Julian Schnabels Van-Gogh-Film

Maler, die auf Maler starren

Julian Schnabels Spielfilm "Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit" interessiert sich ernsthaft fürs Künstlersein. Er zeigt aber auch, dass das Klischee vom wahnsinnigen, männlichen Genie nicht totzukriegen ist

Julian Schnabel hat seinem Van-Gogh-Darsteller Willem Dafoe geraten, den Pinsel wie ein Schwert zu halten. Und so sieht es dann auch aus im Künstlerfilm "Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit", der kommende Woche Donnerstag in den deutschen Kinos anläuft. Dafoe bearbeitet die Leinwände mit entschlossenen Hieben aus Farbe. Die nasse Ölmasse wird so grob ineinandergematscht und aufgetürmt, dass sich Künstlerkollege Paul Gauguin (gespielt von Oscar Isaac) über zu wenig Oberflächenzartheit beschwert. Van Gogh sei ja gar kein Maler, sagt er kopfschüttelnd. Er mache vielmehr Skulpturen auf Leinwand.

Die Kamera verweilt oft und lange auf diesem gleichzeitig energetischen und konzentrierten Akt. Man muss dem Film zu Gute halten, dass er einer der wenigen Künstlerblockbuster ist, der sich wirklich für das Malen interessiert. Das ist nicht wirklich verwunderlich, ist der Regisseur Julian Schnabel doch selbst Maler. Sein Film kreist um die Frage, warum Künstler etwas erschaffen, auch wenn niemand an sie glaubt. Antwort Schnabel: weil sie müssen. "Ich bin meine Bilder", sagt der Willem-Dafoe-Van-Gogh im Film. Er malt, weil er nicht anders kann - und weil er nichts anderes kann.

Auch der Film als Ganzes wirkt wie eine grob hingeworfene Skizze. Einige Szenen werden ins meditativ Endlose gedehnt, während andere nur kurz aufblitzen. Die Handlung kreist lose um die letzten zwei Jahre in van Goghs Leben, als er aus Paris ins südfranzösische Arles flüchtet, um "das Licht" zu finden und dort bis zu seinem Tod (Spoiler: diesmal kein Selbstmord) mit psychischen Problemen kämpft. Julian Schnabel und seine Co-Autorin Louise Kugelberg interessieren sich nicht dafür, wie ihre Hauptfigur ein Künstler geworden ist. Er ist einfach einer, vollendet ab Minute eins, auch wenn die Welt das erst viel später verstehen wird.

Sehen wie van Gogh

Auch die Kamera von Benoit Delhomme versucht, wie ein Maler zu sehen. Wie bei einem Actionsportler sitzt die Linse auf Delhommes Stirn. Dabei  ist das, was passiert – oder eben nicht passiert – das Gegenteil von Action. Immer wieder sieht man nur van Goghs laufende Füße, dann endlose Felder und Wiesen und die niemals endende Suche nach einem Bild in der Welt. Kunst entsteht hier beim Blicken und der Regisseur lässt das Publikum als Co-Künstler durch van Goghs Augen schauen.

Julian Schnabel inszeniert sich als Maler, der auf einen Maler starrt, der auf seine Umgebung starrt. Diese Technik der Ego-Kamera, die nicht neu, aber effektiv ist, sorgt für einige der schönsten Momente des Films. Wenn sich nach dem blassgrauen Anfang in Paris endlich "das Licht" in den sattgelben Feldern und glutroten Sonnenuntergängen von Arles zeigt, ist das auch für die Zuschauer eine Offenbarung.  

