Kürzungen an der Kunsthochschule Kassel

"Wir haben nichts mehr zu geben"

Die Kunsthochschule Kassel steht vor massiven Budgetkürzungen. Der Künstler und Professor Bjørn Melhus sieht die Institution dadurch existenziell bedroht. Hier plädiert er für mehr Autonomie und eine Zeitenwende in der Kultur

Eigentlich wollte ich heute über das Potenzial der Ekstase sprechen, über den gesellschaftlichen Zusammenhang von anderen Bewusstseinszuständen, auch als eine Form des empowerments in einer von Angstdebatten dominierten Zeit. 

Kunst kann ekstatisch sein. Der Schaffensprozess selbst wie auch die Rezeption. Ich wollte über Kunst als eine Form der Befreiung sprechen, wie auch über den Umgang mit den Geistern - und nicht zuletzt über die Kunsthochschule als einem Ort der "Be-Geisterung" im Sinne der "In-Spiration". Einem Ort, an dem wir uns gegenseitig begeistern und aus dem wir kritische Fragen in die Gesellschaft tragen können. Fragen, die durchaus systemrelevant sind, insbesondere für ein demokratisches Miteinander. 

Denn Kunst bildet ein wichtiges Korrektiv innerhalb einer Gesellschaft, ohne das ich persönlich nicht leben möchte. Kunst kann ekstatisch sein, sie bringt dabei die Träume und Albträume an die Oberfläche. Sie funktioniert als Gegengift und Plattform, auf der wichtige und aktuelle Themen immer wieder neu verhandelt werden. Sie stellt Fragen und eröffnet bislang ungesehene ästhetische Räume. 

Das ist eben so - und nicht anders

Eine Kunsthochschule ist das Laboratorium, in dem Studierende in diese gesellschaftlich wichtigen Rollen hineinwachsen, um an den Stellen zu pieksen, wo es  manchmal richtig weh tun kann - und auch weh tun muss. In einer Kunsthochschule entstehen Visionen für die Zukunft, vornehmlich in einer Zeit, in der die Hinterfragung von Bildern und Inhalten immer wichtiger wird. Dennoch gibt es in unserer Gesellschaft zunehmend Menschen oder Parteien, die den Wert der Kunst infrage stellen. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Betreuung an einer Kunsthochschule besonders zeit- und arbeitsintensiv ist. 

Nun haben wir erfahren: Die Kassen sind leer und es muss überall gespart werden. Der Wirtschaft geht es schlecht. Im vergangenen Jahr hatte das Land Hessen mit einem Defizit von zehn Milliarden Euro zu kämpfen, was sich natürlich auch auf die Bildung und Kultur auswirkt. Diese wäre jedoch gerade in Zeiten einer zerfallenden Demokratie und militärischen Aufrüstung besonders wichtig zu schützen, aber offenbar steht das derzeit nicht im Fokus einer Politik der sogenannten "Zeitenwende". 

So sollen im Rahmen des Hochschulpaktes die hessischen Hochschulen im Jahr 2026 einen Konsolidierungsbeitrag von rund 30 Millionen Euro leisten. Mit ungefähr 14 Millionen Euro Einsparungen entfällt dabei offenbar knapp die Hälfte auf die Universität Kassel. Das ist bitter. "Machen wir uns nichts vor: Der Haushalt 2026 wird ein Sparhaushalt werden müssen", sagte der hessische Finanzminister Alexander Lorz. Denn solange in Deutschland kein deutliches Wirtschaftswachstum erreicht werde, sei Sparen "das neue Normal".

Ein tolles Armenhaus

Was die Kunsthochschule Kassel betrifft, kann man hier wirklich nicht von "neu" sprechen, sondern eher von einem jahrzehntelangen Status quo. Als ich vor 22 Jahren meine Stelle antrat, habe ich mal in einem Interview gesagt, dass diese Schule ein Armenhaus ist, aber wenigstens ein tolles. Ich habe damals noch an ein Armenhaus mit sehr viel Potenzial geglaubt. Heute glaube ich leider nicht mehr daran. Trotz der prekären Verhältnisse habe ich mich in den letzten zwei Jahrzehnten wiederholt zur Kunsthochschule Kassel bekannt und anderen, oft lukrativeren Angeboten widerstanden. 

Ich habe in Kassel einen Gestaltungsspielraum gesehen, den ich jetzt, mit den neuerlich angekündigten Kürzungen endgültig infrage stelle. Ich war im Glauben, dass ich nicht nur in einer der bedeutendsten Kunsthochschulen in Deutschland bin, sondern auch in einer der schönsten: Denn der Bau von Paul Posenenske aus dem Jahr 1962, am Rande der grünen Karlsaue, ist ein herausragendes Beispiel der Nachkriegsmoderne in Hessen und steht unter Denkmalschutz. 

