ihre exquisite Haartracht ausgewiesen, aber gleichfalls eine Persönlichkeit von eigener, keiner schmückenden Zutat bedürftiger Würde. Und so wirken alle Porträts nicht-weißer Menschen authentisch, was in Südafrika vom weißen Publikum anfangs gar nicht goutiert wurde.
Insofern taugt Irma Stern auch nicht für ideologische Vereinnahmung. Weder für jene, die das offizielle Südafrika an ihr vornahm, als es im Laufe der Jahre ihre Bilder gezielt ins Ausland und sogar auf die Biennale von Venedig schickte, noch als antikoloniale Vorkämpferin.
Würdigung der Ambivalenz
Stern interessierte sich für das Menschsein in aller Vielfalt, mit feinem Gespür für ethnische und soziale Unterschiede, die sie selbst auf ihrem Lebensweg erfahren hat, aber ohne Parteilichkeit; es sei denn, für das Humane. Das mag in der heutigen Zeit, da jede Differenz ausbuchstabiert wird, aus der Mode gekommen sein, aber es erklärt, warum Irma Sterns Bilder so nahbar, ja, vertraut wirken, zumal im häuslichen Ambiente des Brücke-Museums. Der Rassenwahn der Nazis hat Irma Stern ab 1933 aus Deutschland vertrieben, wohin sie auch nach dem Krieg nur noch ein einziges Mal zurückkehrte: zu einer Ausstellung ihrer Bilder in München.
Die jetzige Ausstellung knüpft an die Zeit vor 1933 an und rückt eine Künstlerin ins Licht, die zur hiesigen Kunstgeschichte ebenso gehört wie zu der Südafrikas. Als sie 1966 in Kapstadt stirbt, ist sie hochgeehrt und anerkannt. Fast sechs Jahrzehnte später ist die hiesige Würdigung überfällig. Und das heißt auch eine Würdigung ihrer Ambivalenz.