Ausstellung in Berlin

Das Museum als Lebensraum

In der Moderne wurde die Natur vor allem als dienlich für den Menschen betrachtet, und es ist noch immer mühsam, dieses Bild zu korrigieren. Im Berliner Kolbe Museum wird das Kunsthaus nun zum Biotop

Die imposantesten Gestalten im Skulptur- und Architekturensemble des Berliner Georg Kolbe Museums sind eigentlich die Kiefern. Ihre knorrigen Äste beugen sich ornamental über die Dächer der Backsteingebäude. Im märkischen Sand, der ein Beweis für die extreme Trockenheit ist und trotzdem bereits den Weg zum Museum in eine Ausflugsoase verwandelt, liegen Zapfen. Fast könnte man meinen, die Wellen der Ostsee rauschen zu hören und nicht nur die vielbefahrene Heerstraße ganz in der Nähe.

Mit seiner aktuellen Ausstellung "Künstliche Biotope" widmet sich das Georg Kolbe Museum der Beziehung von Architektur, Skulptur und Natur in der Moderne und erweitert sie auf zeitgenössische Debatten. Das Museumsareal selbst rückt dadurch als Lebensraum in den Fokus.

Als Georg Kolbe das Grundstück 1928 in Berlin-Westend kaufte, war es ein unbebautes Stück Grunewald. Zusammen mit dem Architekten Ernst Rentsch realisierte er ein Wohnhaus mit Atelier in Anlehnung an die Architektur Mies van der Rohes. Die umstehenden Bäume wurden dafür nicht einfach abgeholzt, sondern bestimmten die Bauweise der zwei Häuser vielmehr maßgeblich. Im selben Jahr wie Kolbes Neubau entstand auch der ikonische Barcelona Pavillon von Mies von der Rohe, der wiederum die Skulptur "Der Morgen" von Georg Kolbe beherbergte.

Architektur als durchlässiger Organismus

Dieser weibliche Akt, der tänzerisch die Arme nach oben wirft, erweiterte den reduzierten Bau van der Rohes um eine menschliche Figur. Der Dialog von figurativer Kunst und Architektur ist der eigentliche Schwerpunkt des kiefernumsäumten Kolbe-Ateliers, das seit 1950 Museum ist. Mit der aktuellen Ausstellung wird dieser nun um den Bezug zur Natur erweitert. Einerseits, indem die moderne Architektur als durchlässiger Organismus zur Diskussion steht und Mies van der Rohes Interesse an naturwissenschaftlichen Theorien vermittelt wird, vor allem aber durch die Installation der zeitgenössischen Künstlerin Anne Duk Hee Jordan.

Die mehrteilige Arbeit, die den zentralen Raum des kleinen Ausstellungshauses ganz einnimmt, besteht neben skulpturalen Elementen tatsächlich auch aus künstlichen Biotopen, wie man sie sich als Nicht-Biologin vorstellt: ein Wasserbecken mit wachsender Begrünung und kleinere Glasbehälter mit Pflanzen, samt deren unsichtbaren Bewohnerinnen.

Mit schwingenden Spiegeln und farbigen Glanzfolien funktioniert das Environment aber auch wie ein Kaleidoskop, das den Raum mit seinen hohen Fenstern in schillernd bunten Reflexionen immer wieder bricht. Die Verschränkung von Natur und Kultur wird in ein optisches Spiel übertragen und die Wahrnehmung zu einem wesentlichen Moment in den aktuellen Debatten zum Verhältnis beider Spähren.

Die Auflösung der Ordnung

Der Mensch taucht dabei in zweierlei Gestalt auf, einmal als betrachtendes Subjekt im Spiegelbild und dann noch als Objekt in den Skulpturen von Wilhelm Lehmbruck, der als dritter moderner Künstler Teil der Ausstellung ist. Das Fragmentarische der Skulpturen fügt sich gut in die zeitgenössische Installation, tatsächlich besser als Georg Kolbes eher idealtypische Körper im Garten und benachbarten Raum.

Der Bezug von Anne Duk Hee Jordans künstlichem Biotopen zur Moderne lässt sich schließlich aber doch vor allem über architektonische Sichtachsen ziehen. Die Inszenierung von Perspektiven, in denen Innen- und Außenraum ineinanderfließen und Blickrichtungen, durch die Skulptur, Natur und Architektur in eine harmonische Einheit verbunden werden, sind wesentliche Momente der modernen Ästhetik, wie sie Mies van der Rohes Bauten verkörpern.

Die Installation von Anne Duk Hee Jordan greift diese Prinzipien auf, löst die Ordnung der Moderne aber in undurchsichtige Überlagerungen auf. So wird deutlich, dass die Moderne Kultur und Natur trotz ihrer Verbindungen als getrennte Bereiche voneinander gedacht hat. In den Theorien eines Neuen Materialismus hingegen, mit denen sich die Künstlerin auseinandersetzt, geht es um die verwickelten Symbiosen menschlicher und nicht-menschlicher Materie. Im künstlichen Biotop von Anne Duk Hee Jordan gibt es keine Trennung von Natur und Kultur, die überhaupt aufeinander Bezug nehmen könnten. Kunst ist in diesem Verständnis eine fragmentarische Momentaufnahme von ineinander verwobenen Prozessen.

Nur 60 Kilometer weiter brennen die Wälder

Nach dem Vexierbild von Anne Duk Hee Jordan wirkt es im Untergeschoss des Museums umso aufgeräumter. Die Ausstellung schlüsselt hier in Kooperation mit dem Kunstmuseen Krefeld im Haus Lange, das tatsächlich von Mies van der Rohe entworfen ist, noch einmal das Interesse des Architekten an den Biowissenschaften auf. Wie können Prozesse und Formen der Natur in technische und ästhetische Strukturen übertragen werden?

Ein typisches Beispiel für dieses bionische Prinzip, das zur Lindenblütensaison passt, liefert ein aufgeschlagenes Buch von Raoul H. Francé. Der Botaniker vergleicht die wirbelnden Bewegungen der herabfallenden Lindenblüte mit dem Prinzip der Schiffsschraube. Die technische Leistung der Pflanze, sich mit dieser Drehbewegung möglichst weit verbreiten will, steht hier im Fokus. Kritisch kann man sagen: Die Natur wird lediglich beobachtet, um dem Menschen dienlich zu sein. In dieser Logik wäre auch der Garten des Museums nur ein Naherholungsort für die Besuchenden und eine hübsche Szenerie für die Skulpturen Georg Kolbes.

Natur kann aber heute nicht mehr nur Kulisse für die Kunst sein, vielmehr muss sie eingebunden werden in eine gesamtheitiche Erfahrung, um die problematische Trennung von Natur und Kultur zu überwinden. Wie so viele Ausstellungen versucht auch das Kolbe Museum mit "Künstliche Biotope" sich diesem Anliegen zu nähern. Vor allem im Kontext der Moderne ist das ein wichtiges und interessantes Thema. Wenn aber nur 60 Kilometer entfernt vom ehemaligen Bildhaueratelier Kolbes die Kiefernwälder in katastrophalen Waldbränden zerstört werden, kommt Zweifel auf, ob ein so später Perspektivwechsel, der nicht mehr den menschlichen Akt zum Protagonisten einer Ausstellung macht, sondern auch Bäume und Pflanzen, überhaupt noch etwas verändern kann.