Doch leider wird dieser Bau seit Jahrzehnten von der Universität, ich nenne sie ab jetzt mal das Master-Control-Programm, systematisch kaputt gespart. Hin und wieder muss man Eimer aufstellen, weil es bei Regen durch die Decke tropft. Wenn man hingegen nach ein paar Eimer weißer Farbe fragt, um das Haus in Eigenarbeit für den Rundgang aufzuhübschen, empfiehlt das Master-Control-Programm der Rundgangsleitung, die Farbe für den gesamten Campus doch selbst aus eigener Tasche zu bezahlen, mit einem sehr vagen Versprechen, ob es dafür überhaupt eine Rückerstattung gibt. 

Das ist die Realität

Auf eine Anfrage, ob im Rahmen der energetischen Fassadensanierung vielleicht auch mal für Studierende ein direkter Zugang zu einer Toilette geschaffen werden könnte, um außerhalb der Kernöffnungszeiten nicht in den Park oder in einen anderen Gebäudeteil gehen zu müssen, wurde mir vom Master-Control-Programm am Telefon gesagt: "Wissen Sie Herr Melhus, eine Toilette ist mir für Sie zu teuer." Das ist die Realität. Während hinter den zerbröselnden Eternitplatten Kolonien von Waschbären hausen, werden Universitätscomputer von der Leitung mit lustigen Waschbär-Aufklebern versehen. Stellen Sie sich vor: Ihre Mietwohnung wird von Mäusen zerfressen und Ihr Vermieter schickt Ihnen ein lustiges Bild aus der Sendung mit der Maus. Die Diskrepanz in der Wahrnehmung kann größer nicht sein. 

Nein, hier ist das Sparen nicht das "neue Normal". Es ist ein jahrelanges Dauerprogramm. Gelegentlich frage ich mich, ob das tatsächlich aus einer andauernden kognitiven Dissonanz heraus geschieht, weil eine Universität mit dem Konstrukt einer Kunsthochschule so wenig anfangen kann wie ein Schraubengroßmarkt mit einer angegliederten Blumenabteilung? Da weiß man vielleicht einfach gar nicht, dass Pflanzen Wasser zum Leben brauchen. 

Vielleicht herrscht in den Köpfen auch das romantisierende Bild des armen Poeten eines Carl Spitzweg und die Vorstellung, dass prekäre Zustände junge Kunststudierende vielleicht kreativer machen? Ich frage mich das bis heute. Lehrende, die seit Jahren am Anschlag ihrer Kapazitäten sind und nicht mal mehr zur eigenen Forschung kommen, da sie nebenbei jedes Jahr auch noch ein Mehrfaches an Bürokratie stemmen müssen, macht es sicherlich nicht kreativer. Irgendwann brennen wir alle aus. Dazu kommt eine unterbesetzte und oft überforderte Verwaltung.

Weniger geht nicht mehr

Wenn man die gesamte Universität Kassel als Körper sehen würde, dann ist die Kunsthochschule eine schon seit Jahren faulendes Gliedmaße, die nicht mehr mit ausreichendem Blut und Sauerstoff versorgt wird. Irgendwie ist das hässlich und stinkt, und man schaut da besser nicht mehr hin. Während man in den fetten Jahren den Rest des gesunden Körpers mit personellem Aufwuchs und Baumaßnahmen in Höhe von hunderten Millionen gepflegt hat, wird nun, in der Not, wenn die Luft mal dünner wird, die Solidarität von dem schon unterversorgten Körperteil eingefordert. 

Ein Betrieb, der jahrelang auf Verschleiß gefahren wurde, wird nun in gleichem Maße wie der gepflegte Restkörper zum Aderlass gebeten. Wir sind am Ende. Hier ist nichts mehr zu holen. Weniger ist nicht mehr, sondern weniger geht nicht mehr. Wir haben nichts mehr zu geben. Hier wollen wir mal tief Luft holen und gemeinsam schreien!

Ein kleiner Rückblick: Die Kunsthochschule wurde 1777 gegründet. Große Leute sind aus ihr hervorgegangen wie der Künstler Hans Haacke oder Marion Ackermann, die neue Präsidentin der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin, um nur zwei zu nennen. Und es ist die Schule, an die 1989 und 1996 jeweils ein Oscar an studentische Filme verliehen wurde. Und last but not least: Es ist die Schule, aus der Arnold Bode 1955 die Documenta gründete, die berühmte Weltkunstschau. Das alle fünf Jahre stattfindende und für 100 Tage aufgebaute Ideenlabor, in das auch die Kunsthochschule immer wieder eingebunden wurde, ist zudem ein erheblicher Wirtschaftsfaktor für die Stadt Kassel. Die Stadt lebt von der Documenta, während die Kunsthochschule vergammelt.

