"Künstlerinnen!" im Kunstpalast Düsseldorf

Späte Gerechtigkeit

Gabriele Münter empfand den Kunstunterricht in Düsseldorf als "enttäuschend öde". Andere weibliche Kunstschaffende, die es im 19. Jahrhundert in beachtlicher Zahl aus dem In- und Ausland an den Niederrhein zog, reagierten deutlich enthusiastischer. Mit einer akribisch recherchierten Ausstellung rekapituliert der Kunstpalast, welche Künstlerinnen zwischen 1819 und 1919 in Düsseldorf tätig waren. Dabei kann die Kuratorin Kathrin DuBois mit zahlreichen Neuentdeckungen aufwarten

Ausstellungen über Künstlerinnen, denen in der Vergangenheit zu wenig (oder gar keine) Beachtung geschenkt wurde – daran herrschte in den vergangenen Jahren kein Mangel. Dass aber eine Schau und das mit ihr verbundene Forschungsprojekt unser Wissen über künstlerisch tätige Frauen an einem Ort derart grundlegend erweitert, wie das der aktuellen Präsentation im Düsseldorfer Kunstpalast gelingt, das darf man durchaus als außergewöhnlich bezeichnen – vielleicht sogar als singulär. 

Worin besteht diese Singularität? Im Vorfeld der von ihr konzipierten Ausstellung "Künstlerinnen! Von Monjé bis Münter", fahndete Kathrin DuBois, Leiterin der Abteilung "Malerei bis 1900" im städtischen Kunstmuseum am Ehrenhof, nach den Spuren jener Künstlerinnen, die zwischen 1819 und 1919 in Düsseldorf tätig waren. Die beiden Jahreszahlen beziehen sich zum einen auf die 1819 erfolgte Neugründung der Königlich-Preußischen Kunstakademie, Vorgängerinstitution der heutigen Kunstakademie Düsseldorf; zum anderen bezeichnet 1919 das Wendedatum, als die schrittweise Öffnung der Kunsthochschule für Frauen in Düsseldorf ihren Anfang nahm.

Zuvor waren sie dort persona non grata. Erst 1924 weist das Düsseldorfer Adressbuch bei den Kunststudierenden keine getrennte Frauen-Sektion mehr aus. Nach aktuellem Forschungsstand war Düsseldorf laut Kathrin DuBois damit die letzte deutsche Akademie, die Frauen vollumfänglich integrierte. Kein Ruhmesblatt für die Hochschule, die sich gern als Vorreiter-Institution sieht. 

Auf dem genderspezifischen Auge blind

Kaum besser sieht es aus, blickt man auf die Sammlungsgeschichte des 1913 gegründeten Düsseldorfer Kunstmuseums, dem heutigen Kunstpalast. Was die Gemäldezugänge vor 1933 angeht, wurden lediglich sechs Werke von Frauen erworben. Offenbar betrachtete der Gründungsdirektor Karl Koetschau Malerinnen des 19. Jahrhunderts als quantité négligeable.

Sein Kurator Walter Cohen, ein entschiedener Förderer des Expressionismus, war ebenfalls auf dem genderspezifischen Auge blind: In seinem 1924 erschienenen Buch "Hundert Jahre rheinischer Malerei" findet keine einzige Künstlerin Berücksichtigung. Erst seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts erwirbt der Kunstpalast endlich auch gezielt Gemälde lokaler Künstlerinnen des 19. Jahrhunderts. Aus diesem Fundus, der durch zahlreiche Leihgaben vermehrt wird, kann die Ausstellung nun schöpfen.

Trostpflaster für geschichtsbewusste Düsseldorfer Lokalpatrioten: Von Beginn an mehr Resonanz erfuhren Malerinnen beim Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, gegründet 1829. Die erste dokumentierte Beteiligung einer Frau an den Ausstellungen des Kunstvereins lässt sich für das Jahr 1831 nachweisen. Von den 1870er-Jahren bis zum Ersten Weltkrieg waren unter den Ausstellenden circa acht Prozent weiblich. Eine niedrige Quote, die indes im männerzentrierten Kunstbetrieb der Zeit höher zu bewerten ist als die faktische Zahl.

Privatunterricht statt Akademiepräsenz

Wer im 19. oder frühen 20. Jahrhundert in Düsseldorf eine Ausbildung zur Künstlerin absolvieren wollte, nahm notgedrungen Privatunterricht bei einem der Akademieprofessoren oder besuchte eine der Malschulen. Etwa die von Willy Spatz – der langjährige Professor der Kunstakademie Düsseldorf soll nach Feierabend zeitweise rund 30 Schülerinnen auf eigene Rechnung um sich versammelt haben.

