Kunstmesse Artbo in Bogotá

Regional ist erste Wahl

Die Kunstmesse Artbo in Bogotá setzt auf Nähe statt Größe. Mit ihrem Fokus auf die kolumbianische Szene behauptet sie sich als glaubwürdige Plattform – und strahlt dabei weit über die Region hinaus

Lokal, global – oder am Ende egal? Seit der Pandemie bewegen sich Kunstmessen in diesem Dreieck. Viele ehemals internationale Formate sind geschrumpft, regional geschärfte Profile retten einige vor der Bedeutungslosigkeit. Die Artbo in Bogotá zeigt exemplarisch, wie man es richtig machen kann: Vor 21 Jahren lokal gegründet, während des südamerikanischen Wirtschaftsbooms um 2012 internationalisiert – und inzwischen zurück zu ihren Wurzeln. Beim Betreten des Austragungsortes – dem 2018 eröffneten Kongresszentrum Ágora – hatte man dann vergangene Woche auch sofort das Gefühl, dass einem hier nichts vorgemacht werden soll, dass Organisatoren und Aussteller genau wissen, was ihr Anspruch ist.

Die diesjährige Ausgabe versammelte vom 25. bis 28. September 46 Galerien, davon waren 29 aus Kolumbien, vor allem aus Bogotá selbst, aber auch aus Medellín und Santa Fe. Für alle relevanten Player der Hauptstadt steht außer Frage, dass sie die von der dortigen Handelskammer gegründete und veranstaltete Kunstmesse mit ihrer Teilnahme unterstützen, selbst wenn sie, wie La Cometa, Mor Charpentier oder El Museo, in Nordamerika und Europa Dependancen betreiben.

Die Kunstmesse Artbo in Bogotá
Foto: Courtesy Artbo

Das Kongresszentrum Ágora, Austragungsort der Artbo


León Tovar von der gleichnamigen New Yorker Galerie schwärmt von seiner Heimatstadt Bogotá: die Museen, die Szene, die Künstlerinnen und Künstler – und eben die Messe. "Wir hatten Besuch von Kuratorinnen und Kuratoren vieler großer Museen, von Tate bis Guggenheim." Der eigentlich auf moderne Kunst fokussierte Händler hat im Frühjahr den Raum LT Projects am Fuße des neuen, vom Architekten Richard Rogers und dem kolumbianischen Büro El Equipo Mazzanti entworfenen Atrio-Gebäude in Bogotá eröffnet. Hier zeigt er: lateinamerikanische Gegenwartskunst, natürlich. Genauso wie auf der Messe.

Die Kunstmesse Artbo in Bogotá
Foto: Courtesy Artbo

"Besuch von Kuratoren und Kuratoren vieler großen Museen": Galerist León Tovar (rechts) vor Arbeiten von Luis Hernando Giraldo am Stand seiner Galerie auf der Kunstmesse Artbo in Bogotá


Es wirkt ein bisschen so, als könnten die Kolumbianer und selbst die internationalen Artbo-Besuchenden gar nicht genug bekommen von Kunst aus der Region. Das bestätigt auch César Levy von der 193 Gallery mit Sitz in Paris, Venedig und Saint-Tropez: "Da wir die einzige europäische Galerie sind, genießen wir nicht dieselbe Aufmerksamkeit seitens der Öffentlichkeit wie die kolumbianischen Kollegen." Aber wie schon im letzten Jahr sei das Ergebnis dennoch positiv gewesen. "Wir haben unsere Standkosten innerhalb von zwei Tagen wieder hereingeholt. Außerdem haben wir Museumsdirektoren und Kuratoren getroffen und sind dabei, mehrere Geschäfte zu verhandeln. Auch, wenn die Artbo kein so großer Markt wie Mexiko oder Miami ist, ist sie doch eine interessante Ergänzung, um mit lateinamerikanischen Sammlern in Kontakt zu treten."

Die Zona Maco in Mexiko-Stadt, São Paulos SP-Arte und natürlich die Art Basel / Miami Beach – diese Namen fallen immer wieder, wenn Aussteller oder die Veranstalter selbst die Koordinaten der Artbo bestimmen sollen. Immer mit dem Zusatz, dass man sich nicht mit den großen Volkswirtschaften von Mexiko, Brasilien und schon gar nicht den USA vergleichen kann. Das weiß auch der neue Messedirektor Jaime Martínez, der dafür im Monopol-Interview den kuratierten Fokus und den lokalen Charakter der Messe hervorhebt. "Ich mag die Konzentration auf die Region, das funktioniert im Moment sehr gut." Dennoch wolle er schauen, ob er den Fokus nicht wieder öffnen will.

Der aus Buenos Aires angereiste Sammler und Galerist Mauro Herlitzka von Herlitzka & Co würde das begrüßen: "Die Pandemie hat in Lateinamerika das Gemeinschaftsgefühl zerstört, doch jetzt wachsen wir wieder zusammen." Das liege nicht zuletzt an der strategisch günstigen Lage der Artbo zwischen Zentral- und Südamerika, sagt Liz Caballero von der Sketch Galerie in Bogotá. 