Erstaunlich wenig Ohr 

Die Momente des Malens, in denen auch Schauspieler Willem Dafoe seine ganze düstere Großartigkeit entfalten kann, sind das Zentrum des Films. Alles andere passiert nebenbei. Schnabel vertraut darauf, dass die Geschichte van Goghs zwischen Alkohol, Armut und Wahnsinn hinreichend bekannt sein dürfte. Das weltberühmte abgeschnittene Ohr nimmt beispielsweise überraschend wenig Platz ein – und Schnabel findet sogar eine unblutige und konsequent künstlerische Möglichkeit, um es loszuwerden. Die Szenen zwischen Vincent und seinem Bruder Theo van Gogh (Rupert Friend) entfalten eine Intimität, die zwischen Männern im Film immer noch selten ist.

Dafür bleibt der Vertraute und Lieblingswidersacher Paul Gauguin als Figur eher blassneblig. In seinen wenigen Auftritten gleicht er einem sprechenden Kunstlexikon, sodass der emotionale Stress, der Gauguin bei van Gogh auslöst, eher unverständlich bleibt. Für seine Figuren als Individuum scheint sich der Film sowieso nicht besonders zu interessieren. Willem Dafoe spielt keinen nahbaren Vincent sondern einen überlebensgroßen "Van Gogh" – den Prototypen des verkannten Wundermannes.

Warum immer wieder Vincent?

Wie Regisseur Julian Schnabel selbst zu Protokoll gibt, herrscht nicht gerade ein Mangel an Van-Gogh-Filmen in dieser Welt. Erst im vergangenen Jahr wirbelte der ölgemalte Farbrausch "Loving Vincent" durch die Kinos. Schnabel selbst hat 40 Filme gezählt, die ihm alle nicht gut genug waren. Der Maler wurde von so unterschiedlichen Schauspielern wie Kirk Douglas, Tim Roth und Benedict Cumberbatch gespielt und in so ziemlich alle erdenklichen Epochen vom 19. Jahrhundert bis in die Zukunft verlegt. Die Menschheit kann offenbar immer noch nicht nicht ablassen von der Idee des männlichen Genies, das am Rande des Wahnsinns balanciert und unverstanden in seiner ärmlichen Hütte (oder wenn es gut läuft in blühenden Lavendelfeldern, aber immer in löcherigen Socken) vor sich hinmalt.

Der Künstler, auch wenn er gegen seine Dämonen kämpft, ist voll und ganz mit seiner Kunst beschäftigt und blendet alles andere aus. Dass die Wirklichkeit ganz anders sieht, müsste Julian Schnabel mit seinem weltumspannenden Kunst- und Lifestyle-Imperium am besten wissen. Doch auch er gibt sich dem romantischen Klischee des Kreativen hin, der unbehelligt von Alltag und Markt mit den eigenen Dämonen kämpft und selbst im Zustand akuter Psychose Werke von Weltrang erschafft. Niemand will so leben wie van Gogh, aber jeder möchte ein wenig bestäubt werden vom Genieglitzer aus dem 19. Jahrhundert, weil es den Künstler als unkorrumpierbare moralische Instanz adelt.   

Der Künstler bleibt auf dem Sockel

Dass diese Filmwelt ein reines Männeruniversum ist, wo Frauen lediglich ihre Kurzauftritte als Haushaltshilfe, Modelle oder Ehefrauen mit Babybündel im Arm haben, mag man großzügig auf die "damalige Zeit" schieben. Dass aber eine angedeutete Vergewaltigung einer Schäferin lediglich als Fußnote gezeigt wird, die zu van Goghs wahnsinnigen Episoden "halt dazugehört", zeugt von verstörender Gleichgültigkeit gegenüber dieser Figur. Auch hier zählt nur der Blick des Malers, nicht das, was er anrichtet. Wie so oft bei den Giganten der Kulturgeschichte sollen die "Dämonen" des Genies gar nicht so genau ausgeleuchtet werden. Gewalt ist vor allem ein Accessoire der Interessantheit. Trotz der düsteren Untertöne will  Julian Schnabel van Gogh auf einem unangekratzten Sockel stehen sehen. Wenn der Maler auf den Maler schaut, hat er Sterne in den Augen.