Käthe Kruse in der Berlinischen Galerie

Ornament und Vergessen

Tödliche Doris
Foto: Doll Mohead, © Courtesy Archiv Käthe Kruse

Nikolaus Utermöhlen, Tabea Blumenschein, Wolfgang Müller und Käthe Kruse bei einer Performance in The Kitchen, New York, 1984

"Jetzt ist alles gut" heißt die Retrospektive von Käthe Kruse, die in den 1980er-Jahren als Mitglied der legendären Berliner Künstlergruppe Die Tödliche Doris Geschichte schrieb. Auch in ihrem eigenen Werk bezieht sie sich immer wieder auf diese Anfänge, baut Zitate in ihre Arbeiten ein. Dabei blendet die Ausstellung ihre ehemaligen Mitstreiter und die gemeinsame Praxis jedoch aus, um eine monolithische Erzählung zu schaffen

Die 80ies kommen zurück, nicht nur in der Kunst. Act Up marschiert wieder durch die Straßen von Manhattan, die Looks sehen aus wie aus den Subkulturen der späten 1970er- und frühen 1980er-Jahren. Die Revolten der feministischen und LGBTQ-Bewegungen, der Aufschrei von Punk und Wave liefern, zumindest in der Kultur und Mode, die Blaupausen für den Widerstand gegen die Trump-Regierung und den Vormarsch der Rechten. Doch gleichzeitig verschärft sich die politische Lage täglich. In den USA werden Menschen ohne Prozess in Internierungslager deportiert, Rechte abgeschafft oder einfach missachtet, Infrastrukturen und sozialer Zusammenhalt systematisch zerstört.

Es tobt ein Kulturkampf gegen Migranten, "Wokeness", Klima- und Trans-Aktivismus. Gegen die urbanen Eliten, die "radikale" Linke, "Antisemiten" – ein Krieg, der seit gefühlten Ewigkeiten geführt wird. Dabei geht es um die ideologische Herrschaft über unsere Geschichten und Erinnerungen, um den gewollten Verfall von Miteinander und Zusammenhalt. Es soll kein "Wir" mehr geben, keine Vielfalt, sondern nur eine einzige homogenisierte Geschichte erzählt werden: die der Stärkeren, der "Auserwählten", der wahren Elite, die schon die ganze Zeit hätte erzählt werden sollen, wie im Kalten Krieg, bei Thatcher und Reagan.

Die Trump-Regierung hat einen Katalog von Hunderten von Worten erstellt, die von Mitarbeitern in Institutionen vermieden werden sollen – darunter "female", "Native American" oder "racism". "Male" ist nach wie vor okay. Gleichzeitig wird Institutionen die Förderung gestrichen, was das Zeug hält. Es trifft Universitäten, Museen, Archive, NGOs, das gesamte Bildungssystem. Alles, was MAGA nicht in den Kram passt, wird gestutzt, ausgeblendet, zensiert, wenn möglich zerstört.

Früher war das Konservative mit der unbedingten Forderung nach Meinungsfreiheit verbunden. Doch damit ist jetzt Schluss. Auch in Deutschland. Erst jüngst wetterte Ulf Poschardt in der "Welt" gegen das "verkommene, verwöhnte Kulturestablishment", die "saturierten, moralisch verluderten Kultureliten der Hauptstadt". Und der neue Kultusminister wird aufgefordert, "aufzuräumen" – der Kulturbetrieb solle dabei "im Zweifel kaputtgemacht werden". Schon beim Lesen dieser Goebbels-Nazi-Sprache wird einem übel. Um so etwas hinzuschreiben, ohne vor Scham im Boden zu versinken, bedarf es echter Überzeugung. Aber so redet man heute – in einer der Machtzentralen der Republik. Und dabei prosten dir Leute aus dem liberalen Kunstbetrieb immer noch fröhlich zu.

