Jerry Saltz über das Kate-Porträt

Ein läppisches Bild

In den USA schafft es Kunst eigentlich nur in die Nachrichten, wenn es um Geld geht. Bei uns ist der Dollar König. In Großbritannien dagegen ist die Queen „König“. Den meisten Amerikanern bleibt es ein ewiges Rätsel - aber die Fixierung der Briten auf die treulich verehrte königliche Familie und deren Fetischisierung kennt keine Grenzen. Wenn man diese nationale Obsession mit einer der in England so beliebten Feld-, Wald- und Wiesenschocks in der Kunst verbindet, dann fliegen die Fetzen. Wenig überraschend stand also ganz Großbritannien kopf, als das neue königliche Porträt Kate Middletons vorgestellt wurde, der 31-jährigen Gattin Prince William und Herzogin von Cambridge. Am Samstag dröhnte die „New York Post“ auf dem Titelblatt von der „Wut“, die das Porträt in England provoziert habe.

Die Londoner „Kunstschreiber“ – ganz aufgescheucht – vermerkten entsetzt, Middleton sehe „im wirklichen Leben nicht ansatzweise so aus“. Anderen kamen, offenbar tief aufgewühlt, die Tränen, weil die „zukünftige Königin auf dem Bild wie eine schlecht erhaltene Mittvierzigerin wirkt“, und an „etwas Unerquickliches aus dem Twilight-Universum erinnert“. Das „unerquicklich“ klingt natürlich super. Man beschwert sich, dass sie „ausgemergelt“ aussehe, dass die Augen zu weit auseinanderstünden oder zu klein seien, die Lippen eine Schnute, die Wangen pummlig.

Im besten Fall erinnert das Bild an eine Wellaform-Reklame

Derweil ergoss sich am anderen Ende dieses Kasperletheaters ein besonders grandioser Kunstgeschichtler namens Christopher Lloyd in einem offiziellen Video über die Größe und das Geheimnis des Porträts und verglich es allen Ernstes mit Leonardo da Vinci und Albrecht Dürer! Ein offenbar höchstkarätiger Spinner schwätzte er von der „psychologischen Tiefe“ des Bildes, seiner „ätherischen Wirkung“ und seiner „bedächtigen, methodischen Methode“. Man muss den Briten lassen, dass sie immerhin in beide Richtungen zugleich ausrasten – und dabei allesamt daneben liegen.

All diesen royal-obsessiven Kritikern und Fürsprechern entgeht nämlich, dass es sich bei dem Porträt ganz an und für sich um laienhaften Schund handelt. Wie die "New York Post" schreiben würde: "Es ist Mist". Es zeigt in völlig belanglosem, konventionellem und genrehaftem Fotorealismus eine hübsche, weiße, dünne, junge und gutbürgerliche Frau mit langen Haaren. Im besten Fall erinnert das Gemälde an eine alte Wellaform-Reklame, ein Porträt der Rektorin eines Internats für höhere Töchter oder die Führungskraft eines großen Handelsunternehmens. Die Technik ist bemüht, die Farbe matt, der Oberflächenglanz banal, die Komposition monoton und langweilig und das dargestellte Gesicht ziemlich gewöhnlich, ein bisschen leer, aber hübsch. Nichts daran zeigt Charakter, Originalität oder irgendetwas außer Mittelmaß.

Der schlechte Kunstgeschmack von Kate und William

Angemerkt sei jedoch noch, dass Malerei ihren dunkle Zauber auf mysteriösen Pfaden übt. Das läppische Bild offenbart auf brillante Weise einiges über sein Objekt, seine Kritiker, die Befürworter und das britische Verständnis von Malerei.

Middleton, erklärt man uns, habe Kunstgeschichte studiert. Sie selbst hat sich den Maler, Paul Emsley, ausgesucht. Recht deutlich erkennt man darin, wie sie sich von anderen eingeschätzt vermutet, wie sie sich selbst sieht, wie sie von anderen gesehen werden möchte. Das königliche Paar hat das Bild zu hundert Prozent abgesegnet. Middleton erschien es „einfach erstaunlich. Ich finde es brillant.“ Soviel zu ihrem kunsthistorischen Background. Und ihr Mann stimmte zu: „Es ist einfach schön.“ Ich sage es den Briten nicht gern, aber ihre beiden Was-auch-immer-sie-mal-sein-werden haben einen ziemlich schwachen, nein - schlechten Kunstgeschmack. Wo aber Freund und Feind vom Gegenstand gebannt stehen, entgeht ihnen die Ödnis des Bildes an sich.

Um ehrlich zu sein: Ich würde das Porträt wegwerfen und nochmal neu anfangen. Ich fände es wirklich spannend, wenn Chris Ofili oder Sarah Lucas einen Schuss frei hätten. Das könnte ich mir wirklich toll vorstellen. Und die Briten bekämen tatsächlich ein Bild, worüber sie sich ereifern könnten – und nicht dieses 0815-Porträt eines Ladenmädchens.