Rosen, Tulpen, Nelken … Das Blumenmotiv zieht sich durch die Kunstgeschichte. Die Sumerer meißelten florale Motive in Stein, die Ägypter malten sie auf Papyrus. Das Blumenthema blühte im Barock regelrecht auf. Und dass mit der 1750 betagt und hochgerühmt verstorbenen Rachel Ruysch zurzeit eine Stillleben-Malerin wiederentdeckt wird, bezeugt das wachsende Interesse am Sujet.
Eine besondere Rolle spielt das Fotomedium. Luzia Simons (ab Juli im Goslarer Mönchehaus) zeigt Blumen in hyperrealistischen "Scanogramm"-Collagen. Michael Wesely lichtet blühende und welkende Sträuße mit ultralangen Verschlusszeiten ab. Natalie Czech hat (unter anderem) Blumenbouquets in Beziehung zu Gedichten gesetzt.
Während Czech auf der Schnittstelle von Text und Bild arbeitet, bewegt sich Kathrin Linkersdorff wohl noch verwegener zwischen den Kategorien. Die Künstlerin – eine Bewunderin der abstrakten Expressionistin Joan Mitchell – sieht sich selbst vor allem als Malerin, obwohl ihr Arbeitsinstrument die Kamera ist. In ihrer Werkschau "Microverse" im Berliner Haus am Kleistpark sind denn auch ausschließlich Foto-Arbeiten ausgestellt. Die Bilder sind zugleich Dokumente von Experimenten mit Blumen (und Bakterien), sodass noch eine wissenschaftliche Komponente hinzutritt.
Blüten im Weltraum
Aufregenderweise stehen sich bei der 1966 in Berlin geborenen Künstlerin ästhetische Zielsetzungen einerseits und Fragen der Forschung andererseits nicht im Weg – sie befeuern sich sogar. Gegen Ende der 2010er-Jahre mutierte Linkersdorffs Atelier zunehmend zum Labor, und die Begegnung der Künstlerin mit der Mikro- und Molekularbiologin Regine Hengge im Herbst 2022 führte dann zu einer Steigerung des naturexperimentellen Charakters ihrer Kunst.
Als artist in residence am Exzellenzcluster "Matters of Activity" des Instituts für Biologie/Mikrobiologie der Humboldt-Universität begann Linkersdorff in Kooperation mit Hengge das Verhalten von Bakterienkulturen beim Kontakt mit Blütenblättern und anderen Pflanzenteilen zu untersuchen und zu fotografieren.
Die Bilder der neuen Serie "Microverse" (seit 2023) erinnern mit ihren Bakteriengalaxien und Tulpenblütennebeln an Aufnahmen des Weltraumteleskops Hubble. Die von oben fotografierten Petrischalen der Versuche lagen auf leuchtenden Flächen – die Bilder wurden dann ins Negativ umgekehrt, womit die Künstlerin die spacige Anmutung erzielte.
Farbe im letzten Moment vor dem Verblassen
Linkersdorff studierte bis 1996 Architektur und arbeitete viele Jahre in diesem Beruf. In dieser Zeit lernte sie in Tokio die Technik der japanischen Tuschemalerei kennen und begann sich mit einem ästhetischen Konzept auseinanderzusetzen, das Schönheit in Verfall und Unvollkommenheit findet: "Wabi Sabi" (2013-2018) lautete entsprechend der Titel für botanische Fotografien, die an die Pflanzenbilder von Karl Blossfeldt erinnern.
Linkersdorff war inzwischen auch gelernte Fotografin. Ihr Faible für Malerei brachte es mit sich, dass sie das Blossfeldt’sche Schwarz-Weiß gegen leuchtende Farbtöne tauschte.
"Wabi Sabi" ist die früheste Serie in der Berliner Ausstellung. Diverse Blütenarten wurden in einer Phase des Welkens fotografiert, wobei Linkersdorff die natürliche Färbung gleichsam im letzten Moment vor dem Verblassen festhielt.
Geduldige Ergebnisoffenheit
Das Thema der Farbe, des Entfärbens und Rekolorierens zieht sich seitdem durch ihre Fotopraxis, wobei am Kleistpark vier Werkgruppen zu sehen sind, die den sich Schritt für Schritt vertiefenden bisherigen Schaffensphasen der Künstlerin entsprechen. Ihre Entwicklung hat etwas ungeheuer Zwingendes – gleichzeitig legt die mehr als zehn Jahre umspannende Reihe eine geduldige Ergebnisoffenheit an den Tag, die imponiert.