Nur wer vermarktbar ist, kommt durch

Warum dieser lange Exkurs, bevor ein Wort zu einer Ausstellung fällt? Weil es gerade – nicht nur in der Kunst – darum geht, wessen Geschichte erzählt wird, wessen nicht, wer diese Geschichte erzählt und wie. Museen, Institutionen, Kuratorinnen und der Presse kommt dabei eine besondere Verantwortung zu. Aber natürlich auch den Künstlern und Künstlerinnen selbst, die zum großen Teil prekär leben und ständigem Wettbewerb ausgesetzt sind. In dem geht es nicht nur um Geld, nicht nur um mehr oder weniger Aufmerksamkeit, sondern ums blanke Überleben.

Diese Hunger Games waren schon immer die Regel. Aber jetzt kommen die Kürzungen der Fördermittel hinzu und eine reaktionäre Kulturpolitik, die immer mehr auf Marktfähigkeit, schnelle, unterkomplexe Vermarktung setzt. Nur wer kommerziell oder prestigeträchtig vermarktbar ist, kommt durch – allen anderen droht das permanente Vergessenwerden. Oft hängt das Schicksal von der Vernetzung ab: Es muss nur ein wichtiger Kurator, eine bedeutende Sammlerin, ein anderer berühmter Künstler etwas auf Insta posten, dich in eine Gruppenshow reinnehmen – und schon kann sich dein Schicksal ändern. Oder du bist tot (oder schon fast tot), und einer dieser Leute findet deine genialen Sachen in einer Garage oder in der Ausstellung deiner Kunstvereinsfreundin, die dir ein ganzes Leben die Stange gehalten hat. Doch sie wird dein Werk bestimmt nicht behalten.

Das stimmt wirklich, es gibt genug Beispiele. Googelt mal den heute 79-jährigen New Yorker Künstler Scott Kahn, der sein Leben lang bettelarm war, jetzt bei Zwirner ist und Bilder für über eine Million Dollar verkauft. Dann weißt du, was ich meine. Das Perfide ist: Dieses ungewöhnliche, prekäre Leben wird selbst zum Kapital, sobald es verwertet werden kann. Aus Abfall wird Geld und Aufmerksamkeit, wenn die Geschichte stimmt und du lange genug durchhältst.

Das gilt auch für den Blick auf die rebellische, hedonistische Ära von Punk, Wave, Elektro, Schwulenbewegung, Feminismus 2.0 – die Zeit der Hausbesetzungen und Straßenschlachten. Genau da sucht die Kunst gerade wieder intensiver. Natürlich sind die Ausstellungsprogramme schon viel länger geplant. Aber es lag ja auch schon länger in der Luft, dass diese Ideen aus der Postmoderne noch einmal diskutiert werden müssen. Und natürlich gibt es auch tolle Überlebende. So wie in Berlin, wo mit der Vaginal-Davis-Schau im Gropius Bau eine Berlinerin gefeiert wird, eine schwarze Homo-Core-Pionierin und Ikone des queeren LA-Undergrounds der 80er, die wirklich ein ganzes Alphabet von Subversion, Glamour und Widerstand durchbuchstabiert.

Monolithischer Ernst

Fast zeitgleich zeigt die Berlinische Galerie mit "Jetzt ist alles gut" die Retrospektive einer Schlüsselfigur der Berliner 80er-Szene: der Künstlerin, Performerin und Musikerin Käthe Kruse, die damals als Mitglied der Tödlichen Doris, als Protagonistin der Genialen Dilletanten bekannt wurde. "Jetzt ist alles gut" fokussiert sich mit rund 50 Arbeiten – raumgreifende Installationen, Malerei, Objektkunst, Videos, Fotografie, Soundarbeiten – vor allem auf Käthes Solo-Werk, das sie über Jahrzehnte nach der Auflösung der Band und Künstlergruppe weiterentwickelt hat.

Ein zentrales Thema ist jedoch auch die Aufarbeitung der Jahre 1982 bis 1987, in denen Käthe mit Wolfgang Müller und Nikolaus Utermöhlen, den Gründern der Tödlichen Doris, zusammenarbeitete. Werke, Kostüme und Videos aus der Doris-Zeit sind zu sehen, viele von Käthes Arbeiten zitieren Texte, Performances, Musik, Materialien oder gemeinsame Projekte. Doch da, wo Vaginal Davis' Ausstellung ein rebellisches, ausuferndes Archiv mit Fußnoten, mit Tausenden von Dokumenten und Stimmungsräumen aufmacht und kollektive Lebensgeschichte erzählt, herrscht hier zunächst ein unheimlicher Ernst.