Fragwürdig, nicht nur aus heutiger Warte, sein Curriculum: Eines seiner Ziele sah Spatz darin, "tüchtige Ehe- und Hausfrauen" heranzubilden, deren "jugendliche[r], künstlerische[r] Übermut […] sich in matronenhafte Würde verwandelt". 

Rund 200 in Düsseldorf aktive Künstlerinnen hatte die Kunstgeschichte für den besagten Zeitraum bislang auf dem Schirm – teils aus dem Rheinland, teils aus anderen Ländern. Vor allem in Skandinavien genoss die "Düsseldorfer Malerschule" im 19. Jahrhundert hohes Ansehen – von 1840 bis 1860 musste die Stadt als Anziehungsort für junge Talente sogar den Vergleich mit Paris nicht scheuen. "Es ist unglaublich, wie viele Menschen hier nur von der Kunst leben können", schwärmte die junge finnische Kunststudentin Helga Söderström 1872 in einem Brief an ihre Mutter. "In Düsseldorf gibt es wohl kein einziges Gebäude, in dem nicht Künstlerinnen oder Künstler wohnen, es gibt sogar eine Straße, in der sich ein Atelier ans andere reiht."

Aus dem Dunkel der Kunstgeschichte hervorgetreten

So viele Superlative stimmen misstrauisch. Doch konnten Kathrin DuBois und ihre Mitstreiterinnen Nina Köppert und Hannah Steinmetz durch Recherchen in Archiven, Adressbüchern, Ausstellungskatalogen und historischen Zeitungen biografische Hinweise zu mehr als 500 Künstlerinnen ermitteln.

Die Liste beginnt mit Marie Helene Aarestrup, sie endet mit Margarethe Zweigel. Rund 300 Neuentdeckungen kamen also hinzu – sie bereichern unser Bild der Malerei im 19. und frühen 20. Jahrhundert um Persönlichkeiten, die nun, nach mehr als einem Jahrhundert, aus dem Dunkel der Kunstgeschichte hervortreten.

Die Ausstellung im Kunstpalast konzentriert sich auf 31 Künstlerinnen, deren Schaffen herausragt. Dabei wirft der Titel "Von Monjé bis Münter" ein Schlaglicht auf das erhebliche stilistische Gefälle im Schaffen der Beteiligten. Schwelgt Paula Monjés "Deutsches Volksfest im 16. Jahrhundert" (1883) in prächtig herausgeputzter, kulissenartiger Historienmalerei, so zeugen die in der Ausstellung vertretenen Landschaften und Porträts von Gabriele Münter, entstanden wenige Jahrzehnte später, vom Einzug der Moderne in der Malerei. Das gilt vor allem für eine "Winterlandschaft" von 1909 und das Porträt der Künstlerin Margarete Umbach von 1932, beide gekennzeichnet durch Vereinfachung, intensive Farben und flächigere Formen.

Grundverschiedene Bilder, abweichende Biografien

Nicht nur ihre Bilder, auch ihre Biografien weichen markant voneinander ab. Paula Monjé (1849–1919), in Düsseldorf geboren und gestorben, war als Lokalmatadorin fest in der Kunstszene vor Ort verwurzelt. Auch kulturpolitisch hat sie sich engagiert – beispielsweise 1911 als Gründungsmitglied der Vereinigung Düsseldorfer Künstlerinnen und Kunstfreundinnen. Ihre Genrebilder und Porträts, deren fotorealistische Akkuratesse heutigen Sehgewohnheiten widerstrebt, fanden auch Applaus in Berlin. Obwohl Monjé 2019–2020 in der Alten Nationalgalerie bei der Ausstellung "Kampf um Sichtbarkeit. Künstlerinnen der Nationalgalerie vor 1919" vertreten war, ist ihr Name weitgehend in Vergessenheit geraten.

Gabriele Münter dagegen, Mitbegründerin der Künstlergruppe "Der Blaue Reiter", ist jedermann ein Begriff, der sich für moderne Kunst interessiert. Für die 1877 geborene Künstlerin, die 1897/98 in Düsseldorf studierte, war das Rheinland jedoch nur ein Intermezzo. Bald zog es sie nach München, wo sie die schicksalsverändernde Bekanntschaft von Wassily Kandinsky machte. In Düsseldorf studierte auch Münter bei Willy Spatz – seinen Unterricht freilich empfand sie als "enttäuschend öde". Die Kontakte ins Rheinland (ihr Bruder lebte in Bonn) rissen aber auch nicht ab, als sie 1909 das bayerische Murnau zu ihrer Wahlheimat machte.

