Böhmermann stellt im HKW Berlin aus

Kann er Kunst?

Mit seiner TV-Sendung schafft es Jan Böhmermann immer wieder, in die Politik hineinzuwirken. Im September wollen der Satiriker und sein Team das Berliner Haus der Kulturen der Welt bespielen. Was bringt so ein Transfer in eine Kunstinstitution?

Angekündigt hatte es Jan Böhmermann schon vor zwei Wochen in seinem "Fest & Flauschig"-Podcast: In diesem Jahr plane er noch etwas Großes im Bereich bildende Kunst. Jetzt steht fest: Im September wird der Satiriker samt seinem Team von "ZDF Magazin Royale" für drei Wochen das Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW) "besetzen". Neben der Ausstellung "Die Möglichkeit der Unvernunft" ist ein dreiwöchiges Rahmenprogramm geplant, das Konzerte, Shows, TV-Aufzeichnungen, Performances, Filmvorführungen und Gesprächsrunden umfasst. Das HKW, 1957 von den USA als Kongresshalle gestiftet, sei bewusst als Ort gewählt, um politische, gesellschaftliche und juristische Fragen "dort zu stellen, wo sie verhandelt werden", in direkter Nähe zu Kanzleramt, Reichstag und Schloss Bellevue.

Für Jan Böhmermann ist keine Bühne zu groß – oder zu fremd. Immer wieder hat er sich in Bereiche vorgewagt, die von Gatekeepern streng bewacht werden. Für Deutschrap-Ordensmeister sind seine Singles nicht street genug, für Investigativ-Journalisten seine Enthüllungen nicht ausreichend sauber, für Politikaktivisten ist er zu alpha. Als der heutige 44-Jährige und sein Podcast-Kollege Olli Schulz dann auch noch den Grand Prix moderierten, kritisierte ESC-Moderator-"Legende" Peter Urban Böhmermann als "zu verkniffen".

Und jetzt gibt mit dem HKW eine renommierte Kulturinstitution dem Multitalent eine Plattform. Ist Böhmermann jetzt auch noch Kunst? Doch so neu ist das nicht. Schon 2017 zeigten der Moderator und sein Team im Düsseldorfer NRW Forum die Einzelausstellung "DEUSCTHLAND", zwei Jahre später folgte "DEUSCTHLAND-ASNCHLUSS-ÖSTERREICH" im Künstlerhaus Graz. Und – welch Überraschung! – die Kritiken waren überwiegend positiv. Die "SZ" erkannte in der Düsseldorfer Schau damals sogar "feinste vulgäre Kunst". Es gab Passkontrollen am Eingang des NRW Forums, einen "Hetzkeks"-Automaten, Angela Merkels angebliche Wanderkleidung und ein Freizeitparkmodell zum Nationalsozialismus als Überspitzung einer banalisierten Erinnerungskultur. 

Etwas Neues im Grenzgebiet

Man mag Jan Böhmermanns betriebsfremden Ausflüge anmaßend oder gar größenwahnsinnig finden, es für Ignoranz und manspreading halten, aber oft haben sich diese interdisziplinären Überschreitungen gelohnt, weil er etwas Neues mitbrachte ins jeweilige Grenzgebiet. Wenn er die Form des Gangster-Raps benutzt, um damit staatliche Institutionen wie die Polizei und das Verfassungsgericht zu feiern, dann ist das nicht nur komisch, sondern auch erhellend, enthüllend, entlarvend.

Das Late-Night-Format steht ohnehin in einem engen Verhältnis zur Gegenwartskunst. Als "Documenta für Arme" hat Harald Schmidt seine Show einst bezeichnet, und der Autor Rainald Goetz fragte in den 1990er-Jahren, "ob die Video- und Installationen-Kunst von Frau Pipilotti oder eben nicht doch jede geglückte Ausgabe der Harald Schmidt Show, ihr Konzept und das Ganze dieser Sendung, das wichtigere Kunstwerk der Gegenwart ist". Auch das, was der einstige Schmidt-Schüler und heutige Schmidt-Kritiker Böhmermann mit seinem Team im Fernsehen veranstaltet, hat in seinen besten Momenten etwas von jener verdichteten Gegenwartserfahrung, die gute Kunst ermöglichen kann. 