Im Jahr 2019 trieb Linkersdorff ihre Studien über Transformationsprozesse von getrockneten Pflanzen und ihren Farben weiter, indem sie Tulpen in Flüssigkeit tauchte und beobachtete, wie die Blumen unter kuriosen Verrenkungen neu zum Leben erwachten und ihre Pigmente in die Lösung hinein abgaben ("Floriszenzen").
Mit den "Fairies" seit 2020 hat sie die zunächst noch einfach inszenierten Choreografien von Blüten und Stängeln weiterentwickelt. In dieser (nun deutlich Malerei-affinen) Serie sind zuvor entfärbte, Chiffonschleier-artige Tulpenkelche zu sehen, die von der Künstlerin mit vorher extrahiertem und rekonzentriertem Blütenfarbstoff als Tinte wieder eingefärbt wurden. Im Ergebnis: atemberaubend-elegische Bilder wie aus einem nie gekannten Reich zwischen Leben und Tod, wie eine Geisterexistenz in den stillen Fluten des Styx.
Wie bei Baselitz auf den Kopf gestellt
Dabei blendet die an detailreiche Grafik oder an die feinen Lasuren von Aquarellmalerei erinnernde Ästhetik die experimentellen Bedingungen der Fotografien nicht aus. In einigen "Fairies" ahnt man die Umrisse des Behälters, in den die Tulpen eingetunkt sind, wobei Linkersdorff die Aufnahmen nach Art des Baselitz kopfüber gedreht hat, sodass die Blumen (wie in einer Vase) zu stehen statt zu hängen scheinen.
In einigen Bildern ist zu sehen, wie die zuvor entfernte Farbe in die Lösung hinein – scheinbar hinauf – rieselt. Zu diesen Anordnungen gibt es ein Video ("Fairies/Motion") – auch hier ist das Bild auf den Kopf gestellt; der Vorgang ist in Bewegung natürlich noch besser zu erkennen.
In "Microverse" schließlich ist ein Mysterienspiel aus Farben und Strukturen zu erleben, das der Beschreibung spottet. Die Streptomyceten, auf die erst die Mikrobiologin Hengge Linkersdorff brachte, können Antibiotika produzieren, die sich in leuchtend farbigen Pigmenten ausbilden. In riesigen, aus den USA importierten Petrischalen setzte die Künstlerin Bakterien auf von ihr entfärbte Pflanzen und Blütenblätter, wobei sich je nach Milieu und Präparat verschiedene Szenarien entwickelten.
Tote Blumenzellen trinken Farbe
Es sind Versuchsreihen, die auch für die Wissenschaft interessante Entdeckungen bereithalten und neue Fragen aufwerfen. Teilweise wissenschaftlich ungeklärt ist etwa, warum die Streptomyceten in bestimmten Farben aufleuchten, wenn sie sich halbverhungert auf Tulpenblätter und andere Pflanzenteile stürzen. In einem der großformatig gedruckten "Microverse"-Tableaus hat eine an einem Blatt hängende Kolonie halb rote, halb grüne Farbe angenommen. Aber warum? So etwas weiß die Fachwelt auch nicht genau: Unergründliche Weiten des Organischen …
Leonardo da Vinci, Albrecht Dürer, die genannte Rachel Ruysch (Tochter eines Botanikers), Joris Hoefnagel oder Maria Sibylla Merian – diese Kunstschaffenden und auch einige der jüngeren Kunstgeschichte haben Pflanzen mit wissenschaftlicher Akribie dargestellt. Aber die Verzahnung von Blumenkunst und Forschung, wie sie Kathrin Linkersdorff betreibt, ist etwas aufregend Neues.
Das (individuelle) Leben endet und geht doch weiter. Für diese Fortexistenz stehen die Pigmente, die bei Linkersdorff Metaphern für das Leben überhaupt sind. Tote Blumenzellen trinken Farbe, abgestorbene Pflanzen lassen Bakterienkulturen in Regenbogenfarben schillern. Das hat einen spirituellen Touch, kann tröstend für uns wirken, die mit der eigenen Endlichkeit hadern. Religiöse Gemüter könnten sogar von Auferstehung sprechen. Die Berliner Ausstellung endet am Pfingstsonntag. Und endet nicht wirklich, weil im Stadthaus Ulm die Werke in weniger als zwei Wochen wieder aufgebaut werden.