Die geometrisch-abstrakten Rauminszenierungen, die Farb- und Tapetenstreifen, Farbfelder, gerasterten Textarbeiten, Podeste mit bestickten Kissen unter Plexiglashauben, bedruckten Metallplatten, kostümierten Puppen: Alles wirkt wie eine "originelle", aber klar museal aufbereitete Angelegenheit. Und diese möchte, so heikel das künstlerisch und biografisch auch sein mag, keinerlei Unsicherheit aufkommen lassen. Kein Zweifel, dass sie in diese Institution gehört. Das ist erstaunlich, denn Käthes Karriere begann in der aufkommenden Institutionskritik – in einer der queersten und härtesten Artsy-Fartsy-Bands des deutschen New Wave, die genau gegen das monolithische, geniale Künstlerbild antrat, das hier nun mit Selbstverständlichkeit zelebriert wird.

Es gab da einmal ein "Wir"

Bevor wir uns hineinbegeben, ein Geständnis: Die Geschichte, die hier in der Berlinischen Galerie verhandelt wird, ist – obwohl es Käthes Show ist – nicht nur ihre Geschichte. Sie ist auch die von Wolfgang und Nikolaus. Und in gewisser Weise ist sie auch meine. Nicht nur, weil ich es war, der Käthe den anderen beiden vorstellte. Nikolaus, mit dem ich 15 Jahre zusammen war, bis er 1996 an den Folgen von Aids verstarb, war meine erste große Liebe. Ich war eine Art Nachhilfe-Yoko Ono der Tödlichen Doris. Natürlich hat mich die Geschichte dieser Gruppe ebenso geprägt wie all jene, die bis 1987 an diesem Gesamtkunstwerk beteiligt waren.

Viele von ihnen leben nicht mehr: Dagmar Dimitroff, die vor Käthe Schlagzeugerin war, ihr Sohn Oskar, der im Grundschulalter mit ihr tödlich verunglückte, Tabea Blumenschein, Valerie Blitz, David Steeves, die für Doris Go-Go tanzten, oder der Gehörlosen-Aktivist Gunter Trube. Sie alle haben performt, gemalt, getanzt, geschrieben, ihre Ideen und Looks in dieses kollektive Kunstwerk eingebracht. Denn es gab da einmal ein "Wir".

Doris war identitätslos – der absolute Gegenentwurf zum männlichen, genialischen Künstler, der seine eigene "Handschrift" verewigt. Zumindest wurde das behauptet. Doris war eine Amöbe, die sich fortwährend andere künstlerische oder nicht-künstlerische, reale oder fiktive Identitäten einverleibte. Anders als es die Berlinische Galerie zeigt, waren Käthe, Wolfgang und Nikolaus nicht als heiliges Dreigestirn tätig, sondern umgeben von einer Schar Zuträgerfischchen und Superstars, einer ganzen Entourage. Niemand hatte Interesse am Aufgeräumten, im Gegenteil. Es ging um wahnhafte, größenwahnsinnige Systeme, um die Hinterlassenschaften der Nazi-Zeit, des Holocausts, der Moderne, der RAF, um Poststrukturalismus, rhizomatisches Denken. Niemand suchte nach einer Lösung oder einem Abschluss. Nichts war gut. Es ging um Exzess, um eine Ökonomie der Verschwendung – auch des eigenen Lebens, das untrennbar mit der Kunst verbunden war.

Jetzt, fast vier Jahrzehnte später, stehe ich in dieser Ausstellung und sehe auf kleinen Monitoren an der Wand im ersten Raum Käthe und Nikolaus, wie sie einander auf zwei Sesseln gegenübersitzen. Nackt, mit ungewaschenen Oma-Perücken vom Flohmarkt auf dem Kopf, vor einem Fernseher. Auf dessen Bildschirm läuft eine Performance von Doris mit Tabea – aufgenommen 1983 auf Helgoland. Man sieht Wolfgang im TV, ein Film im Film. Wir alle fuhren damals mit einer ganz normalen Butterfahrt an die Nordsee, zwischen Rentnergruppen, die Krabbensalat aßen und Heizdecken kauften – und dazwischen: Blixa Bargeld. Dieses Video ist so typisch Doris – Zeitebenen und Verweise stapeln sich. Ich halte mein Ohr an den Kopfhörer und höre Nickis Stimme, den fränkischen Akzent, den ich seit Jahrzehnten nicht mehr gehört habe.