In seiner Show "Lass dich überwachen" etwa macht er Internetaktivitäten seines Publikums sichtbar und greifbar – ein Konzept, das klassischen Aktions- und Konzeptkunst-Ansätzen in nichts nachsteht. Er inszeniert dabei beispielsweise längst vergessene gepostete Fotos neu im Studio oder erfüllt den Social-Media-Traum einer Zuschauerin, die als Schlagzeugerin ihrer Newcomer-Band plötzlich vor 80.000 Menschen beim Festival Rock am Ring auftreten darf. Auch seine E-Scooter-Tour, die er kürzlich fürs "ZDF Magazin Royale" von Köln nach Chemnitz unternahm, könnte man sich als offizielles Kunstprojekt des Kulturhauptstadt-Jahres vorstellen. 

"Dann gibt es jetzt keine Zurückhaltung mehr"

Im Gegensatz zu Harald Schmidt spricht Böhmermann allerdings selten über bildende Kunst. Er scheint sich nicht wirklich dafür zu interessieren. Der Verdacht drängt sich auf, dass sie für ihn zu wenig Breitenwirkung hat. Die HKW-Bühne sieht er wahrscheinlich nur als zusätzlichen Kanal, um noch unverwirklichte Ideen und in der Show angefallene Objekte unter die Leute zu bringen.

Das HKW wiederum ist unter seinem seit 2023 amtierenden Direktor Bonaventure Soh Bejeng Ndikung noch nicht richtig aus der Deckung gekommen. Es macht – dem Namen des Hauses entsprechend – zwar ein großartiges Programm für verschiedene Communitys, aber nicht wirklich für ein breites Publikum. Dass es sich zu Abwechslung jetzt einen "Mainstream-Clown" (wie Böhmermann von rechter Seite betitelt wird) einlädt, ist deshalb so überraschend wie begrüßenswert. 

"Die Korridore des Sagbaren, Erkundbaren und Darstellbaren gilt es zu weiten, anstatt sie zu verengen. Es ist an der Zeit, der Gesellschaft die Wurst vorzuhalten", beschreibt Jan Böhmermann den Leitgedanken der dreiwöchigen Residenz. Er paraphrasiert damit den berüchtigten Gastbeitrag zur Kunstfreiheit des Kulturstaatsministers Wolfram Weimer in der "SZ"

Es geht wirklich um die Wurst

Vor einigen Wochen nannte Böhmermann im Podcast "Fest und Flauschig" den Artikel einen vor "Schwachsinn" strotzenden "Scheißtext". Und weiter: "Die Korridore des Sagbaren, Erkundbaren und Darstellbaren möglichst weiten, anstatt sie zu verengen. Ich nehme das als Auftrag hiermit offiziell an. OK, dann gibt es jetzt keine Zurückhaltung mehr und nicht nur im Privaten, sondern jetzt wird der staatliche Kulturbetrieb geändert mit dieser Ansage." 

An den US-Museen unter Donald Trump sieht man gerade, wie schnell sich Korridore in Kunstinstituten tatsächlich verengen können. Deutsche Kulturinstitutionen sollten deshalb nicht zu lange warten, auch Dinge zu wagen und sich verstärkt in die gesellschaftliche Debatte einzubringen. 

Dass es dabei wirklich um die Wurst geht, dass auch das HKW etwas mit dieser gegenwartsgetränken, "vulgären", reichweitenstarken Politkunst riskiert, erkennt man auch in der Ankündigung zur Böhmermann-Ausstellung: "Das Haus der Kulturen der Welt wird gefördert durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien", steht kleingedruckt unter der Pressemitteilung – die eben diesen Kulturstaatsminister beim Wort nimmt.