"Eine große Bühne für Europa"

Kaunas beendet Kulturhauptstadtjahr

Litauens zweitgrößte Stadt hatte sich als Europäische Kulturhauptstadt 2022 viel vorgenommen - und wollte auf sich aufmerksam machen. Zum Abschluss gab es deshalb noch einmal eine ganze Ladung Kultur und ein Schlaglicht auf den Ukraine-Krieg

Mit einem Festwochenende hat Litauens zweitgrößte Stadt Kaunas feierlich ihr Programm als Europäische Kulturhauptstadt 2022 beendet. Höhepunkt war eine aufwendig gestaltete Show am Samstagabend unter dem Titel "The Contract" in der Zalgiris Arena - der dritte und letzte Teil der "Mythos von Kaunas"-Trilogie. Damit sollte im Kulturhauptstadtjahr eine neue verbindende und identitätsstiftende Legende für die 300 000 Einwohner zählende Stadt in dem baltischen EU-Land geschaffen werden.

"Wir wollten nicht allein ein faszinierendes Kulturprogramm machen, sondern eine Veränderung in der Stadt bewirken, in der Mentalität und den Herzen der Bürger", sagte Kulturhauptstadt-Direktorin Virginija Vitkiene auf einer Pressekonferenz am Samstag. Dies sei gelungen: Das Interesse und die Besucherresonanz seien groß, die Beteiligung der eigenen Bevölkerung und deren wiederentdeckte Verbindung mit dem Erbe und der Geschichte der Stadt hoch. "Kaunas 2022 war ein Erfolg", zog die Programmmacherin eine positive vorläufige Endbilanz. 

Das Europäische Kulturhauptstadtjahr in Kaunas stand unter dem Motto "From temporary to contemporary". Damit spielte die Stadt auf ihre vielleicht besten Tage an: Kaunas diente nach dem Ersten Weltkrieg von 1919 bis 1940 als provisorische Hauptstadt der neugegründeten Republik Litauen. Doch dann kam der Zweite Weltkrieg und später die sowjetische Besatzung - eine bewegte Vergangenheit mit vielen Traumata. Lange hatte sich die Stadt nie wirklich davon erholt - bis heute steht sie oft im Schatten der Hauptstadt Vilnius. 

"Reise wird fortgesetzt"

Kernstück des Programms war die auf drei Wochenenden verteilte Trilogie "Mythos von Kaunas". Deren Hauptziel war Wandel: Kaunas soll von einer in Nostalgie schwelgenden Stadt zu einer wachsenden, offenen Stadt werden, die sich ihrer eigenen Geschichte bewusst ist und an sich und ihre Zukunft glaubt. "Die ganze Stadt, alle Kulturpartner und Bürger – ich glaube, sie haben noch nicht das Gefühl, dass wir fertig sind. Wir sind so energiegeladen, dass wir diese Reise fortsetzen werden", sagte Vitkiene. 

Zum Ende der Abschlussveranstaltung wurde dazu eine Art symbolische Vereinbarung geschlossen. Zuvor hatten vor ausverkauften Rängen rund 150 Sänger, Tänzer und Musiker eine Choreografie auf eine mit Wasser befüllte Bühne gebracht, auf der Kiefern und ein Hügel aus Sandsäcken platziert waren. Die Szenografie der gut 70-minütigen Darbietung war inspiriert vom Werk des Künstlers Mikalojus Konstantinas Čiurlionis (1875-1911).

Gefeiert wurde das ganze Wochenende auch in und um Kaunas - mit Konzerten, Theateraufführungen, Ausstellungen sowie Licht- und Toninstallationen im Freien. Insgesamt wurden im Kulturhauptstadtjahr mehr als 40 Festivals, 60 Ausstellungen und Hunderte andere Kulturveranstaltungen durchgeführt. Höhepunkte waren Einzelschauen der weltbekannten Künstler William Kentridge und Marina Abramović oder auch eine Retrospektive von Yoko Ono. Einige davon laufen auch noch nach dem offiziellen Abschlusswochenende weiter. 

Krieg rückt ganz nahe

"Kaunas war eine große Bühne für Europa", lobte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in einer Videoansprache für das Symposium "Die Idee von Europa" am Freitag in Kaunas. "Eine Bühne voller Kreativität, Vielfalt und positiver Energie." Neben Kaunas tragen 2022 auch Novi Sad in Serbien und Esch in Luxemburg den Titel als Europäische Kulturhauptstadt. 

Gleichzeitig rückt aber der Krieg in der Ukraine ganz nahe: Mit der Initiative CulturEUkraine unterstützt Litauens zweitgrößte Stadt Kaunas Kulturschaffende und Kriegsflüchtlinge aus dem von Russland angegriffenen Land. Im alten Hauptpostamt wurde ein kreatives Zentrum eingerichtet, das Räumlichkeiten für ukrainische Künstler und andere Initiativen bereitstellt. Angeboten werden Co-Working-Bereiche, Unterrichtsräume, Kunsttherapie für Kinder, psychologische Hilfe und Sprachkurse. Außerdem gibt es einen Ausstellungsbereich in dem historischen Gebäude, das als ein Wahrzeichen von Kaunas gilt.

Die Organisatoren der Kulturhauptstadt reagierten damit auf den Krieg in der Ukraine und wollten ihre solidarische Unterstützung für das Land zeigen. "Es war emotional und psychologisch ein großer Schock für alle im Land, da die Litauer der Situation in der Ukraine sehr empathisch gegenüberstehen", sagte Kulturhauptstadt-Direktorin Virginija Vitkiene der Deutschen Presse-Agentur in Kaunas. Zur Unterstützung der rund 15.000 Ukrainer, die nach Kaunas geflohen sind, wurde das Zentrum Anfang April eröffnet. 

"Existenzielle Erfahrung"

"Wir stellen Unterstützung und Räume zur Verfügung, damit sich die Ukrainer hier selbst organisieren können und eine Anlaufstelle haben, wo sie sich einfach treffen und reden können. Um neue Verbindung zu knüpfen, Erfahrungen auszutauschen und Kraft zu sammeln", sagte die Projektverantwortliche Monika Inceryte. Regelmäßig fänden auch kleinere Konzerte und kulturelle Veranstaltungen statt. 

Zum Abschluss des Kulturhauptstadtjahres beherbergt das Hauptpostamt außerdem die Triennale zeitgenössischer ukrainischer Kunst. Unter dem Titel "Ukraine Unmuted" werden Werke ukrainischer Künstler gezeigt, die vor und teils auch nach Kriegsausbruch geschaffen wurden. Ergänzend wurden Diskussionsrunden abgehalten und ein Essaybuch veröffentlicht.

"Die Erfahrungen des Krieges wird für viele Menschen entscheidend für den Rest ihres Lebens sein", sagte eine der Kuratorinnen, Oksana Forostyna, der dpa. Dies werde sich auch auf die ukrainische Kultur und Künstler auswirken. "Wir werden eine Balance finden müssen, wie wir diese existenzielle, einzigartige Erfahrung respektieren und dennoch weiterhin kritisch gegenüber der Qualität von Kunst bleiben."