Gegenüber läuft eine große Videoprojektion: "Der Vertrag" (2013). Käthe sitzt wieder nackt an einem Tisch und liest den Auflösungsvertrag der Tödlichen Doris von 1987 wie eine Litanei vor. Darin ist genau geregelt, wie die drei Mitglieder mit dem gemeinsamen Werk umgehen dürfen. Es geht um Besitzanspruch und zugleich um das Teilen von geistigem oder materiellem Eigentum. Laut Wandschild sei der Vertrag eine Aufarbeitung von Käthes Geschichte mit Doris. Doch nirgendwo steht, was an Doris so besonders war, worin die gemeinsame Geschichte überhaupt besteht – und warum alle nackt singen und lesen. Ich erzähle das hier aus meiner Perspektive, denn ohne diese Erläuterung lässt sich die Ausstellung und meine Kritik daran kaum verstehen.

Das Meme einer Künstlerband

Doris war, was man heute vielleicht ein Meme nennen würde – das Hardcore-Meme einer Künstler- oder Postpunk-Band. Trotz Glam Rock, Bowie, den New Romantics, all der androgynen Looks war die Kunst- und Musikszene erst ab den späten 1970er-Jahren "queerer" geworden – das Wort gab es noch nicht. Doris, die auch das Meme einer elektronischen Schwulenband mit Übermutti war (diese Rolle spielte Käthe im Brecht-Stil, fast wie im epischen Theater), nahm in der Berliner Szene eine einzigartige Stellung ein. Vorfahren waren vielleicht The Velvet Underground oder die Industrial-Band Throbbing Gristle. Aber zugleich war Doris nie eine echte Band – mindestens ebenso sehr war sie eine Performance-Gruppe, die nur im Berlin der frühen 1980er entstehen konnte.

Das eingemauerte Berlin war, als ich Käthe kurz nach ihrer Ankunft kennenlernte, eine vollkommen andere Stadt. Die Luft roch nach Briketts und Koks. In U-Bahnen, Restaurants, Kneipen: Ausdünstungen von Schweiß, Haarspray und Nikotin. Überall wurde geraucht – bei der Arbeit, im Bett, vor dem Ficken, nach dem Ficken, in Lehrerzimmern, Läden, Arztpraxen. Die Kneipen waren rund um die Uhr voll. Auf den Straßen türmten sich im Winter gletscherartige Verwerfungen aus Schnee und Hundekot, die sich schichteten, tauten, wieder froren, einschneiten, verrußten. Niemand hob etwas auf – außer Doris.

Material für die Nachkriegszeit

Noch als Kunststudenten hatten Nikolaus und Wolfgang zwischen 1979 und 1980 weggeworfene, zumeist zerrissene oder vergessene Passbildstreifen von Fotoautomaten gesammelt, wie sie in jedem U-Bahnhof standen. Diese Bilder wurden sorgsam wie Puzzleteile zusammengesetzt – klitzekleine postmoderne Porträts zersplitterter Identität. Aus diesem Archiv entstand eine der wichtigsten Arbeiten der Gruppe, die in einer dramatisierten Fassung als Stummfilm aufgeführt wurde: "Material für die Nachkriegszeit".

Die ganze Stadt war voll von solchem Material: Fotoalben, Kleidung, Perücken, Briefe, Akten, Möbel. Die aufgelösten Haushalte der Trümmerfrauen und ehemaligen Wehrmachtsoffiziere stapelten sich in den Kellern der Kreuzberger Trödelläden und auf den Flohmärkten. Die Secondhand-Mäntel und Skihosen, die Männerschuhe und Lederuniformen, die man in Discos wie dem Dschungel neben Vivienne-Westwood-Klamotten sah, trugen alle noch die körperlichen Spuren vergangener Leben. Das war damals Doris' und natürlich auch Käthes Material – genauso wie die Nachkriegs-Tapeten aus Musterbüchern oder die Op-Art-Billig-Tapetenrollen, mit denen man die Vergangenheit zu übertapezieren versuchte.

