Zum Tod von Koyo Kouoh

Überlebensgroß und doch so nahbar

In Kürze wollte Koyo Kouoh ihr Konzept für die Venedig-Biennale 2026 vorstellen, nun ist sie mit nur 57 Jahren gestorben. Unser Autor erinnert aus persönlicher Sicht an eine der wichtigsten Kuratorinnen der Gegenwart

Der Künstler Robin Rhode meldet sich zuerst. Er bleibt am Telefon sprachlos. Der Kurator Azu Nwagbogu schreibt über die Grausamkeit des Krebses: Bisi Silva, Okwui Enwezor und jetzt Koyo Kouoh. 56, 55 und 57 Jahre wurden sie alt. Die drei wichtigsten Stimmen des afrikanischen Kontinents in der Kunstwelt. Alle verstummt. 

Silva und Enwezor starben 2019 innerhalb eines Monats. Vergangenes Wochenende ist auch die Museumsleiterin und Denkerin Koyo Kouoh verstorben. Die Künstlerin Julie Mehretu ruft an. Verheerend, sagt sie. Und meint den Tod einer Freundin - aber auch ihre herausragende Bedeutung als eine der wichtigsten Kuratorinnen der Gegenwart: als Direktorin des Zeitz MOCAA in Kapstadt, als künstlerische Leiterin der Venedig Biennale 2026, die in Kürze ihr Konzept präsentieren wollte. "Koyo war einer der absolut intelligentesten, geselligsten und schillerndsten Menschen, die ich je kennengelernt habe", sagt Julie Mehretu. "Eine zutiefst engagierte Panafrikanerin, deren Liebe und unerschrockene Arbeit für Künstlerinnen und Künstler und unsere Institutionen auf dem Kontinent uns nun mit einem gewaltigen Verlust zurücklässt."

Ebenso erschüttert ist auch Azu Nwagbogu, heute international vielgefragter Autor und Kurator, der mit ihr über Jahre in Südafrika zusammenarbeitete. "Sie war eine unermüdliche, rastlose und entschlossene Kuratorin, die keine Stoppschilder kannte. Möge sie Frieden finden, und mögen die Ahnen sie empfangen. Ihr Vermächtnis wird weiterhin inspirieren und Bestand haben."

Eine dynamische Koryphäe mit unglaublicher Präsenz

Mandla Sibeko, enger Bekannter und Leiter der Johannesburg Art Fair, hat ihr noch im Februar einen Empfang ausgerichtet, um sie als erste Afrikanerin am Steuerrad der Venedig-Biennale zu feiern: "Es ist die schockierendste Nachricht. Und dabei so bemerkenswert, wie sie sich einen derart beeindruckenden Namen und eine Karriere als Vertreterin Afrikas auf der Weltbühne machen konnte. Und es ist wichtig, dass sie stets auch auf lokaler Ebene in Kapstadt und Johannesburg, in Südafrika und im Senegal, einen ausgezeichneten Ruf genossen hat." 

Billie Zangewa, deren Ausstellung "Breeding Ground" noch bis zum 11. September in der Norval Foundation bei Kapstadt zu sehen ist, schreibt, wie fassungslos sie sei, wie sie keine Worte finden und es einfach nicht glauben kann. "Koyo war eine dynamische Koryphäe mit unglaublicher Präsenz. Ich liebte es, sie sprechen zu hören, nicht nur, weil sie ihren wunderbaren Verstand mit mir teilte, sondern auch wegen ihres Akzents! Ruhe in Frieden, starke Frau!" 

Überlebensgroß war Koyo Kouoh. Und doch so nahbar wie wunderbar, so klug, so herzlich, so ernsthaft, so sinnlich, so aufgeweckt, so voller Charme, so randvoll mit Humor. Ihr Schweizerdeutsch machte ihr stolzes Gegenüber im Austausch zum "Schätzli". Es war unmöglich, kein Gespräch ohne Erkenntnisgewinn mit ihr zu führen. Sie liebte das Leben, sie lebte ihr Leben. Die Lücke, die sie hinterlässt: Niemand wird sie füllen.

Dezentrale Räume der Selbstdarstellung

Koyo Kouoh war von Beginn an von starken Frauen umgeben. Geboren in Kamerun, Westafrika, in Douala, zog sie mit ihrer Mutter als 13-Jährige nach Zürich. Ab 2019 wird Kouoh Geschäftsführerin und Chefkuratorin des Zeitz MOCAA, einer bahnbrechenden panafrikanischen und pandiasporischen Institution, die sich der Förderung und Bewahrung zeitgenössischer Kunst aus Afrika widmet. 

"Wir bauen unsere eigene Stimme, unsere eigene Sprache auf", so Kouoh zu Beginn ihrer Tätigkeit dort. Wie der nigerianischen Kuratorin Bisi Silva zuvor ging es ihr darum, dezentrale Räume der Selbstdarstellung zu schaffen. Zuvor war sie künstlerische Gründungsdirektorin der RAW Material Company, einem Zentrum für Kunst, Wissen und Gesellschaft in Senegals Hauptstadt: "Dakar ist mein Ein und Alles. Dakar machte mich zu dem, was ich heute bin. Ich spreche von der Eleganz des Geistes und der Seele dort. Der Senegal hat eine sehr einladende, pazifistische Kultur der Vorfahren. Geistig lebe ich in Dakar. Es ist der einzige Ort für mich, den ich kenne."