Von prekär zu palliativ

Der Zustand der Kunsthochschule war schon in den letzten Jahren beschämend. Aber die jetzige Verlegung von einer prekären Pflegestation auf Palliativ ist ein Skandal. Hier wird aktive Sterbehilfe geleistet.

Nun haben wir die Wahl: Entweder stellen wir uns an die Wand, und eine oder einer von uns wird nach Ermessen des Master-Control-Programms "abgeknallt", oder wir lassen uns den Revolver zum russischen Roulette reichen und erledigen das selbst. Ja, das mag zynisch klingen, aber vielleicht bin ich noch in der Wut-Phase (nach Kübler-Ross) eines angekündigten Todes, während Andere bereits seit Jahren in der Akzeptanzphase angekommen sind.

Wir wollen einfach nur wie jede andere Kunsthochschule in Deutschland behandelt werden. Dabei geht es um den Betreuungsschlüssel von Lehrenden zu Studierenden. Das ist ein klares Zahlenwerk und kein Hexenwerk. Ob mit oder ohne Universität.

Schenken Sie der Kunsthochschule die Autonomie!

Vielleicht würde es ja helfen, wenn die nächste Universitätsleitung eine Künstlerin oder ein Künstler wäre? Die würde vielleicht vom Rest der Universität nichts verstehen, wüsste aber zumindest, was eine Kunsthochschule ist. An dieser Stelle wird vielleicht das strukturelle Problem klarer: Eine Kunsthochschule braucht ein eigenes Präsidium, das dem Fach nahesteht, da vieles einfach so grundsätzlich anders ist. 

Kunst ist kein normales Lehrfach oder universitärer Fachbereich. Vielleicht ist das der Moment, wirklich nochmal über eine mögliche Autonomie der Kunsthochschule nachzudenken. Auch wenn die Zeiten schwer sind und wir alle den Gürtel enger schnallen müssen. Vielleicht können Sie, Herr Minister Timon Gremmels, uns dabei helfen, dieses Juwel der Stadt Kassel wieder langfristig zum Strahlen zu bringen? 

Ronald Reagan sagte 1987: "Mr. Gorbatschow, tear down this wall!" Ich sage hier und heute: "Herr Minister Gremmels, schenken Sie der Kunsthochschule Kassel die Autonomie!" Das wäre dann für die Documenta-Stadt ein Leuchtturm mit Strahlkraft. Zumindest könnte man doch mal darüber nachdenken, oder? In dieser, mit ungleichen Möglichkeiten ausgestatteten Zwangsehe, sollte es doch nicht heißen: "Bis dass der Tod euch scheidet", oder? Wessen Tod das wäre, brauche ich hier nicht hinzuzufügen.

Ein Wendepunkt muss her

Sicher gab es - und gibt es auch noch - viele tolle Kooperationen mit verschiedenen Fachbereichen der Universität. Das kann man fortsetzen und sogar intensivieren. Eins sollte aber klar sein: Wie es im Moment ist, kann und darf es nicht weitergehen. Die angekündigten Sparmaßnahmen müssen zum Wendepunkt im Berechnungsschlüssel der Kunsthochschule werden. 

Im Status quo kann mit weiteren Kürzungen der Betrieb nicht mehr aufrechterhalten werden. Es ist wie bei einem Flugzeug, dem man weiter und weiter das Kerosin abdreht und das sich im dauernden Sinkflug befindet. 

Irgendwann knallt es dann auf den Boden auf. "Your captain is speaking: We’re going down. We are all going down!" Vor dem Aufprall wollen wir aber alle nochmal tief Luft holen und schreien!

Endlich gute Nachrichten

Nun aber endlich zu den guten Nachrichten: In einer Pressemitteilung des Hessisches Statistisches Landesamtes vom 23. Juni ist zu lesen, dass die Zahl der Einkommensmillionärinnen und -millionäre in Hessen im Jahr 2021 gegenüber 2020 um 21,3 Prozent auf 2.856 gestiegen ist - und deren Gesamteinkünfte bei 8,7 Milliarden Euro lagen. Bravo!

Es gibt weitere gute Nachrichten: In einer Pressemeldung des hessischen Finanzministeriums vom 30. August 2024 ist zu lesen, dass Steuerfahndungen und Betriebsprüfungen in Hessen 2023 für Mehreinnahmen von 1,2 Milliarden Euro gesorgt haben und dazu 151 Jahre rechtskräftige Freiheitsstrafen wegen Steuerkriminalität verhängt wurden. Bravo!

