Kunstmesse Contemporary Istanbul

Ohne Alternative

Auch die 17. Istanbul Contemporary glänzt weder mit großen Namen noch mit Entdeckungen. Dennoch ist die Kunstmesse für die Galerien am Bosporus wichtig. Das zeigt auch die neue Nähe zur hiesigen Biennale

"Yes, we’re open!" Wer die staubige Baustelle am Goldenen Horn betritt, kann die Arbeit nicht übersehen, mit der der Parcours der Kunstmesse Contemporary Istanbul beginnt. Ein labyrinthischer Gang aus gegeneinander gestellten, verschiedenfarbigen Türen jeder Größe, die alle geöffnet sind. Der Titel, den die türkische Künstlerin Canan Tolon für ihre Arbeit gewählt hat, wirkt wie eine Metapher auf die Situation der Kunst in der Türkei. Alle denken, in Zeiten des Erdogan-Regimes wird langsam aber sicher das Endspiel der Kunst am Bosporus eingeleitet. Und dann öffnet sich doch wieder eine kleine Tür neuer Möglichkeiten.

Ganz neu ist die Contemporary Istanbul (CI) nun nicht. 2006 hob der Istanbuler Touristikunternehmer und Kunstmaniac Ali Güreli das Unternehmen einer Istanbuler Kunstmesse erstmals aus der Taufe. Am Wochenende öffnete die 17. Ausgabe am Bosporus. Der Traum, zum Hub des Kunstmarktes im Mittleren Osten zu avancieren, erfüllte sich nie. Stets hatte die mondäne Art Dubai die Nase vorn. Trotzdem gab Güreli nie auf. Und wenn etwas seine Messe auszeichnet, dann die Fähigkeit, sich bei jeder Ausgabe gleichsam neu zu erfinden.

Zur jährlichen Messe hat Güreli neu als Ableger das Formet "CI Bloom" erfunden, eine allein türkischen Galerien vorbehaltene Messe im Mai. Seine Begründung: Er wolle den in der Pandemie entstandenen Kunsthunger befriedigen helfen. Nach dem erfolgreichen Auftakt der Kleinmesse erfolgt nun die traditionelle Herbst-Ausgabe.

Italienischer Charme

Nach Jahren in einem hässlichen Kongresszentrum in der Stadtmitte, unweit des zentralen Taksims-Platzes, logiert Gürelis Baby neuerdings allerdings an den Ausläufern des "Haliç", des Goldenen Horns. Die Lage in drei alten, historischen Lagerhallen inmitten des entstehenden Komplexes von Luxus-Residenzen auf einem ehemaligen Werftgelände am Rande des proletarischen Stadtviertels Kasımpaşa gibt dem Unternehmen das Image eines Kreativ-Hubs. Sie ist zudem erfreulich ehrlich. Selten machte eine Messe den integralen Zusammenhang von Kunst und Gentrifizierung so glasklar deutlich. Immerhin hat der neue Standort der CI italienischen Charme.

"Sieht das nicht wie im Arsenale in Venedig aus?", freut sich Halil Altındere, der Pop-Star der kritischen türkischen Gegenwartskunst, am Stand seiner Galerie Pilot. Sein neuestes Werk, die tonnenschwere, mit blitzendem Chrom überzogene Bronze-Skulptur "Little Big Astronaut" kostet rund 60.000 Dollar.

Das schicke Ambiente ist vermutlich noch das Beste, was sich für die Kunstmesse ins Feld führen lässt. Denn ihre Qualität lässt, trotz eines Großaufgebots diverser Advisory Boards und Selection Committes, auch bei der 17. Ausgabe zu wünschen übrig. Mit gerade mal 60 Galerien ist sie relativ klein. International bedeutende Galerien etwa aus Berlin oder den USA vermisst man hier. Eine Galerie wie Mark Hachem (Paris/Beirut) ist noch die renommierteste. Dauergast Lelong aus Paris glänzt diesmal durch Abwesenheit.

Wie eh und je sind großformatige Malerei und Kitschskulpturen wie die "Wrapped Bonbons" der französischen Künstlerin Laurence Jenk das kommerzielle Rückgrat der Schau. Zähneknirschend beteiligen sich trotzdem die anspruchsvollen Istanbuler Galerien wie Dirimart, Öktem Aykut oder Azra Tuzunoglu mit ihrer Pilot-Galerie erneut an der jüngsten Schau. "Es gibt hier keine Alternativen, wir müssen schließlich verkaufen" rechtfertigt die Galeristin ihre Entscheidung.

