Johann König weiß es nicht. Philomene Magers und Monika Sprüth wissen es nicht. Vielleicht haben sie mitbekommen, dass ein Besucher seltsam war. Johannes Klever stört – besonders die ernste Kunstbetrachtung. Aber den Namen des Künstlers kennen sie wahrscheinlich auch nicht. Klever performt in den bekanntesten Galerieräumen des Landes, in den berühmtesten Museen der Welt, auf Kunstmessen wie der Art Basel oder auf der Venedig-Biennale. Nur haben die Galeristen und Veranstalter davon gar keine Ahnung. Klever scheint sie weder zu erreichen noch um Erlaubnis zu bitten. Manchmal verschickt er noch Anfragen - aber die bleiben unbeantwortet.
Dennoch hat er sich eine hübsche Vita erarbeitet. Darauf steht die Tate Modern, die König Galerie, die Sprüth Magers Galerie, die Neue Nationalgalerie und viele mehr. Warum auf eine Einladung warten? Warum sich den Lebenslauf nicht einfach so schreiben, wie man ihn gern hätte? Durch die exklusiven Kunsttore geht er einfach hindurch, mit den Händen in der Hosentasche. Lebensläufe werden ohnehin überbewertet, sind sie doch oft reine Glückssache, abhängig von Beziehungen, Zufällen und Vorurteilen.
Doch zurück zum Anfang. Was macht Johannes Klever eigentlich? Er mischt sich zunächst als normaler Besucher in die Ausstellungsräume. Dann passiert etwas. Es sind "Situationen, die wie ein Delfin aus der Alltagssuppe emporschießen, die vielleicht nur am Rande des Sichtfeldes ein potentielles grelles Signal geben, die, wenn man seinen Kopf fertig gedreht hat, schon wieder in die Suppe geplatscht sind", beschreibt Klever. In der Londoner Tate Modern fangen seine Haare plötzlich an zu brennen. In der Berliner Neuen Nationalgalerie stört er eine Videovorführung, läuft zwischen dem sitzenden Publikum und der Großprojektion hindurch, ist verwahrlost angezogen. Dabei nimmt er an Gewicht zu. Vorrichtungen unter seiner Kleidung sorgen dafür, dass sein Körper schnell um einige Kilos wächst; mit Bauch läuft er weiter durch die Veranstaltung, als ob nichts wäre.
In der Berliner Galerie Sprüth Magers besichtigt er die Ausstellung, bleibt vor einem Fenster stehen, aus seinen Schuhen läuft weiße Flüssigkeit, eine Milchlake bildet sich um ihn, während er weiter aus dem Fenster guckt. Danach verlässt er die Kunsträume, im langsamen flanierenden Tempo. In der Berliner König Galerie fängt er bei der Kunstbetrachtung kurz an zu brennen. Ein paar Flammen steigen von seiner Jacke auf. Dann verlöschen sie wieder. "Brennen, aufblasen, auslaufen, viele meiner Performances bedienen sich Funktionen, die in dem Kontext, in den ich sie setzte, kein Klischee erfüllen. Das gilt natürlich vor allem für die Performances im öffentlichen Raum. In Institutionen der Kunst funktioniert das erfahrungsgemäß aber auch", erzählt Klever.
Der Typ ohne Einladung performt Spektakuläres auf eine unspektakuläre Weise. Dabei behält er selbst immer die Ruhe, geht langsam weiter, so, als ob alles normal wäre. Dadurch entsteht eine phantastische Komik, die eine ernste Atmosphäre kontrastiert. Denn eigentlich ist Kunstbetrachtung eine Angelegenheit, bei der man nicht lacht, bei der man sich benimmt. Die Besucher performen eigentlich selbst, sie spielen den interessierten, coolen, aber ernsthaften Kunstliebhaber. Klever verliert Milch und wird dick. "Ich kann nicht bestimmen, was Rezipient*innen sehen, was sie interpretieren, aber ich finde die Vorstellung schön, dass sie ihre Wahrnehmung in Frage stellen. Dass sie Theorien über mögliche zugrundeliegende Motivationen entwickeln. Deswegen mag ich es auch so, die Rezipient*innen nicht aufzuklären." Klevers Lieblingszitat stammt übrigens von Georg Simmel: "Zu wissen, dass man etwas nicht weiß, ist die größte Motivation für Kommunikation".
Auf der Venedig-Biennale ist er wie ein Geschäftsmann angezogen. Draußen geht er wichtigtuerisch umher, telefonierend. Dabei steigt er in einen Kanal, setzt sich auf Stufen, die schon im Wasser liegen, telefoniert konzentriert weiter, steigt wieder auf, völlig durchnässt. Wunderbar ironisiert er Businesscalls, bei denen die Protagonisten ignorant herumlaufen, laut sprechen und sich für ihre Umgebung nicht interessieren. Durch Klever werden sie in ihrer Lächerlichkeit entlarvt.
In einem Wald geht er spazieren, ein Baum fällt um, direkt hinter ihm. Ihn irritiert das nicht. Als Vorbild nennt Johannes Klever den Aktionskünstler Roman Singer, der durch Unfälle und Nonsens-Humor bekannt geworden ist. "Wenn man seine bisherige Realität in Frage stellt und eine Erweiterung für möglich hält, ist das eine sehr wertvolle Sache. Auf der Alltagsebene suche ich nach Lücken, nach starken Situationen, denen kein Schluss naheliegt. Auf der Ebene der Reputation, suche ich nach Lücken, die einen naheliegenden Schluss suggerieren, der aber nicht unbedingt zutrifft."
Johannes Klevers Kunst funktioniert nur, wenn die Galerien und Museen ihn weiterhin nicht einladen. Selbst wenn sie diesen Artikel hier lesen. Falls Einladungen kommen, schlägt er die hoffentlich aus. Seine Videos könnten natürlich in Galerien gezeigt werden. Aber die Performances selbst müssen weiterhin ohne Auftrag stattfinden. Sein Lebenslauf ist ebenfalls Teil seines Gesamtwerkes. Auch er muss gefälscht bleiben. Fake in dem Sinne, dass er zwar an den Orten tatsächlich performt hat, aber nie als offizieller Teil einer Ausstellung. Das Ausgeschlossen-Sein ist Werkzeug für Klevers Arbeit.
Wahrgenommen wird er während seiner Performances nur von den Besuchenden und den Sicherheitsleuten, nicht von den Gatekeepern. Es gibt Dinge, die können nur hidden masters tun, als humoristischer Spiegel einer Kunstblase, die so gerne heterogen sein würde, aber sich immer noch homogen verhält.