Anika Meier über Anish Kapoors Instagram-Account "Dirty Corner"

Schlammschlachten

Nach den Angriffen auf seine Kunst in Versailles präsentiert Anish Kapoor auf Instagram gesammelte Dreckecken-Fotos

Was ist jetzt wieder los? Das fragte sich sicherlich, wer die Nachrichten über Anish Kapoor und die dreckige Ecke den Sommer über mitverfolgte. So schnell konnten die Meldungen gar nicht gelesen werden, wie sie von Anish Kapoor, seinen Fürsprechern und seinen Gegnern produziert wurden.

Die Ereignisse kurz zusammengefasst: Der indisch-britische Bildhauer schafft für den Schlosspark von Versailles einige monumentale Kunstwerke. Darunter die so genannte "Dirty Corner", eine knapp zehn Meter lange Stahlröhre. Den Skandal gibt es gleich zur Eröffnung. Wenig überraschend. Denn Kapoor bezeichnet die Skulptur in einem Interview als "Vagina der Königin". Weil die Riesenplastik ein Loch in der Mitte hat. Aus der Ferne meint man bei diesen Worten gröhlendes Gelächter am Stammtisch in der Eckkneipe zu hören. Aber der Altherrenhumor aus dem Mund eines Künstlers verfehlt seine Wirkung nicht. Die Hüter der kulturellen Werte Frankreichs sind geschockt. Deshalb rücken einige von ihnen der dreckigen Ecke gleich mit gelber Farbe zu Leibe.

An dieser Stelle muss die Erzählung kurz unterbrochen werden. Zwischenzeitlich tauchte die dreckige Ecke nämlich auf Instagram auf. Als @dirty_corner. Anish Kapoor hat sich eigens einen Account angelegt, um über die Jahre gesammelte Fotos von verschmutzten Ecken im digitalen Raum zu präsentieren. Mit Uhrzeit und Datum der Aufnahme. Dazu immer zwei Hashtags: #dirtycorner #anishkapoor. Nur den Ort gibt er nicht an. Seine Follower freuen sich. "The Daddy of Dirty Corners" nennt ihn jemand.

17:37 28-01-2010 #dirtycorner #anishkapoor

Ein von Anish Kapoor (@dirty_corner) gepostetes Foto am

 

Dieser Jemand vergisst aber nicht, den Kommentar mit einem "lol" enden zu lassen. Gelächter. Das Internet ist begeistert. "This is my favourite new IG account. Thank you for your truthfullness." Überschwängliche Freude unter fast jedem Bild. 

#dirtycorner #anishkapoor

Ein von Anish Kapoor (@dirty_corner) gepostetes Foto am

 

Beinahe außer Kontrolle geriet derweil die Sache mit der dreckigen Ecke im öffentlichen Raum. Die Skulptur wurde wieder mit Farbe beschmiert. Dieses Mal haben die Gegner von Kapoor es nicht bei harmlosen Farbspritzern belassen. Antisemitische Parolen in weißen Lettern bedecken einen Großteil der Skulptur. Jetzt ist der Künstler geschockt. Er äußert sich auf Instagram. "Dirty corner exposes hidden paranoia", schreibt er und übersetzt die französischen Beschimpfungen ins Englische. "Disgust. Dishonour. Treason. Satanism." Er ruft dazu auf, ihn zu unterstützen: "Join me in condemning this act of Violence and Intolerance."

 

Und an die Museen gerichtet: "I challenge the museums of the world to show this work as it is now, as it shall remain."

 

Die Schmierereien will er stehen lassen, wie Narben sollen sie an die schmerzhaften Ereignisse erinnern. Nach einem dritten Anschlag erst recht. Nur darf er das nicht. Die französische Rechtssprechung schaltet sich ein. Kapoor ist wichtig zu betonen, dass er sich bereits vor dem Urteil, das nicht ihn als Künstler betreffe, sondern die Leiterin von Schloss Versailles, Catherine Pégard, dazu entschlossen habe, die Hassbotschaften in etwas Positives zu verwandeln. #GoldAgainstViolence lautet das Hashtag zum Transformationsprozess. Auf die Zensur reagiert er mit Zensur. Blattgold verdeckt jetzt die antisemitischen Parolen und lässt die "Vagina der Königin" in neuem Glanz erstrahlen.

It has been incorrectly reported in the press that I have been forced by a French judge to cover up the racist graffiti on my work Dirty Corner on show at the palace at Versailles. In fact the Judgment was not passed against me, the Artist, but against Catherine Pegard, President of the Chateau de Versailles. I was NOT sited in this litigation. Furthermore this judgement has no effect on me or my ability to modify the sculpture as I see fit, as the author of the work. As a matter of record I have made it clear from the start of these sad events that it was always my intention to transform the racist messages of hate inflicted on the work into something positive. For that reason I will not allow the proceedings initiated by the French politicians of the extreme right to impose this decision on me. In the wake of the vandalism, the French President, Françoise Hollande, understood my desire to leave the graffiti in place from a pedagogic perspective. I have taken him at his word. To be clear I have, as planned before the passing of this misguided judgement, started a program of work to transform the signs of hate on the sculpture into a new form. I will continue this work. This appears to me to be the best response to these despicable acts. Art, freedom of expression and public debate will triumph; we will not allow bigotry to take hold. Anish Kapoor #Dirtycorner #versailles #goldagainstviolence #vandalism #antisemitism #racism #intolerance

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Die Geschehnisse in Frankreich waren für Kapoor Anlass, um mit Ai Weiwei in London auf die Straße zu gehen. Gerade jetzt, wo Mitgefühl für Tausende von Flüchtlingen in Europa notwendig sei, würden Intoleranz und Rassismus in unserer Gesellschaft in den Vordergrund rücken, so Kapoor. Am 17. September sind die beiden Künstler mit einer Decke über ihren Schultern – als Symbol für die aktuelle Flüchtlingskrise – und Smartphones in den Händen durch London gelaufen, um Solidarität zu zeigen. Immer wieder schrieb Kapoor unter seinen Fotos auf Instagram "Dirty Politics. Dirty Corner", wo die beiden den #anishandweiweiwalk dokumentierten. Ihre Aktion wollen sie in nächster Zeit in mehreren Städten wiederholen.

Artists discussion. Dirty politics. Dirty Corner. #AiWeiWei #AnishKapoor #Politics #AnishAndWeiweiWalk

Ein von Anish Kapoor (@dirty_corner) gepostetes Foto am

 

Derweil ist Kapoor auf Instagram allein weitergezogen. Ein Selfie lässt sich auch ohne Ai Weiwei machen. Und wenn man es genau nimmt, ist das letzte Foto, das er auf Instagram geteilt hat, gar kein Selfie – auch wenn er das selbst in der Bildunterschrift in Form eines Hashtags behauptet. Das Foto zeigt, wie er mit einem Smartphone in der Hand ein Museumselfie in Moskau macht. Vor dem schwarzen Quadrat von Malevich, das seinen Kopf wie einen Heiligenschein umfängt. "Dirty Corner black square. Black square Dirty Corner. Kapoor Malevich" schreibt er darunter. Zwei Ikonen unter sich, oder wie? Das hat niemand kommentiert. Seinen Followern hat es ob der Kooperation offenbar die Sprache verschlagen. Wie es mit Anish Kapoor und seinen vielen schmutzigen Ecken weitergeht, wir müssen uns überraschen lassen.

Mit Instagram indes, das ist sicher, hat er einen Kanal gefunden, über den er seine Fürsprecher direkt erreicht. Bleibt nur zu hoffen, dass er nicht wie Ai Weiwei zum Selfie-Man wird.

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