Inspiriert vom Ausdruckstanz

Der Münter-Raum ist wohl das Highlight des in elf Räumen unterteilten Rundgangs, der Historienbilder und Genreszenen, Porträts, Landschaften und Stillleben vereint. Bei den vereinzelt anzutreffenden Skulpturen beeindruckt vor allem Milly Stegers grazile Bronze "Jephtas Tochter" (1919/22). Die Künstlerin (1881–1948) ließ sich dabei vom zeitgenössischen Ausdruckstanz inspirieren. 1901–1905 studierte Stegers im Privatatelier von Karl Janssen, Leiter der Bildhauerklasse an der Düsseldorfer Kunstakademie. Danach zog es sie nach Berlin, wo sie Verbindung zu dem Bildhauer Georg Kolbe aufnahm.

Bemerkenswert aber auch die Beiträge, die unter dem Stichwort "Kunsthandwerk" oder "angewandte Kunst" zu verbuchen sind – eine Sparte, die traditionell als Domäne weiblicher Kunstschaffender angesehen wird. In Düsseldorf wurde die Kunstgewerbeschule 1904 unter dem neuen Direktor Peter Behrens auch für Frauen geöffnet.

Eine der Schülerinnen war Emma Volck – ihre Teemütze mit Batikmuster (1908/09) gehört zu den charmanten Accessoires der Ausstellung. Mehr als einen flüchtigen Blick lohnen auch Ilna Ewers-Wunderwalds Umschlaggestaltungen für Bücher und Benita Koch-Ottes Teppichentwurf mit De-Stijl-Muster.

Pathos und Sentimentales

Was uns an der akademischen Malerei des 19. Jahrhunderts unangenehm berührt – das effekthascherische Pathos, der Hang zum Sentimentalen, das Biedermeierlich-Brave –, davon gibt es auch in der Ausstellung im Kunstpalast reichlich zu sehen. So bei Elisabeth Jerichau-Baumanns grimmigen "Walküren", Amalia Lindegrens penetrant idyllischer Familienaufstellung "Sonntagabend in einem Bauernhaus in Dalecarlia", Amalia Lindegrens larmoyanter "Witwe und ihr Kind" oder Minna Heerens Rührstück "Strickendes Mädchen".

Doch stößt man ebenso auf Beispiele wunderbarer Peinture. Hervorzuheben hier Fanny Churbergs Ölskizzen, die mit spontanem Pinselauftrag Winterlandschaften, Sonnenuntergang und Mondlicht heraufzaubern. Die Finnin (1845–1892) reiste erstmals 1866 nach Düsseldorf; 1871–1874 hielt sie sich erneut in der Stadt auf, um Unterricht bei dem Landschaftsmaler Carl Ludwig zu nehmen – ein Künstler, der nach ihrem "wilden Geschmack" war, wie sie schrieb.

Tuchfühlung durch Selbstporträts

Weil die Ausstellung im Kunstpalast im Besonderen die Lebensumstände und Karrierestrategien der 31 beteiligten Künstlerinnen beleuchtet, liegt ein biografischer Zugang ohnehin nahe. Hierbei erweisen sich die im Katalog (Hirmer Verlag) aufgeführten Kurzviten als wahre Fundgrube.

Und ihre Selbstporträts scheinen uns in direkte Tuchfühlung mit ihnen zu bringen. Diese Nähe über eine Distanz von mehr als 150 Jahren hinweg vermittelt am eindrücklichsten das vitale Selbstbildnis, das Mathilde Dietrichson 1865 anfertigte. Nicht von ungefähr wurde es als Cover-Motiv des Katalogs ausgewählt. Die norwegische Künstlerin, damals 28 Jahre alt, wendet den Kopf nach rechts, um uns geradewegs ins Gesicht zu blicken – so, als wolle sie Kontakt zum Betrachter aufnehmen.

Sie hatte ihre Ausbildung in Düsseldorf 1857 begonnen. Hier lernte sie Lorentz Dietrichson, Norwegens ersten Kunstgeschichtsprofessor, kennen und lieben. Gemeinsam unternahm das Ehepaar ausgedehnte Reisen, die bis in den Nahen Osten führten. Später ließen sie sich in Rom nieder. Obwohl Mathilde Dietrichsons Bilder international präsent waren – unter anderem auf der Weltausstellung 1878 in Paris –, verblasste ihr Ruhm schon zu Lebzeiten. Als Frau, Gattin und Mutter hatte sie nach damaligem Verständnis andere Rollen auszufüllen und fügte sich in dieses Schicksal. Aktuelle Ausstellungen in Norwegen, Finnland und jetzt in Düsseldorf bescheren ihr nun späte Gerechtigkeit.