Julius von Bismarck

"Der Ozean durchläuft einen Bedeutungswandel"

Mit seiner Ausstellung im Pariser Palais de Tokyo erzeugt Julius von Bismarck das Meer im Kopf. Im Monopol-Interview spricht der Berliner Künstler über den Ozean als romantisches Ideal, Opfer und Bedrohung

Julius von Bismarck, Sie zeigen im Palais de Tokyo ein Objekt im Raum, das Sie der griechischen Meeresgöttin Tethys gewidmet haben, eine Boje. Wie stellt sie sich dar? 
Eine Boje an sich sieht schön aus, aber ist eigentlich ein langweiliges Objekt, ein Readymade. Das wäre noch kein Kunstwerk. Die Boje schwebt im Raum, sie bewegt sich synchron zu einer anderen Boje auf dem Meer, die ich vor einer Woche in der Nähe von Nantes zu Meer gelassen habe. Ich versuche den Ozean hier im Museum in den Köpfen der Menschen zu erzeugen, indem ich Wellenbewegungen an der Boje exemplarisch darstelle. Das hat eine immersive Komponente. Die Boje ist eine Hypnotisierungsmaschine, die zwangsläufig zu der Vorstellung führt, das Wellen hier im Palais de Tokyo rumschwappen. 

Die Boje ist ein Stellvertreter für die Bewegungen des Meeres. Hätte diese auch durch etwas anderes dargestellt werden können?  
Ich hätte auch ein Boot verwenden können, einen Eisberg, einen Baumstamm, eine Kokosnuss oder ein Stück Plastik. Aber die Boje habe ich schon ganz bewusst gewählt, weil sie ein industriell gefertigtes Objekt ist. Bojen funktionieren als unsere zivilisatorischen Außenposten im Meer. Als Schifffahrtsbojen helfen sie beim Navigieren oder als Wissenschaftsbojen bei der Ergebung von Messdaten. Bojen sind wie Weltraumsonden – Außenbotschafter die unsere menschliche Existenz ohne unsere konkrete Anwesenheit repräsentieren. Sie senden Informationen von fernen Orten und gleichzeitig platzieren sie dort Informationen von uns.

Wozu braucht es für die Darstellung des Ozeans überhaupt ein Objekt?
Der Ozean an sich ist gar nicht so leicht begreifbar. Von einer konventionellen Betrachtungsweise her, besteht er meist nur aus einer Horizontlinie. Darüber ist der Himmel blau, darunter hat das Wasser ein anderes Blau. Anstelle eines bildhafteren Mediums – Film oder Foto – konzentriere ich mich auf die reine Bewegung, die eine viel direktere Verbindung zum Ozean erzeugt als jedes Bild oder eine Webcam es könnte. Die reine Bewegung spiegelt den Ozean als fast personalisierte Instanz viel besser wieder. Du begreifst den Ozean zwangläufig als einen Charakter – du spürst die Laune des wilden Wassers, das potentiell dein Leben in den Händen halten kann. Den meisten Menschen fehlt es aber an derlei existentiellen Erfahrungen mit dem Meer.  

Knüpfen Sie damit an ein romantisches Ideal an? Der Mann und das Meer?
Früher war der Ozean das Wilde, das Unbezähmbare. Es herrschte das Bild von Seemännern, die dem Ozean ausgeliefert waren. Man hat gekämpft gegen diese Naturgewalten. Ich spiele mit den traditionellen Naturbildern aus der Romantik – die verrostete Boje, die einsam auf dem Meer herumtanzt ist ja durchaus ein romantisches Motiv. Aber dieses Bild passt zu unserem heutigen Naturverständnis nicht mehr. Ich versuche eine neue Ästhetik zu schaffen, eine neue Vorstellung von Natur künstlerisch zu setzen, denn diese ist und war immer kunstgeschichtlich stark geprägt. 

Damit folgen Sie sehr stringent ihrer künstlerischen Praxis: Sie haben das Meer bereits ausgepeitscht, einen realen Dschungel grün angemalt, Steine ausgehöhlt und so um ihr natürliches Gewicht gebracht ...  
Die Frage ist: Sehen die Menschen die Natur so, wie sie ihnen die Kunst vormalt oder entwerfen die Menschen ein autarkes Bild? Ich habe mich als Künstler sehr viel beschäftigt mit der Wahrnehmung und der Erzeugung von Natur. Unsere Vorstellung davon, was wir als Natur ansehen, ist ein menschliches Konstrukt und kulturell bedingt und daher historischen Schwankungen unterlegen. 

Wie steht es um das gegenwärtige Verhältnis zwischen Mensch und Meer? 
Gerade durchläuft der Ozean einen Wahrnehmungswechsel und eine Bedeutungsänderung, weil er sich stark verändert. Heute betrachtet der stadtwohnende Mensch den Ozean als Opfer unseres Handelns. Wir sind die Täter, die ihn mit Mikroplastik und unseren Abfällen belasten. Eine zweite riesige Ökowelle findet als gesamtgesellschaftliches und nicht mehr als Nischennarrativ statt. Der Ozean wiederum zeigt uns sein Bedrohungspotential durch Flutwellen und dem steigenden Meeresspiegel. Das Schulkind, das letzte Woche gegen Umweltverschmutzung gestreikt hat, wird in dieser Arbeit etwas anderes sehen als der alte Seefahrer. Es ist dieser neue Ozean, der hier durch das Palais seine Wellen schlägt.