Doris erfand absichtlich prekäre, exaltierte, dekonstruierte Looks, die bissig Klassenunterschiede, Hoch- und Massenkultur, Kunst und Konsum kommentierten. Das sieht man bis heute an den völlig hysterischen Kostümen, Hybride aus Las Vegas, Kunstverein und Kreuzberger Festlichen Tagen – und sogar auf den braven Puppen in Käthes Ausstellung sind sie noch zum Schreien. Doris' Konzerte und Performances gingen in jeder Hinsicht an die Schmerzgrenze. Und sie hatten extrem viel mit Tod zu tun. Es gehörte zum Konzept, dass alles – wirklich alles – gnadenlos wiederverwertet wurde. Oder wie der Autor und Filmkritiker Dietrich Kuhlbrodt schrieb: "alle möglichen Formen der bürgerlichen Kultur, häufig nur noch leere Hülsen und inhaltlose Rituale".

Pornografie, Gewaltverherrlichung, Tumulte

Doris nahm diese Hülsen – auch die des genialischen Künstlers, der mit seiner Kunst eine moderne und demokratische Gesellschaft mitaufbauen soll – und entweihte sie. Die erste LP, die noch ohne Käthe aufgenommen wurde, landete wegen Pornografie und Gewaltverherrlichung auf dem Index. Im Kurzfilm "Das Leben des Sid Vicious" (1981) ließen Nikolaus und Wolfgangs Bruder, der Mutter-Sänger Max Müller, den dreijährigen Sohn von Dagmar Dimitroff – Oskar – im Hakenkreuz-T-Shirt den Mord an Nancy Spungen nachspielen, dargestellt von einer etwas älteren Kindergartenfreundin.

Schon damals sorgte der Film bei Aufführungen für empörte Tumulte – heute wäre er gar nicht mehr möglich. Natürlich waren diese Provokationen auch Proteste gegen eine Gesellschaft, die man für faschistisch hielt. Doris war damit nicht allein. Doch während andere Künstler oder Bands wie die Einstürzenden Neubauten oder Malaria sich mit Pathos oder Ironie der Nazi-Vergangenheit und dem Holocaust widmeten, beschäftigte sich Doris schon mit der Erinnerungskultur selbst – mit den Mechanismen der Verdrängung und Sublimierung in der Nachkriegszeit. Wie eine Therapeutin, die Supervision für ein ganzes kulturelles Umfeld übernahm.

Das zeigt sich besonders in den Doris-Videos "Naturkatastrophenballett" (1982) und "Naturkatastrophenkonzert" (1983), die in Käthes Ausstellung zu sehen sind. Beide entstanden nahe der Mauer. Käthe, die eigentlich einmal Handarbeitslehrerin werden wollte, bastelte sich ein Kostüm, das zugleich Klangkörper war – für die "Naturkatastrophen", die Wolfgang und Nikolaus aus Nachkriegs-Kinderlexika vorlasen. Auf ihrem Rücken: eine verbeulte Alu-Belichtungsplatte aus einer Druckerei. Sie steht für den Sturm. Zwischen den Knien: Becken für den Donner. Gehäkelte Bänder mit Glöckchen und alten Tassen, die beim "Erdbeben" zu Bruch gehen. Das war natürlich auch eine Art schamanisch-urbane Kunsttherapie.

Auch dass Käthe Flammen spuckte, die Mikrofone verbrannten, während Wolfgang die geschmolzenen Reste mit der Geige vollschrammte – wie Nero das brennende Rom –, war ein Kommentar. Auf die neo-expressionistische Kunst jener Zeit, auf Hippie- und Freakkultur. Natürlich ging es nicht nur um Naturkatastrophen. Sondern um die großen Katastrophen der Moderne, die sich über Generationen in kollektive Körper eingeschrieben haben. Und um die bigotten oder scheinheiligen kulturellen Anstrengungen, damit klarzukommen. Um den Versuch, Faschismus – vielleicht auch Kapitalismus – irgendwie zu überwinden.

