Joan Jonas in London

Natur und Körper

In der Tate Modern in London macht Joan Jonas Gegenwind

Ein Vulkan bricht aus. Vor den Videobildern blubbernder Lava tanzt eine Frau mit dem Rücken zum Publikum: Joan Jonas' weißer Seidenanzug flattert, die Performerin wird selbst zur Projektionsfläche. Eruption und Konvulsion, Natur und Körper, Einst und Jetzt verschmelzen in der Performance "Mirage", die Jonas nach vier Jahrzehnten wieder aufführte – in den unterirdischen Tanks der Tate Modern. Während die "BMW Tate Live Exhibition" – inklusive rarer Jonas-Auftritte – nach zehn Märztagen zu Ende war, läuft die Soloausstellung im zweiten Stock noch bis August.

Wie Marina Abramović zählt die 1936 in New York geborene Jonas zu den Performance-Pionierinnen. Sie hat es aber vermieden, ihre Person so in den Mittelpunkt zu stellen wie die berühmte Serbin, deren von jungen Darstellern nachgespielte Klassiker oft wie Surrogate wirken. Jonas war breiter aufgestellt. In London sind Installationen, Zeichnungen, Masken, Requisiten zu sehen: Artefakte mit Eigengewicht. Auch Jonas' Filme reichen über das Dokumentarische hinaus, angefangen von "Wind" (1968), bei dem die Akteure sich stocksteif, mit Spiegeln behängt, im Sturm am Strand bewegen. Die Performance war ursprünglich als "indoor piece" geplant; draußen, "am kältesten Tag des Jahres" (Jonas), führte dann
das Chaos Co-Regie.

Ihre Kunst beruht auf einem kumulativen Prozess, bei dem Jonas die Motive und Konzepte wiederholt aufgreift, modifiziert, verdichtet. Höhepunkte in London sind über Jahre intensivierte Installationen wie "Lines in the Sand" oder "Stream or River, Flight or Pattern". Die ursprünglich für Kinder geschaffene Performance "The Juniper Tree" basiert auf dem Grimm-Märchen vom "Machandelbaum" und wurde in den 70er-Jahren von Jonas mehrfach aufgeführt. Konstante des Stücks war eine Erzählerstimme vom Band, während Jonas als trotzige Performerin gegen die Grausamkeit des Märchens anging.

Inzwischen ist "The Juniper Tree" zur multimedialen Installation mutiert, in der Jonas' Stimme die Geschichte vom Knaben erzählt, der von seiner Schwiegermutter geköpft wird und als schillernder Vogel aufersteht. Die flüchtigen Bilder, die Jonas während der Performances malte und zeichnete, sind in das bühnenartige Set integriert. Kinderköpfe, herausgeschnittene Herzen. Blutrote Farbe auf weißer Seide. Die Welt ist brutal. Soll die Kunst das beschönigen?