Hochschulreport 2006

Kunsthochschule Kassel

Die Pragmatische: Der Kunstbetrieb ist ein einsturzgefährdetes Kartenhaus

Der Sommertag, an dem die Jury der Kasseler Kunsthochschule zur Begutachtung und Bewertung der Arbeiten von rund tausend Studierenden zusammenkam, versprach heiß zu werden. Bleiern hing die Luft über dem zweiteiligen, aus Nordbau und Südbau bestehenden Baukomplex und staute sich im Labyrinth der Ateliers und Werkstätten. Eine nervöse Spannung war unübersehbar. Allein oder in kleinen Gruppen warteten die Studenten in der Nähe ihrer jüngst entstandenen Werke auf die „glorreichen Sieben“ und ihr Urteil, denn zu siebt hatte man sich in der Jury zusammengefunden. Wo anfangen, wo aufhören? Im Seminarraum von Professor Bernhard Prinz, der die Fotografie-Klasse leitet und den „Rundgang“ zum Semesterende organisierte, war man unschlüssig. Überhaupt ärgerlich, daß manche Filme und Videos, trotz entschiedener Mahnung, nicht rechtzeitig eingetroffen waren. Man würde sie in der Mittagspause ansehen. Vor allem die Trickfilme. Da hat man einen guten Ruf zu verteidigen, seit die Trickfilm-Klasse unter Paul Driessen zwei „Oscars“ einfahren konnte.

Unterdessen hat am Rande der barokken Karlsaue die Basis-Klasse von Alf Schuler Aufstellung genommen. In weißen Overalls postieren sich 18 angehende Künstler auf den Feldern eines imaginären Schachbretts und initiieren, jeder für sich, eine Pantomime: Einer läßt Luftballons aufsteigen, ein anderer Seifenblasen, eine junge Frau jongliert mit Flaschen, während ihre Nachbarin malend vor einer Staffelei sitzt. „Mach, was du willst“, heißt die Performance, die von einem Hochsitz aus beobachtet werden kann. Die Stelle des Deus absconditus – des abwesenden Gottes –, der aus olympischer Perspektive das absurde Welttheater betrachtet, nehmen abwechselnd die Juroren ein. Das ist amüsant. Preiswürdig ist es nicht.

Was aber dann? Ein Blick auf die strenge Bauhaus-Architektur des Gebäude-Ensembles, dessen geradlinig-schmucklose Konturen auf Impulse von Titanen wie Le Corbusier, Gropius oder Mies van der Rohe zurückgehen, verrät etwas vom Programm dieser Kunsthochschule. Freilich alles weniger als eine Doktrin. Eher zu verstehen als erkenntnisorientierte Haltung, als eine dem innovativ-konzeptionellen, auch funktional-pragmatischen Denken zugewandte Position. Das sollte sich bei Preisvergabe bemerkbar machen.

Kein Preis entfiel an die Bildhauerei oder gestisch-abstrakte Malerei. Keiner an verstiegene Rauminstallationen oder subjektiv inspirierte Performances. Prämiert wurde ein minimalistisches Ensemble aus grauen Flächen und einer Röhre von Ingmar Mruk, halb Wandregal, halb Haltestelle (Klasse Urs Lüthi). Die Arbeit überzeuge, so die Jury, durch „unaufgeregte und sensible Proportionierung“. Des weiteren der Film „Am Walperloh“ von Markus Bertuch (Klasse Björn Melhus). Darin suchen junge Männer in DDR-Plattenbauten nach verlorenen Kindheitsmustern. Hier wie da werden eindeutige Aussagen vermieden und Deutungsspielräume zugelassen. Das beeindruckte die Jury. Zu recht war ihr auch die „Bild-Architektur- Installation“ von Martin Sommer (Klasse Jürgen Meyer) einen Preis wert. So witzig, so kritisch wie in dieser aus 18 Gemälden zu filigranem Nonsens errichteten Rauminstallation hat lange keiner mehr über die Malaise des Kunstbetriebs reflektiert. Ein Kartenhaus, jederzeit einsturzgefährdet. Und in seiner luftig-voluminösen, den Raum frech okkupierenden Grazie eine Metapher für den Stand der Kunst im Jahr 2006.

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