Was wehtut, wird zugedeckt

Diese Themen bilden den Ausgangspunkt für Käthes Ausstellung, sie ziehen sich wie ein roter Faden hindurch. Es gibt zwar auch rein formale Werke, etwa die sehr schöne Näharbeit auf weißem Papier "Ich sehe Schwarz" (2009). Doch die Mehrheit der Ausstellung ist eine Revision des Œuvres der Tödlichen Doris. Während sich Doris in ihrer Kunst an- und auszog und zeigte, was unter dem Kostüm, dem Ritual, den Rollen und Identitäten liegt – nämlich nichts, oder zumindest etwas völlig Ungelöstes und Ungewisses –, schlüpft Käthe hier ernsthaft in die Rolle der Einzelkünstlerin. In die überholten Kostüme der Konzeptkunst der 1970er- und 1980er-Jahre. Und während sie in ihren Performances – mit denen sie in die Kunstgeschichte eingehen wird – unglaublich viel ungelöstes Zeug (etwa Krieg und Abtreibung) angeht, überdeckt und glättet sie in der bildenden Kunst alles, was ihr oder anderen wehtun könnte.

Dieses Verpacken, Kategorisieren, Konservieren zeigt sich nicht nur in Käthes Farbstreifenarbeiten und Installationen, die immer bestimmten, aber auch willkürlich wirkenden Ordnungssystemen folgen. Es ist auch zentraler Bestandteil ihrer Installation "In Leder" (2023): Dort hat Käthe nicht nur ihr Schlagzeug, sondern ein ganzes Set von Instrumenten der Tödlichen Doris konserviert – Bass, Gitarre, Akkordeon, sogar ein Teekessel auf einer Kochplatte aus der Performance "Sieben Tödliche Unfälle im Haushalt" (1982). Sie hat diese Requisiten vollständig mit Leder überzogen, "eingeledert", wie sie es nennt – eingeschweißt wie Tiefkühlkost für die Ewigkeit. Schalldicht, aber auch warm – wie Haut. Das hat etwas Magisches, einen Hauch von Bannzauber, festgehalten in einem pedantischen Akt der Einbalsamierung und Reinigung.

Auch eine Rekonstruktion des Kostüms für das "Naturkatastrophenballett" ("Naturkatastrophenballett im neuen Kostüm", 2013) hängt als Wandinstallation – ausgestattet mit nagelneuen Ikea-Tassen und ungetragenen Glitzer-Gummistiefeln. Die alten Doris-Texte – etwa aus Songs wie "Ungerechtigkeit" oder "Nachdenken, Gedächtnis und Gesang" – hängen gesiebdruckt auf spiegelblanken Blechen, eine neue Serie von 2023. Jedes Blech ist versehen mit der immergleichen Headline: "Käthe Kruse, Texte und Töne." Als hätte sie hier alleinige konzeptionelle Urheberschaft.

Und dann sind da die flirrenden, in Streifen angeordneten Tapetenbahnen an der 36 Meter langen Wand in der zentralen Halle. Davor aufgereiht: Puppen mit den alten Showkostümen. Die Tapeten verweisen auf die Muster aus den Super-8-Filmen und Performances der Tödlichen Doris. Damals waren es abgenutzte, billige Restposten. In der Berlinischen Galerie wirken sie wie fabrikneue Retro-Designs – genau wie die Tapeten, die sich heute Kreuzberger Psychologen und Architektinnen in ihre Loftwohnungen kleben.

Die Gesamtheit allen Lebens und alles Darüberhinausgehende

Auf diesen Tapetenbahnen hängen – kommentarlos – abstrakte, kaleidoskopische Gemälde aus einer 44-teiligen Serie der Tödlichen Doris, die 1987 unter dem Titel "Die Gesamtheit allen Lebens und alles Darüberhinausgehende" gezeigt wurde. In Käthes Installation fügen sie sich als konstruktivistisch-ornamentale Kompositionen in das Gesamtbild ein. Tatsächlich aber entstanden sie in den 1980er-Jahren als Reaktion auf den Neo-Expressionismus und auch auf postmoderne Malereipositionen wie etwa die von Günther Förg.

