Kurzfilmtage Oberhausen

Nur kurz mal schauen …

Dietrich Brüggemann "Kann und muss man jetzt Filme machen?" im Rahmen der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen, 2020, Screenshot
Film: Dietrich Brüggemann (2020), Screenshot

Filmemacher und Filmemacherinnen waren zu Beiträgen eingeladen, deren Erstellung eine Stunde nicht übersteigen durfte.

Die Internationalen Kurzfilmtage in Oberhausen wollen ihrem Publikum durch die Krise verhelfen. In einer eigenen Video-Serie fragen sich mehrere Künstler: "Kann und muss man jetzt Filme machen?"

"Bist du auch ans Haus gebunden?", erscheint als Frage auf dem Bildschirm. "Sechs Monate. Du?", lautet die Gegenfrage der flackernden Pixel. "13 Monate und kein Ende in Sicht", tippt schließlich die als Profilerin tätige Helen Hudson (gespielt von Schauspielerin Sigourney Weaver) als Antwort in den Computer.

Eine Szene, die sich ähnlich auch hätte abspielen können, wenn die Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus deutlich drastischer ausgefallen wären. Zitiert wird diese Szene aus dem 90er-Jahre US-Thriller "Copykill" (im Original: "Copycat") durch den Frankfurter Künstler Jens Pecho im Zusammenhang mit der Frage: "Kann und muss man jetzt Filme machen?"

Ebendiese Frage stellten die Internationalen Kurzfilmtage in Oberhausen mehreren Filmemachern und Künstlern und kurzerhand resultierte daraus eine gleichnamige Serie. Für die Beantwortung der Frage "Kann und muss man jetzt Filme machen?" wurden die Künstlerinnen und Künstler aufgerufen, kurze Videos einzureichen. "Die Produktion wurde zum in Deutschland üblichen Tarif einer psychotherapeutischen Sitzung honoriert", erklärt Lars Henrik Gass, Festivaldirektor der Internationalen Kurzfilmtage. "Die Produktion durfte daher nicht aufwendiger als eine Stunde sein."

Auf dem Blog des niederrheinischen Kurzfilmfestivals finden sich zwischen diversen Serien und Einträgen die kinematographischen Antworten der Beteiligten. Neben dem eingangs genannten Jens Pecho haben sich u.a. auch Jovana Reisinger, Dietrich Brüggemann, Kristina Kilian, Franz Müller und Judith Hopf auf die Suche nach dem Sinn filmischer Produktion in der gegenwärtigen Krise begeben. Ihre Antworten sind so verschieden wie auch gleich.

Weil Filme machen mit Angst zu tun hat

Da ist zum Beispiel das filmische Essay von Kerstin Honeit, in dem sie Straßenbotschaften und Bilder des Alltags – beispielsweise gestapeltes Toilettenpapier in Einzelhandelsumgebung – mit Worttafeln kommentiert. Alles andere als unterschwellig setzt sie Banalitäten in Beziehung zu existenziellen Fragen und spricht sich eindeutig für das Filmemachen in Krisenzeiten aus: "Weil Filme machen, wie Toilettenpapier horden, mit Angst zu tun hat."

Andreas Reihse und Zaza Rusadze gehen der Frage verhältnismäßig sachlich auf den Grund. In einer Montage aus gegenseitigen Interview-Sequenzen dokumentieren sie ihre derzeitige Gefühlslage, die Wahrnehmung von Wahrheit und Nachrichten und den Entwicklungsprozess ihres Musikvideos "Eurydike", mit dem sie im Rahmen des diesjährigen Kurzfilmfestivals auch den MuVi-Preis gewinnen wollen. Aus der surrealen Zoom-Konferenz wird ein Videotagebuch, das an sein Publikum appelliert.

Korpys und Löffler wiederum inszenieren einen Jungen im Prinzessinnenkleid, der inmitten einer trostlos anmutenden Landschaft einen dachantennenähnlichen Stock hält, während im Off das Zappen durch Fernsehsender simuliert wird. Übertönt wird das TV-Stimmengewirr durch die chorischen Wiederholungen des Jungen und eines weiteren Kindes und plötzlich findet man sich wieder in einer visualisierten Mischung irgendwo zwischen Joseph Beuys' Tonspur "Ja ja ja, ne ne ne" und Ray Charles‘ "Hit the road Jack".  Was sich scheinbar jeglicher Sinnzuschreibung entsagt, verlautet im Kern doch dieselbe Antwort wie die zuvor genannten Beispiele: Ja, ja und natürlich ja, kann und muss man jetzt Filme machen.

Volles Programm für nur 9,99

Gemein ist diesen Einreichungen für die Internationalen Kurzfilmtage nicht nur das Medium, innerhalb dessen sie die Eingangsfrage erörtern. Sie ähneln sich vor allem darin, dass sie mit ihren filmischen Ausführungen die Antwort vorwegnehmen: Jedem Ansatz dieser Videos – so sinnverweigernd oder -stiftend sie auch sein mögen – ist ein Momentum des Erschaffens immanent.

Die 66. Ausgabe des Traditionsfestivals startet wie geplant an diesem Mittwoch – pandemiebedingt allerdings nur online. Immerhin werden an den sechs Festivaltagen trotzdem mehr als 350 Filme gezeigt und damit zwei Drittel des ursprünglich geplanten Volumens. Die Eröffnung am Abend wurde vorab aufgezeichnet. Sie wird ab 19.30 Uhr gestreamt.

Die gezeigten Filme kommen aus knapp 70 Ländern. Sie sind in 64 Programmen gebündelt, die jeweils 48 Stunden lang zu sehen sind. Im Kinder- und Jugendkino gibt es dabei Angebote für sieben Altersstufen. Ein Online-Festivalpass für einen Zugang zu allen Filmen und Online-Veranstaltungen kostet 9,99 Euro. An den fünf Wettbewerben nehmen insgesamt 152 Arbeiten teil. Am letzten Festivaltag, dem 18. Mai, werden die Preisgelder in Höhe von knapp 42 000 Euro verliehen.

Online Festival 1.0

Es sei ein "ganz neues Festivalformat" entwickelt worden, sagte Lars Henrik Gass. "Wir sind auf dem Weg zu einem Filmfestival, das nicht mehr auf Ort und Zeit beschränkt ist. Das ist neu, und es ist unumkehrbar. Und vor allem eröffnet es die Möglichkeit, durch eine neuartige Struktur ein Publikum zu erreichen, das wir vor Ort in Oberhausen niemals hätten erreichen können." Ursprünglich waren rund 1000 Besucher erwartet worden.

Neben den Wettbewerben werden drei Werkschauen von Susannah Gent (Großbritannien), Philbert Aimé Mbabazi Sharangabo (Ruanda/Schweiz) und Maya Schweizer (Deutschland) gezeigt. Archive aus Polen und Russland stellen ihre Sammlungen vor, das Festival zeigt außerdem neuere Kurzfilme aus Portugal. Hinzu kommen aufgezeichnete Gespräche mit Filmemachern in den Wettbewerben, Live-Gespräche zu weiteren Programmen, sechs DJ-Sets sowie Online-Fachveranstaltungen.