Auf ihre Zeit im Senegal folgten Ehrungen und Publikationen, Auszeichnungen und Preise wie der prestigeträchtige Grand Prix Meret Oppenheim. Zu ihren Stationen gehörten die Mitarbeit an zwei Documenta-Ausgaben und die Leitung der Biennale in Limerick, Irland. In Deutschland kuratierte sie die 8. Hamburger Foto-Triennale im Sommer 2022. Zudem verantwortete sie zahlreiche Ausstellungsprojekte in New York, London, Moskau, Berlin. 

Sie leitete auch das Kunstprogramm der 1:54 African Art Fair. Ihr Motto: "Es ist wichtig, oder besser gesagt dringlich, sich auf die Stimmen der Frauen zu konzentrieren, das kann nicht genug hervorgehoben werden." Doch dieser Ansatz schloss niemals Männer auch nur im Geringsten aus. Kouoh blieb in der Nachdrücklichkeit ihrer Anliegen stets großzügig. Ihr unverdrossener Einsatz gegen Kommerz und Instrumentalisierung von Kunst fand ebenso Beachtung. Die "New York Times" sprach ihr in einem langen Profil von 2024 "dynamische Kraft" zu. 

Vielstimmige und generationenübergreifende Konversation

Am 12. Juni vergangenen Jahres führte Kouoh die Patrons und Freunde des Zeitz MOCAA durch ihre gemeinsam mit Tandazani Dhlakama kuratierte Ausstellung "When We See Us: A Century of Black Figuration in Painting" im Kunstmuseum Basel (noch bis zum 10. August im Bozar in Brüssel zu sehen). Dabei handelt es sich um eine umfassende Übersicht über 150 Künstlerinnen und Künstlern aus den letzten 100 Jahren.  

Der Titel, in Anlehnung an Ava DuVernays Netflix-Miniserie "When They See Us", verschiebt den Fokus und stellt den Schwarzen Blick und die gelebte Erfahrung in den Mittelpunkt. Die exzeptionelle Stärke dieser Ausstellung und damit Kouohs kuratorischer Verdienst ist die vielstimmige und generationsübergreifende Konversation. Es gibt auch Räume des Jubels, der Glückseligkeit, der Heiligkeit, der Freude. 

Ja, natürlich, auch Kouoh ging es um das Entzweibrechen eurozentristischer Epistemologie, keineswegs um verwässerte Versuche versöhnlichen Verhaltens. Das Trauma und die Trümmer, sie sind und bleiben gegenwärtig. Aber eben auch das Potenzial, die Bürde des Erbes zu unterlaufen. "Es gibt so viel an Schwarzer Erfahrung, die sich nicht auf Versklavung, Kolonisierung und Apartheid beschränken lässt. Es ist sehr bezeichnend, dass das Leben der Schwarzen in unserer kollektiven Vorstellung so stereotypisiert wurde, dass wir vergessen, dass seine Stärke eigentlich in der gemeinschaftlichen Spiritualität des Schwarzseins liegt." Und in dieser Gemeinschaft zählt das Individuum. Ihr Glauben an das Gute im Menschen, an das Gute in der Kunst, all das kam aus tiefstem Herzen.

"Das Leben triumphiert immer"

"Ich glaube an ein Leben nach dem Tod, durch meine Schwarze Erziehung glaube ich, wie wir alle, an parallele Leben und Realitäten", hat sie Anfang dieses Monats noch der "Financial Times" mitgegeben. "Es gibt kein 'nach dem Tod', 'vor dem Tod' oder 'während des Lebens'. Das spielt keine große Rolle. Ich glaube an Energien – lebende oder tote –, an kosmische Kraft." 

Und aus einer WhatsApp-Nachricht vor ein paar Wochen: "Das Leben triumphiert immer. Und Kunst und Geist sind unsere Motoren". Koyo Kouoh ist tot. Ihre Abwesenheit, ihre Stimme, ihre kuratorische Kraft, ihren unersättlichen Optimismus in einer brutalen Welt wird niemand je ersetzen. Eben nicht nur dem afrikanischen Kontinent fehlt nun die wichtigste Protagonistin im internationalen Kunstbetrieb.

Das Konstrukt des "Globalen Südens" hatte sie nie gegengezeichnet. Ihre Interessen waren zu breit gefächert, ihre Neugier zu groß. Sie war eine Weltbürgerin. "Letzten Endes geht es um Menschlichkeit. Es geht um Menschen." Afrika, das war für sie auch die USA, das war für sie Brasilien. In einem anderen Leben wolle sie Hebamme sein, beinahe hätte sie eine Ausbildung als Geburtshelferin begonnen, dann entdeckte sie die Kunst. So verstand sie auch ihren Beitrag als Ausstellungsmacherin. Dafür Sorge zu tragen, dass Werke das Licht der Welt erblicken.

Koyo Kouoh mit unserem Autor, dem Kulturmanager Thomas Girst
Foto: Courtesy BMW

Koyo Kouoh mit unserem Autor, dem Kulturmanager Thomas Girst