Kengo Kuma

Architekt des Olympiastadions in Tokio: Pandemie führt zu Wandel

Mit einem Jahr Verspätung eröffnen jetzt die Sommerspiele in Tokio ohne Zuschauer. Kengo Kuma, Architekt des neuen Olympiastadions, sieht in der Pandemie den Auftakt zu einem grundlegenden Wandel

60 000 Sitzplätze hat das 2019 fertiggestellte Nationalstadion in Tokio, kaum einer davon wird gebraucht für die Olympischen Sommerspiele, die am Freitag eröffnen. Bis auf wenige Ausnahmen werden wegen Corona keine Zuschauer bei den Wettkämpfen dabei sein. "Ich denke, dass die Pandemie einen großen 'Modellwechsel' in unserer Lebensweise herbeigeführt hat", sagte Stadionarchitekt Kengo Kuma Anfang der Woche in einem Interview. "Die Menschen werden beginnen, die großen Städte zu verlassen und sich in viele kleine 'Basen' aufteilen. Es wäre ideal, wenn jeder eine kleine Basis an verschiedenen Orten haben könnte und zwischen diesen saisonal umziehen könnte."

Olympia wird in diesem Jahr auch ein Modell dafür sein, wie Großereignisse mit wenig Menschen vor Ort als Medien-Events inszeniert werden können. Für eine "olympische Atmosphäre" in den Stadien und Hallen wollen die Organisatoren als "Motivationsspritze" für die Athletinnen und Athleten mit Soundsystemen Zuschauerreaktionen der Sommerspiele von Rio 2016 abspielen. Ob diese Reaktionen aus der Konserve jedoch nicht noch mehr die gespenstische Abwesenheit von Publikum unterstreichen? 

Neben der Geräuschkulisse in den Stadien wird es auch weitere interaktivere Maßnahmen geben: TV- und Streaming-Zuschauer sollen ihre Sportlerinnen und Sportler virtuell anfeuern können, ihr Applaus wird auf "Jubel-Karten" dargestellt und in den Stadien eingeblendet, außerdem können Fans Videoselfies aufnehme, die ebenfalls auf Videowänden in den Stadien und Hallen eingespielt werden. So können alle auf ihrer "Basis" bleiben und trotzdem Signale ins Zentrum senden.

Für Kengo Kuma begann der Wandel allerdings lange vor der Pandemie. Sein Stadion ist Ausdruck eines neuen Denkens, wie der 66-Jährige anhand des Unterschieds zur Nationale Sporthalle Yoyogi aus dem Jahre 1964 erklärt: "Kenzo Tange und seine Yoyogi-Turnhalle sind Symbol oder Nebenprodukt einer Periode der Expansion und des hohen Wirtschaftswachstums - repräsentiert durch ihr hoch aufragendes, hartes und maskulines Design. Mit dem Japanischen Nationalstadion wollte ich unsere eigene Zeit widerspiegeln. Das rasante Wachstum ist nun vorbei, die Bevölkerung schrumpft und altert, und die Menschen auf der ganzen Welt achten mehr als je zuvor darauf, die Umwelt zu erhalten und zu pflegen. Ich bewege mich in gewisser Weise in Richtung eines weicheren, oder feminineren Designs, und das neue Stadion repräsentiert diesen Trend."

Die Sitzplätze sind in fünf erdigen Farbtönen gestaltet und bilden ein Mosaik, das an einen von Sonnenstrahlen durchfluteten Wald erinnern soll. Außerdem prägen tatsächliche Blumen, Pflanzen, Bäume und Büsche das Bild. Ohne Publikum wird das nun noch besser zur Geltung kommen.