Malerei-Ausstellung in Hamburg

So soll die Gegenwart aussehen?

Die Ausstellung "Jetzt!" in Hamburg will junge Malerei aus Deutschland vorstellen, bemüht dabei aber ziemlich überholte Kriterien. Was die Schau vor allem zeigt: Deutschland hat keine Antwort auf die internationalen Malerei-Stars der Social-Media-Ära 

"Jetzt!", rufen sie. Die Macher der Ausstellung "Jetzt! Junge Malerei in Deutschland" wollen maximal aktuell sein. Das Kunstmuseum Bonn, das Museum Wiesbaden und die Kunstsammlungen Chemnitz haben sich zusammengetan und, so steht es in der Ankündigung, "den Versuch unternommen, den aktuellen Stand des Mediums Malerei zu bestimmen. Ziel war es, einen gültigen Querschnitt durch die junge, in Deutschland entstandene Malerei zu geben und dabei alle Erscheinungsformen des Mediums ohne konzeptuelle oder ideologische Einschränkungen zu berücksichtigen." Und dann läuft man durch die Ausstellung in den Deichtorhallen Hamburg, die als vierte Station hinzugekommen sind, und fragt sich: Warum soll das eigentlich alles maximal aktuell sein?

So gut die Idee ist, gerade jetzt den Fokus auf die Malerei zu richten, so schlecht ist die Herangehensweise an das Thema. Bis auf wenige Positionen (etwa Florian Meisenberg, Kristina Schuldt, Vivian Greven) hätte die Ausstellung auch im Jahr 1980, 1990 oder 2000 so aussehen können. "Auffällig ist die Dominanz der abstrakten Malerei", schreibt Christiane Fricke im "Handelsblatt". Reinhard Ermen tadelt und lobt im "Kunstforum": "Doch auch, wo nur heiße Luft oder gestische Zuckerwatte produziert wird, entstehen schon mal Leitbilder aktueller Befindlichkeiten, die Authentizität des Materials und ihrer Faktur behauptet sich oft genug gegen die Virtualität aus dem Netz und anderen Schnellen Brütern." Christoph Schreier, einer der Kuratoren der Ausstellung, erklärt in einem Video (IGTV) auf dem Instagram-Account der Deichtorhallen: "Uns war es wichtig zu zeigen, dass auch in diesem analogen Bereich noch viele Entwicklungen möglich sind. Es gibt Expressives und Gegenständliches. Es gibt politische Bekenntnisse und private Recherchen."

Nun ja, das ist nicht neu. In den Medien übrigens wird gern Simon Modersohn erwähnt, der wegen seines berühmten Nachnamens Aufmerksamkeit auf sich zieht. Seine Familie gehört zu der von Otto Modersohn und Paula Modersohn-Becker, ist im "Spiegel" zu lesen . Er malt unter anderem dörfliche Szenen. Sein Galerist Hagen Schümann findet gerade diese Themenwahl spannend, weil sie so aus der Zeit gefallen ist. 

Ein Nebeneffekt der Bildersucht

Warum eigentlich diese Opposition zum Digitalen? Als Instagram neu war, testeten junge Künstler und Künstlerinnen die Grenzen der Plattform aus und setzen es als künstlerisches Medium beispielsweise in Performances ein. Mittlerweile ist allseits bekannt, dass Identitäten inszeniert werden. Instagram scheint durchgespielt worden zu sein. Was bleibt also, wenn Bilder im Überfluss vorhanden sind und im Sekundentakt vorbeirauschen? Die Malerei.

Der deutsche Maler Fabian Treiber hat eine Erklärung dafür, warum wieder mehr auf die Malerei geschaut wird: "Gemalt wurde ja immer, und ich halte das Medium in seiner einzigartigen Sprache für unerlässlich. Das Interesse könnte ebenso ein Nebeneffekt der Bildersucht und des vermeintlich Niederschwelligen sein, der Aufmerksamkeitsökonomie beziehungsweise dem Streben jedes Einzelnen nach grenzenloser Individualität. Diese Sehnsucht erfüllt dann vielleicht nur die Kunst, im Speziellen die Malerei." 

Der amerikanische Maler Brandon Lipchik sagt: "Heutzutage ist es ein drastischer Akt, weiter zu malen. Wir werden in den sozialen Medien von Bildern bombardiert, wir klicken von Video zu Foto, von Text zu Video, von privater Nachricht zu den Tagesthemen." Gemälde, erklärte kürzlich der Kunstwissenschaftler Wolfang Ullrich, ermöglichen den Betrachtern eine "Partizipationspause" (Lambert Wiesing), sie entlasten davon, involviert sein zu müssen. Und die kanadische Malerin Chloe Wise sagt in der Märzausgabe von Monopol: "Es wirkt antiquiert und fast sarkastisch, wenn man im digitalen Zeitalter noch malt. Das ist eine Entscheidung, die mich amüsiert."