Die Bilder basieren auf sogenannten "Szenentrennern" – kurzen Filmschnipseln, die man in Super-8-Heimfilme schnitt, um etwa Weihnachten vom Sommerurlaub zu trennen. Diese Streifen konnte man im Fotoladen kaufen; projiziert zeigten sie kaleidoskopartige Animationen, wie man sie aus Sixties-Werbung kennt. Die Vorlage für die 44 Gemälde waren einzelne Filmbilder solcher Szenentrenner. Sie wurden einzeln auf Leinwand projiziert und dann von den drei Doris-Mitgliedern sowie einer ganzen Gruppe von Helfer:innen und Freund:innen ausgemalt – eine kollektive Arbeit, ohne klaren Autor also. 

Im Katalog zur Ausstellung sieht man eine ganze Serie: zehn Aufnahmen von der Herstellung der Gemälde, auf denen Käthe als sexy Malerin zu sehen ist: geschminkt, in schwarzen Klamotten, mit Kippe im Mundwinkel, wie sie vor den Leinwänden posiert oder darauf herumpinselt. Da ist einfach niemand anderes zu sehen. Es gibt auch keine Angaben zum Konzept der Gemälde, weder in der Schau noch im Katalog. Wer die Wandtexte und den Katalog liest, könnte denken, Käthe, Wolfgang und Nikolaus hätten sich super verstanden, unheimlich viel voneinander gelernt – und Käthe habe mit all diesen wunderschönen Erfahrungen im Gepäck ihr eigenes Werk weiterentwickelt. Ganz im Sinne des "Vertrags“, den sie in ihrer Videoarbeit vorliest – und der vorsieht, dass jeder der drei Beteiligten immer wieder auf die Arbeit der Gruppe zurückgreifen und sie für sein eigenes Werk nutzen darf.

Und ab und zu sieht man sich mal zum Kaffee – obwohl da eigentlich nur Namen und Rechte geblieben sind, keine wirklichen Personen. Kein Wort darüber, dass Nikolaus seit 1996 tot ist. Kein Wort über das Verhältnis zwischen Käthe und Wolfgang, das seit Jahrzehnten – um es freundlich zu sagen – heillos zerrüttet ist.

Mit dem Bulldozer über die Vergangenheit gerollt

"In der Berlinischen Galerie wollte ich etwas Neues probieren und die Arbeiten der Tödlichen Doris nicht als verstaubte Reliquien präsentieren", sagt Käthe im Katalog. Tatsächlich hat sie die künstlerische Vergangenheit mit all ihren prekären Materialien und Zuständen kurzerhand abgerissen und mit Konzeptkunst-City-Villen überbaut. Sie ist mit dem Bulldozer über alle eigentlich interessanten Konflikte hinweggerollt und hat neue, eigene Versionen der alten Kunst errichtet – die ohne die ursprüngliche Geschichte verdammt beliebig und steril aussehen. Dabei hat sie nicht nur die beiden Gründer der Tödlichen Doris gleich mitbegraben, sondern auch einen wichtigen Teil ihrer eigenen künstlerischen Biografie – wegen der ihr diese Retrospektive ja überhaupt erst gewidmet wurde.

Dass das passiert ist, hat mit diesem Überlebenskampf zu tun. In der Tödlichen Doris stand immer latent die Frage im Raum, wer eigentlich der "Kopf" der Gruppe sei. Hinter dem vermeintlich identitätslosen und inklusiven Konzept verbargen sich ständige Animositäten und Flügelkämpfe, fast wie bei "Game of Thrones". Nikolaus musste am Ende seines Lebens mitansehen, wie er aus der Geschichte der Gruppe herausgeschrieben wurde. Als es zwei Jahre nach seinem Tod eine Retrospektive seines malerischen Werks nach 1987 gab, verweigerten Käthe und Wolfgang sowohl das Schreiben von Beiträgen als auch Bilder und Material aus dem Doris-Archiv. Von ihnen ist in dem 1998 erschienenen Katalog noch nicht einmal eine Würdigung oder Erinnerung zu finden.