Der kurzzeitige Versuch einer Gegenmesse namens Art International des britischen Messe-Impressarios Sandy Angus, die viele Istanbuler Galerien wegen ihrer Internationalität und Qualität bevorzugt hatten, gab 2016 nach dem gescheiterten Militärputsch in der Türkei auf.

Das Geschäft scheint sich zu lohnen

Jedenfalls scheint sich das Geschäft auf der CI zu lohnen. "Ich habe noch nie so gut verkauft, wie während der Pandemie. Die Geschäfte hier sind gut", freut sich Moiz Zilberman. Nach der Schließung der einzigen türkischen Blue-Chip-Galerie Rampa ist der kunstvernarrte Unternehmer und Inhaber einer Galerie mit Standort in Istanbul und Berlin zu einer der führenden Galerien am Bosporus aufgestiegen, der eine beeindruckende Künstlerliste von Heba Amin über Antonio Cosentino bis Erkan Özgen zusammengetragen hat.

Zwar macht man auch auf der CI hier und da Entdeckungen. Wie den hierzulande fast unbekannten, türkischen Maler Peter Hristoff mit seiner ornamentalen, schwebenden, an den Symbolismus gemahnenden Bildsprache bei der türkischen C.A.M. Gallery. Und viele der in den letzten Jahren entstandenen Art Spaces in der Türkei wie Imalat Hane in einer Industriezone in der alten Hauptstadt Bursa oder der Diyabarkirer Kunstraum Loading der Künstler Erkan Özgen und Cengiz Tekin haben die Möglichkeit, sich auf der Messe zu präsentieren.

Aber selbst die politischen Arbeiten, für deren Platzierungen die Messe in den letzten Jahren oft genutzt worden war, waren in diesem Jahr kaum zu sehen: Eine der wenigen Ausnahmen: Hüseyin Aksoylus Druck "Tank" auf dem Stand der Galerie Art On Istanbul. Der Panzer auf dem Werk, dessen Führerstand durch einen Betonmischer ersetzt ist, ließe sich wahlweise als Kritik an der mit militärischer Energie durchgeführten Gentrifizierung in der Türkei deuten. Liest sich aber auch wie die Forderung, die ständigen Kriege des Landes durch mehr sozialen Wohnungsbau zu ersetzen.

Wenige Wagnisse

Immerhin die Polyester-Skulptur "Let’s Fly" der Künstlerin Ayla Turan im Skulpturenpark der Messe am reich mit schicken Lounges bestückten Ufer des Haliç, ist ein gewisses Wagnis in einem Land, das regelmäßig seine LGTB-Märsche von der Polizei auseinanderjagen lässt. Das Werk zeigt ein Kind, das eine vom Wind geblähte Regenbogenfahne in den Himmel reckt.

Büro Sarıgedik, die Kunstgalerie der früheren Direktorin der Rampa-Galerie Esra Sarıgedik, bietet mit "Melankolik Sahmaran/Melancholic Basilisk" ein feministisches Symbolbild von Gülsün Karamustafa an, der 1946 geborenen Leitfigur der kritischen türkischen Gegenwartskunst. Das mythische Fabelwesen hat darauf die Gestalt eines Pin-Up-Girls angenommen, das mit einer Schlange kämpft. Karamustafa ist auch auf der zeitgleich stattfindenden Biennale mit einer beeindruckenden Arbeit zu sehen, die die bessere Alternative für Kunstliebhaber mit avanciertem Geschmack ist.

Hatte die Biennale in den vergangenen Jahren noch die Nähe zur kommerziellen Messe gemieden wie der Teufel das Weihwasser, ließ sie sie diesmal zu. In bedrängten Zeiten, so wohl der Hintergedanke, muss man zusammenhalten. So bleibt die wichtigste Funktion der Messe wie die der Biennale die eines offenen Raums, in dem sich so frei zusammenkommen und diskutieren lässt, wie es nicht mehr überall in der Türkei möglich ist. Da nimmt man es auch in Kauf, dass Jeff Koons Platitüden zum Start seines BMW Art Cars auf der Messe im Rahmen des Diskursprogramms "CI Dialogue" verbreiten darf.

So lässt sich das unter Druck geratene Ökosystem der türkischen Kunst wie auf der Holzkohlezeichnung von Yunus Emre Erdogan beschreiben, die die Istanbuler Galerie Sanatorium zum Verkauf anbietet: Eine große, etwas schiefstehende Wand aus lose verbunden Holzplanken, die jeden Moment in Rutschen kommen könnte.