Martin Roth am V&A in London

Kultur muss heilen und helfen

London (dpa) - Martin Roth freut sich über den Besucherrekord von 3,23 Millionen im vergangenen Jahr und besonders über den Zulauf junger Menschen. «Das ist unglaublich, unbeschreiblich», strahlt der Direktor des Victoria and Albert Museums (V&A). «In London fühle ich mich auf alle Fälle sehr zu Hause», sagte Roth, der zuvor Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden war, in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Aber der 57-jährige Kulturwissenschaftler rastet nicht. «Es gibt noch Einiges zu tun.»

Die Palette seiner Zukunftspläne reicht von der baulichen Erweiterung des renommierten Museums für Art und Design bis hin zu einer neuen Standortbestimmung über seine «soziale Dimension». Eine notwendige Vertiefung der internationalen langfristigen Museen-Kooperation liegt ihm ebenso am Herzen wie der Wunsch, als Deutscher mit Hilfe der Kultur die Wunden der Vergangenheit zu heilen.

«Ich bin der Meinung, dass meine Generation durchaus das zum Teil aufräumen muss, was unsere Elterngeneration kaputt gemacht hat. Das ist übrigens ein Grund, weshalb ich es sehr wertschätze, dass ich hier sein kann. Von Dresden nach London zu gehen, das ist schon ein symbolischer Akt.»

Das Beispiel des Zusammenwachsens Deutschlands könne dabei helfen, dass sich Ost und West in Europa besser verstehen und «Vorurteile gegenüber Deutschland» abgebaut werden. Die Öffnung, vor allem auch gegenüber Russland, sei von zentraler Bedeutung. Deshalb sei er stolz auf die jüngste Ausstellung von Kreml-Schätzen in Dresden und die laufende Ausstellung über die Beziehung der Zaren zum englischen Königshaus im V&A.

«Nach Perestroika, dem Fall der Mauer und der chinesischen Öffnung waren wir alle, auch sehr persönlich, offen für das Zeigen unserer Kultur. Aber das hat eine gewisse Grenze, nachdem wir uns 20 Jahre gegenseitig unsere Objekte gezeigt haben.»

Fällig ist nun laut Roth eine Vertiefung der kulturpolitischen Zusammenarbeit. «Was wir jetzt brauchen, sind langfristige Kooperationen auf derselben Augenhöhe. Ich bin sehr dafür, dass wir langfristige Kooperation eingehen und nicht mehr diese kurzfristigen Ausstellungen machen. Also, nur einen Tizian nach Peking schleppen, damit er da mal gezeigt wird...die Phase gibt es schon noch, aber die ist früher oder später wirklich vorbei.»

Neben der langfristigen Kooperation müsse es den «zweiten Strang der Reaktion auf konkrete Situationen» geben. «Es geht darum zu überlegen, wo Kultur helfen kann.» Deshalb habe er sich, oft gegen Kritik, für das Zeigen von Ausstellungen in kritischen Ländern, wie China oder Libyen, eingesetzt. Auch Syrien könnte dafür einmal ein Ort sein, «wenn der Alptraum dort vorbei ist».

Dennoch seien Museumsdirektoren keine Diplomaten. «Ich war immer ein großer Befürworter der Kulturdiplomatie. Aber ich habe auch gelernt, dass wir keine Diplomaten sind, und auch nicht sein sollten, sondern was wir machen können, ist gute Kooperation mit dem Ausland herstellen und dafür ist das V&A wie gemacht.»

Roth bedauert, dass europäische Museen den «Nahbezug zueinander» verloren hätten. «Was mir auffällt ist, dass wir uns alle mittlerweile in Peking, Schanghai, Los Angeles und was weiß ich wo besser auskennen als in Paris, Madrid, Manchester, München oder Athen. Wir sind alle gute Touristen, benutzen easyJet und glauben, alles zu kennen.» Es gehe aber darum, «tiefer zu gehen und die Möglichkeiten auszuloten, die unterschiedliche Systeme in Europa haben. «Das wäre sehr lohnenswert. Wir könnten extrem viel voneinander lernen.»

«Ich träume davon, dass wir, zumindest alle Arts und Design Museen - mit dem V&A sozusagen als Mutterschiff - wieder zusammenbringen, von Prag bis Wien, Paris und Berlin. Das halte ich für ein erstrebenswertes Ziel.»