Dabei bezog sich Nikolaus' Malerei – ebenso wie das spätere Werk der anderen Mitglieder – auf die frühere, performative Arbeit mit der Tödlichen Doris. Käthe nimmt sich heute in der Berlinischen Galerie diese Freiheit. Wolfgang zeigt fast zeitgleich in der Konschthal Esch in Luxemburg seine Version der Geschichte – ebenfalls mit eigenen Werken und Arbeiten der Tödlichen Doris. Diese Chance haben sie Nikolaus Utermöhlen nicht gewährt.

Seitdem haben auch Käthe und Wolfgang sich entzweit. Eine gemeinsame Ausstellung, eine Aufarbeitung der Geschichte der Tödlichen Doris erscheint unmöglich. Und weil Käthe – und wahrscheinlich alle Beteiligten – weitere Konflikte vermeiden wollten und trotzdem auf die gemeinsame Legende von einst zurückgreifen, wurde diese löchrige Geschichte gestrickt. Eine, in der die Rolle des unliebsamen Wolfgang einfach ausgeblendet wird. Er hatte dasselbe vorher ja auch mit Käthe gemacht. Und leider musste dann auch Nikolaus posthum noch einmal verschwinden – zum zweiten Mal, nachdem er zuvor von Wolfgang rehabilitiert worden war.

Dieses knüppelharte Ausblenden von anderen Menschen

Ich habe mir das lange genug angesehen. Natürlich ist die Ausstellung in der Berlinischen Galerie eine reine Käthe-Kruse-Ausstellung – das werden das Haus und die Kuratorin Ilka Voermann sagen. Das stimmt auch: Käthe kann da aufhängen, was sie will. Sie kann eine Ausstellung konzipieren, in der die Arbeit der Tödlichen Doris wie eine Art Neo-Dada dargestellt wird, als sei das damals wirklich Dilettantismus gewesen. Sie kann sich als Überlebende präsentieren. Aber ich bin auch ein Überlebender. Ich war es, der Käthe damals als Bandmitglied vorgeschlagen hat. Ich habe denselben Zirkus mit Wolfgang mitgemacht, wie sie später. Und ich kann versichern: Diese Geschichte von der einsamen 80er-Ikone und Feministin stimmt – as a matter of fact – nicht.

Natürlich sollte man über den misogynen Aspekt der Tödlichen Doris sprechen. Über die undankbaren, manchmal auch monströsen Rollen, die Frauen – nicht nur in den Songs – zugewiesen bekamen. Man kann sagen: Herzlichen Glückwunsch, dass nun die Künstlerin ihre Retrospektive bekommt, das ist wirklich wohlverdient. Doch nichts ist gut. Kein Leid und kein vermeintlicher Feminismus rechtfertigen dieses knüppelharte Ausblenden anderer Menschen, lebender wie toter.

Wo kommen wir hin, wenn man einfach nach Belieben Leute und Fakten auftauchen oder verschwinden lässt, wie es gerade passt? Wie kann eine gestandene Institution wie die Berlinische Galerie die Plattform für solch eine Personality-Show bieten, in der andere Lebenswerke kommentarlos mitverheizt werden? Wo bleibt da die kuratorische Ernsthaftigkeit? Gerade in einer Zeit, in der immer wieder betont wird, wie wichtig Community und Partizipation sind, war es nicht nötig, eine so monolithische Geschichte zusammenzubasteln.

Es ist nicht nur schlimm, dass dadurch künstlerische Leistungen vielleicht in Vergessenheit geraten. Es ist schlimm, dass ausgerechnet jetzt – wo man andere Geschichten bräuchte, wo Institutionen Werke und Stimmen mehr denn je schützen müssten – dieser Kahlschlag zugunsten einer Einzelposition betrieben wird. Man hätte sich, schon in Käthes eigenem Interesse, der schwierigen Geschichte dieser wichtigen Berliner Künstlergruppe stellen müssen. Die wird in der Berlinischen Galerie – die dafür eigentlich zuständig gewesen wäre – wohl keine Retrospektive mehr bekommen.

Insta Note: 4/10