Aber auch wirtschaftlich tut sich einiges: Hessens Ministerpräsident Boris Rhein hat bereits 2023 bei seinem Besuch des Unternehmens Rheinmetall den Erhalt und die Stärkung des Rüstungsstandortes Kassel gelobt. Denn "Kassel ist das Zentrum der Rüstungsindustrie in Hessen. Mit Rheinmetall und Krauss-Maffei Wegmann sind zwei weltweit bedeutende Rüstungsunternehmen am Standort Kassel angesiedelt."

In Zukunft Munition zusammenschrauben

Mit einer Steigerung um 15 Prozent erreichte der aus Krauss-Maffei Wegmann und Nexter entstandene Rüstungskonzern KNDS 2024 einen Rekord-Jahresumsatz von 3,8 Milliarden Euro. Der Auftragseingang stieg um 40 Prozent auf 11,2 Milliarden Euro. Damit ist der Auftragsbestand auf 23,5 Milliarden Euro angewachsen, 15 Prozent mehr als im Vorjahr, und damit ebenfalls ein Rekordwert. 

Auch die Rüstungs-Aktien von Rheinmetall sind derzeit der Hit. Seit 2022 explodierte diese Aktie regelrecht um 907 Prozent. Der größte Aktieninhaber ist mit fünf Prozent der Finanzdienstleiter Blackrock (unter anderem auch der frühere Arbeitsplatz unseres derzeitigen Bundeskanzlers.) 

Es gibt noch mehr gute Nachrichten: "Die Landesregierung will den Rüstungsstandort Kassel weiter stärken", sagte der Ministerpräsident Rhein. Das sind doch heitere Aussichten, dann können die einstigen Kunststudierenden in Zukunft Munition für den Leopard 2 zusammenschrauben. Zehn Schüsse dieser Munition entsprächen ungefähr einer Professur pro Jahr. Was den Rüstungsstandort Kassel betrifft, könnte man jedoch das dumpfe Gefühl bekommen, dass sich die Geschichte, die sich bereits einmal in den Stadtraum Kassels eingebrannt hat, ein weiteres Mal wiederholen könnte. 

Bildung und Kultur sind die Grundlage unseres menschlichen Zusammenseins

Aber das ist eben die Zeitenwende. Es bleibt nur noch zu hoffen, dass der Gewinn der genannten Aktienunternehmen nicht einfach ganz legal in irgendwelche Steueroasen fließt und die hessische Steuerfahndung dann doch dumm da steht. Hier wollen wir alle nochmal kollektiv schreien!

Wer eine friedliche Gesellschaft will, die in die Zukunft ihrer nächsten Generationen investiert, kann nicht Bildung und Kultur streichen. Auch nicht in einer sogenannten "Zeitenwende". Bildung und Kultur sind die Grundlage unseres menschlichen Zusammenseins.

Von der Palliativstation in den Tod: In vielen Berichten wird die Nahtoderfahrung als das größte ekstatische Erlebnis beschrieben. Dass die Berichte existieren, bedeutet, dass die Sterbenden wiederbelebt wurden und ins Leben zurückgefunden haben. Sonst hätten sie ja nicht davon berichten können. Ich hoffe, das gilt auch für unsere wunderschöne, aber schwerkranke Kunsthochschule. Vielleicht ist dieser Rundgang ein ekstatisches Nahtoderlebnis, von dem wir später berichten können. Helfen Sie uns! Geben Sie uns einen Rettungsring und nicht noch die aktive Sterbehilfe!


Update: Zur Rede von Bjørn Melhus nimmt das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur folgendermaßen Stellung: "Dem Ministerium ist bewusst, dass der beschlossene Hochschulpakt 2026-2031 große Anstrengungen von den hessischen Hochschulen erfordert. Die Aussage von Professor Melhus, dass auf die Universität Kassel im nächsten Jahr mit 14 Millionen fast die Hälfte des landesweiten Konsolidierungsbeitrag von 30 Millionen Euro entfiele, ist falsch. Die Uni Kassel wird 2026 einen Konsolidierungsbeitrag von knapp drei Millionen Euro leisten müssen. Unabhängig davon sind angesichts der Kostensteigerungen insbesondere für Personal und Energie weitere Einsparungen vorzunehmen. Vor diesen finanziellen Herausforderungen stehen alle 14 hessischen Hochschulen, auch die eigenständigen drei Kunst- und Musikhochschulen. Die Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung betrifft alle Landeseinrichtungen. Sie würde eine autonome Kunsthochschule somit ebenfalls betreffen."