"Artbo-Besuchende bekommen gar nicht genug von Kunst aus der Region": Paz Errázuriz' Fotoserie "Sepur Zarco", die Menschenrechtsverletzungen während des bewaffneten Konflikts in Guatemala (1960–1996) thematisiert
Foto: Courtesy Artbo

"Artbo-Besuchende bekommen gar nicht genug von Kunst aus der Region": Paz Errázuriz' Fotoserie "Sepur Zarco", die Menschenrechtsverletzungen während des bewaffneten Konflikts in Guatemala (1960–1996) thematisiert, hier ausgestellt an der Koje der Galerie Mor Charpentier


Wenn Martínez von einer "kuratierten Messe" spricht, meint er nicht nur die eigens zusammengestellten Sektionen, sondern die in den Details erkennbare Sorgfalt, mit denen die Galerien ihre Werke präsentieren. Besondere Aufmerksamkeit verdienten aber tatsächlich die kuratierten Bereiche, vor allem die von Carla Acevedo-Yates – kürzlich ins künstlerische Team der Documenta in Kassel berufen – verantwortete Sektion "Proyectos". Dabei sind Künstlerinnen wie María Sosa, die im kommenden Jahr Mexiko auf der Venedig-Biennale vertreten wird, und Francisca Rojas aus Chile: Positionen, die mit innovativen Ansätzen zu Identität und Kolonialisierung zeitgenössischen Textilpraktiken verfolgen.

"Wirkung über die Landesgrenzen hinaus"

Überhaupt waren auf der Messe auffällig viele Stoff-, Faden-, Web- und Knotenarbeiten zu sehen. Das weltweite Interesse von Künstlerinnen, Künstlern und Institutionen, an indigenes Wissen und Techniken – wortwörtlich – anzuknüpfen, war auch in Bogotá nicht zu übersehen. Hingegen kaum vertreten: Video- und andere Medienarbeiten. Das muss nicht unbedingt bedeuten, dass die Verhältnisse in unser aller durchdigitalisierten Tech-Welt nicht angesprochen werden: Die erwähnte Francisca Rojas etwa verbindet ihre Neuinterpretation der andischen Knotenschrift Khipu mit binären Computercodes.

Die kuratierten Sektionen eignen sich auch als Artbo-Einstieg für internationale Aussteller, wenn sie eingeladen werden (Standmiete müssen sie dennoch bezahlen). Vergangenes Jahr zeigte die Berliner Galerie Klemm's eine Einzelpräsentation des jung verstorbenen kolumbianischen Künstlers Juan Pablo Echeverri. "Wir haben viel positiven Rücklauf auf diese Präsentation erhalten", erinnert sich Co-Betreiberin Silvia Bonsiepe, "sowohl von Kuratoren als auch Sammlern über Kolumbien hinaus. Denn diese Messe hat eine Wirkkraft über die Landesgrenzen hinaus, und das merkt man durch die vielen Kontakte, die man gemacht hat." Da die Galerie andere Messeverpflichtungen im Herbst hat, war sie diesmal nicht dabei. Silvia Bonsiepe kann sich aber vorstellen, mit Klemm's nach Bogotá zurückzukehren. 

Trotz der anhaltenden Abwertung des kolumbianischen Peso und politischer Spannungen im Land vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im kommenden Jahr, zeigten sich auch diesmal die meisten Händler zufrieden. Die Artbo scheint zu funktionieren. Nur vereinzelt hörte man Zweifel, etwa von Luis Fernando Pradilla von El Museo, der internationales Publikum vermisst und das auf die politische Lage zurückführt. Dabei erinnerten die von ihm an seinem Stand präsentierten Arbeiten des Fotoreporters Jesús Abad Colorado an eine nahe Vergangenheit Kolumbiens, von dem das Land heute glücklicherweise ein gutes Stück entfernt ist: Die Schwarzweiß-Aufnahmen erzählen von Massaker, Flucht und Gräueltaten, aber auch von Resilienz und Widerstand. 

Die Aufnahmen von Jesús Abad Colorado am Stand der Galerie El Museo fokussieren auf die erzwungene Binnenvertreibung in Kolumbien, die Narben des Konflikts und die Verbrechen gegen die Menschlichkeit
Foto: Courtesy Artbo

Die Aufnahmen von Jesús Abad Colorado am Stand der Galerie El Museo fokussieren auf die erzwungene Binnenvertreibung in Kolumbien, die Narben des Konflikts und die Verbrechen gegen die Menschlichkeit


Über 50 Jahre bewaffneter Konflikt haben in der Kunst dieses Landes Spuren hinterlassen, das sah man auch 2025 an vielen Kojen der Kunstmesse, das sieht man auch an den Ausstellungen in den Museen der Stadt oder auf der parallel laufenden Kunstbiennale. Der Friedensvertrag liegt schließlich noch nicht einmal eine Dekade zurück. Die kolumbianische Kunstwelt hat sich offenbar dafür entschieden, die Vergangenheit nicht zu vergessen – und doch optimistisch nach vorn zu schauen. Die traditionsreiche Artbo ist dabei auch Selbstvergewisserung, das spürt man wie selten auf einer Kunstmesse.