Die Malerin Marlene Dumas hat einmal gesagt, dass der Unterschied zwischen erotischer Kunst und Pornografie im Verhältnis zum Verstecken liegt. Porno zeige alles, Kunst behalte ihr Geheimnis. Das Thema Kunst und Pornografie wirft viele Fragen auf: Was ist Hochkultur, wer bestimmt das, und wie viel Sex wollen wir sehen? Eine Ausstellung im dänischen Aarhus beschäftigt sich genau mit diesen Themen und fragt, welchen Einfluss Pornos auf das Werk von Künstlern hat. Wir haben mit dem Kurator der Schau "Art & Porn", Rasmus Stenbakken, gesprochen.
Rasmus Stenbakken, mit der Ausstellung "Art & Porn" handeln Sie sich ein ziemlich altes Problem der Kunstgeschichte ein, das noch niemand abschließend gelöst hat: Was ist Kunst, was ist Porno? Warum dieser neue Versuch?
Es stimmt, es ist ein schwieriges Thema, gerade innerhalb einer öffentlichen Institution, aber uns geht es auch nicht darum, zu definieren, was Kunst und was Pornografie ist. Viele der Werke, die wir zeigen, wurden gar nicht unbedingt mit Bezug zum Porno gemacht, aber sie haben etwas mit unserem grundlegenden Thema zu tun: Vor 50 Jahren hat Dänemark als erstes Land der Welt die visuelle Pornografie legalisiert. Der dänische Liberalismus, auf den viele so stolz sind, wurde gewissermaßen mit dieser Entscheidung geboren. Das wollen wir feiern.
Wie kam es zur Legalisierung?
Kunst spielt in diesem Prozess eine große Rolle: Der Surrealist Wilhelm Freddie, der in Dänemark sehr bekannt ist, aber im Rest der Welt leider nicht, hat 1936 eine Frauenbüste mit einem Penis auf der Wange geschaffen. Das war damals zu viel für die dänische Gesellschaft. Die Büste wurde konfisziert und der Künstler zu einer Strafe von 100 dänischen Kronen verurteilt. Wilhelm Freddie hat diese Strafe nicht gezahlt und ging stattdessen ins Gefängnis. In 1961 hat er diese Büste noch einmal kopiert und die Replik in Kopenhagen ausgestellt. Hier wiederholt sich die Geschichte: das Werk wurde wieder zensiert und Freddie wieder zu einer Strafe verurteilt. Diesmal ging er aber dagegen vor und bekam Recht. Er wurde freigesprochen. Das Klima in Dänemark hatte sich völlig verändert. Dieses Urteil setzte einen politischen Prozess in Gang, bei dem der "Fall Freddie" immer wieder auftaucht.
Sie schreiben im Ausstellungstext, dass sich das Verhältnis zu Pornografie viel über eine Gesellschaft aussagt. Was denn genau?
Das Verhältnis zeigt den Zustand des Liberalismus eines Landes, was eine Gesellschaft bereit ist an Freiheit zu akzeptieren. Wir reden hier über alle Bilder, die legal sind. Natürlich gibt es furchtbare Ausprägungen von Pornografie und ausbeuterische Strukturen, aber die sind illegal und die meine ich nicht. Wir wollen auch nicht darüber urteilen, ob Pornografie gut oder schlecht ist. Wir zeigen Aspekte, die Spaß machen und voll von Humor sind, aber eben auch die weniger fröhlichen Seiten des Pornos, weil er Menschen sehr kaputt machen kann.
Es gibt heute alle möglichen Konstellationen im Porno, aber in den meisten Filmen geht es darum, dass Männer Macht über Frauen ausüben. Wie geht die Ausstellung mit diesem Ungleichgewicht um?
Die Hälfte der Künstler sind Frauen. Und wir versuchen, uns diesen mächtigen männlichen Blick in der Geschichte der Pornografie genauer anzusehen. Den gibt es ja im selben Maße in der Kunst. In vielen Arbeiten geht es auch um die Körperbilder, die durch Pornografie verbreitet werden, und die oft zu Störungen des Selbstwertgefühls, gerade bei Frauen, führen. Viele der Künstlerinnen, die wir zeigen, sind viel mehr an Machtdynamik interessiert als an der Bildsprache des Pornos an sich. Sie ist ein Vehikel, durch das sich eine viel größere Thematik verhandeln lässt. Nehmen wir Monica Bonvicinis Schriftzug: „No more Masturbation“. Es lässt sich unterschiedlich lesen, aber ich interpretiere es so, dass Künstlerinnen genug von der geistigen Masturbation von Männern haben, die den Kulturbetrieb bestimmt.