Der verzweifelte Versuch, noch einmal Macht und Einfluss zu demonstrieren

Das Medium Malerei hat sich verändert, junge Künstler und Künstlerinnen suchen neue Zugänge und greifen dabei auf Technologie zurück. Avery Singer beispielsweise arbeitet mit einem digitalen Airbrush-Drucker, Rachel Rossin integriert Hologramme in ihre Leinwände. Klar, man kann einwenden, Aktualität wird nicht allein dadurch bewiesen, dass neue Technologien im Malprozess zum Einsatz kommen oder in Werken abgebildet werden. Die Behauptung der Macher von "Jetzt!" allerdings ist noch einfacher: Die Ausstellung ist aktuell, weil sie aktuell ist. Weil sie im Jahr 2020 zu sehen ist. Weil sie einen Querschnitt zeigt.

Und dann ist da der Auswahlprozess. "Warum aber die nationale Begrenzung, wozu 'Deutschland' im Titel?", fragt Silke Hohmann in ihrem Monopol-Report zurecht. "Wir brauchten einen Beschreibungsrahmen", bekam sie als Antwort von Stephan Berg, dem Direktor des Kunstmuseums Bonn. "Es geht nicht um Herkunft, aber um Produktion. Und der produktive Nukleus sind die Akademien in Düsseldorf, Frankfurt, Leipzig und Hamburg", schreibt Hohmann.

Das Argument von Berg klingt erst einmal schlüssig. Denn irgendwie muss man das Thema einer Ausstellung ja schließlich eingrenzen. Nur, warum im digitalen Zeitalter Ländergrenzen ziehen und sich auf Akademien konzentrieren? Sind das heute noch die großen Fragen: Wer hat wo studiert? Wer hat beim wem studiert? "Die alten Gralshüter der Kunst hoffen natürlich, dass Künstler sich weiterhin im etablierten Rahmen bewegen und den ungeschriebenen Gesetzen der Kunstwelt folgen. Durch Instagram haben Künstler die Möglichkeit, das Galeriesystem zu umgehen. Künstler müssen nicht mehr den klassischen Karriereweg gehen", erklärt Chloe Wise, die über 160.000 Follower auf Instagram hat. Ist das Auswahlsystem der verzweifelte Versuch, noch einmal Macht und Einfluss zu demonstrieren?

Atelierbesuche sind nichts Exklusives mehr

53 Künstler und Künstlerinnen wurden mit über 500 Werken ausgewählt, mindestens drei Werke sind an jedem Ort zu sehen. Ein Mammutprojekt. Christoph Schreier erläutert im IGTV-Video der Deichtorhallen das Vorgehen. Man sei nicht theoriegeleitet in das Projekt gestartet, man wollte sich überraschen lassen. Man habe sich für ein empirisches Verfahren entschieden: Recherche, Atelierbesuche, Empfehlungen. Man habe Namen gesammelt und habe sich dann die Positionen in den Ateliers angeschaut. Das Innovationspotenzial beim Auswahlverfahren geht gegen null. Atelierbesuche sind eine Selbstverständlichkeit in der kuratorischen Praxis. Atelierbesuche sind im Zeitalter der sozialen Medien nur nichts Exklusives mehr.

Künstler öffnen mittlerweile fast täglich ihren Followern die Türen zu ihren Ateliers und zeigen, woran sie gerade arbeiten. Chloe Wise kann man gefühlt täglich dabei zusehen, wie sie die letzten Striche malt. Sie gibt zu, dass sie sich durch Instagram unter Druck fühlt, Erfolgsgeschichten erzählen zu müssen. Sie ist sich aber auch des Potenzials bewusst: "Wenn ich etwas geschafft habe, spreche ich darüber. Es klopft ja niemand an meine Tür und fragt nach, was ich gerade mache. Ich muss aktiv werden. Mittlerweile fühlt es sich für mich normal an. Es ist eben ein weiterer Faktor in meinem Leben als Künstlerin, der mich unter Zugzwang bringt. Ich muss mich eher zwingen, weniger zu posten und das alles ernster zu nehmen. Ich bin ein digital native, es wäre fake und prätentiös von mir, nicht in den sozialen Medien präsent zu sein."


Genau so fake und prätentiös ist es, heute mit solch einem Mammutprojekt in Opposition zum Digitalen zu gehen, sich auf die Akademien zu beschränken und so zu tun, als gäbe es gerade im digitalen Zeitalter Austausch nur innerhalb einzelner Kunsthochschulen. Was die Ausstellung zeigt: In Deutschland gibt es aktuell keine Antwort auf die international als Stars dieser jungen Generation gehandelten Maler wie Avery Singer, Rachel Rossin, Chloe Wise oder Oli Epp.