Eigentlich sind alle Positionen, die Sie zeigen, heute etabliert, und niemand würde ernsthaft auf die Idee kommen, Künstler wie Jeff Koons, Monica Bonvicini oder Wolfgang Tillmans als pornografisch zu zensieren. Lässt sich überhaupt noch irgendjemand von sexuell expliziter Kunst provozieren?
Ich habe schon die Rückmeldung bekommen, dass die Schau zu brav ist – aber genauso, dass sie expliziter ist, als man erwarten könnte. Nehmen wir Jeff Koons’ Serie „Made in Heaven“: Sie ist heute natürlich Kanon, aber sie ist immer noch pornografisch, und man kann an ihr wunderbar die Themen Kitsch und Kunst und die Ablehnung der Kategorien von Hoch- und vermeintlich niederer Massenkultur diskutieren. Das ist genau das, was uns interessiert. Ich glaube aber, dass wir heute gar nicht so liberal sind, wie wir gern glauben wollen. Es gibt diesen neuen Puritanismus, nicht nur in Dänemark. Man kann sich heute nicht mehr genauso verhalten wie vor 50 Jahren, oder sogar vor 10 Jahren. Frauen liegen nicht mehr oben ohne am Strand. Auch Politiker würden sich heute nicht mehr in derselben Klarheit für die Freiheit der Bilder aussprechen wie sie es damals getan haben – ohne Rücksicht auf mögliche Stimmenverluste.
Gerade wird weltweit dagegen protestiert, dass soziale Medien zum Beispiel Fotos von weiblichen Brustwarzen als Porno werten und zensieren. Ist der neue Puritanismus digital?
Ich glaube, dort zeigt sich nur ein Phänomen, das außerhalb dieser Plattformen existiert. Die Algorithmen zensieren ja nur, was man ihnen aufträgt. Und diese Grenzen bestimmen Menschen, die in großen Firmen arbeiten. Zensur geht heute in der westlichen Welt nicht mehr vom Staat aus, sondern von globalen Tech-Unternehmen wie Google oder Facebook, die entscheiden, welche Bilder wir aushalten sollen und welche nicht. Diese neue Art von Zensur ist auch Thema unserer Ausstellung. Wenn ein Bild nichts Illegales zeigt, sollte es gesehen und verbreitet werden dürfen.
Pornografie soll die Zuschauer erregen. Kann Kunst eigentlich auch nur entfernt ähnlich befriedigend sein?
Gute Frage. Ich glaube Kunst und Pornografie werden mit sehr verschiedener Absicht produziert. Porno will sofortige Befriedigung, Kunst sehen ist ein komplexer Prozess, der viele verschiedene Reaktionen hervorrufen kann. Vielleicht ist genau das der Unterschied zwischen den beiden Kategorien.
Ist nicht auch der Kontext entscheidend? Ein Museum ist ein öffentlicher Ort, an dem man Bilder zusammen mit anderen Menschen ansieht. Pornos schaut man dann doch meistens allein…
Das war aber nicht immer so. In den 20ern und 30ern, als pornografische Bilder illegal waren, war es eine soziale Aktivität, sie sich anzuschauen. Die Leute haben das zusammen gemacht. Sie haben sich dabei nicht unbedingt befriedigt, aber Pornografie war Unterhaltung. Und sie ist für viele Innovationen verantwortlich, die wir heute überall benutzen.
Zum Beispiel?
Kreditkartenzahlung im Internet. Die Porno-Industrie hat als eine der ersten Wirtschaftsfelder ihr Geschäft ins Digitale verlegt. Und Diskretion ist in diesem Geschäft nun mal sehr wichtig, also musste eine sichere Zahlungsweise her. Auch in der Verbreitung von VHS-Kassetten und DVDs und heute Streaming-Diensten war die Pornografie wegweisend. Pornos und Mediengeschichte haben viel miteinander zu tun. Auch die Algorithmen, die Vorschläge machen, was einem sonst noch gefallen könnte, haben ihre Wurzeln in der Porno-Industrie. Ihnen gefällt dieser Typ Frau oder dieser Typ Mann? Dann schauen Sie doch mal hier. Heute sind diese Algorithmen überall. Wir sind alle viel mehr von Pornografie beeinflusst, als wir es glauben. Künstler machen genau das sichtbar.