Lars Eidinger

"Ich bin Künstler"

Frauen lieben ihn, Männer nervt er: Lars Eidinger ist nicht nur als Schauspieler erfolgreich, sondern auch ein High-Performer auf Instagram. Jetzt eröffnet der 43-Jährige seine erste Einzelausstellung. Ein Treffen vorab

Es ist ja immer noch so, auch nach über acht Jahren Instagram: Sobald ein sehr berühmter Mensch etwas über das soziale Netzwerk sagt, ist das ein großes Ding, das als Meldung groß aufgemacht werden muss. Jetzt hat Madonna sich geäußert. Madonna sagt, Instagram sei dafür gemacht, dass wir uns schlecht fühlen. Man würde sich ständig mit anderen vergleichen, sei auf Bestätigung aus und denke nur noch darüber nach, was einen beliebter oder erfolgreicher macht. Madonna jedenfalls ist froh darüber, dass sie auch schon vor dem Smartphone und Instagram und den sozialen Medien ein Leben als Künstlerin hatte, weil sie so Zeit gehabt habe, sich als Künstlerin und Mensch zu entwickeln, ohne permanent das Gefühl zu haben, von anderen verurteilt zu werden oder sich mit anderen vergleichen zu müssen. Madonna, I feel you.

Ein anderer berühmter Mensch, Virgil Abloh, der Men’s Artistic Director bei Louis Vuitton vergibt schon mal einen Job, wenn der Bewerber einen guten Instagram-Account hat. Soziale Medien können Türen öffnen. Lars Eidinger, der deutsche Schauspieler, sieht es ähnlich. Instagram hat ihm die Tür zur Kunstwelt aufgestoßen, in ein paar Tagen eröffnet seine erste institutionelle Einzelausstellung im Neuen Aachener Kunstverein.

Wir treffen uns auf eine Cola, eine Cola light und eine große Flasche Wasser in der Paris Bar. Lars Eidinger kommt auf einem Fahrrad angefahren, im Juergen Teller Look minus bunte Socken und noch buntere Sneakers. Stattdessen trägt er zur kurzen Hose Crocs. Den Ort hat er ausgewählt. In der Paris Bar hat er einst die Mutter von Juergen Teller interviewt, auf dessen Wunsch hin. Für welches Magazin, das weiß er nicht mehr. Ich auch nicht. Aber gut war es, sagt er. "Monopol" liest er nur bei seinem Zahnarzt, gibt er zu. Das beruhigt mich ein bisschen, weil ich fürchte, irgendwann während des Gesprächs erwähnen zu müssen, dass ich keinen seiner Filme gesehen habe. Nicht einmal beim Zahnarzt.

Ich bin tatsächlich über Instagram auf Lars Eidinger gekommen. Und das auch noch über einen Umweg. Der Fotograf Benjakon, den ich sehr gut finde, hat oft Fotos gepostet, die er von ihm gemacht hat. Irgendwann folgte auch ich ihm.

Er wiederum kam zu Instagram, weil das "ZEITmagazin" ihn vor ein paar Jahren gebeten hatte, für eine Woche den Account zu bespielen. Eigentlich hatte er vor, die Follower mit hinter die Kulissen der Berlinale zu nehmen, er war Teil der Jury unter Vorsitz von Meryl Streep. Das, so erfuhr er einen Tag vorher, war nicht erlaubt. Also hat er Fotos von sich selbst gepostet, was zu Hasskommentaren und der Frage führte: "Kannst Du auch mal was anderes posten als Dein scheiß Gesicht?" Er dachte sich: Das will ich nicht. Und ist Instagram schnell wieder losgeworden.

Lars Eidinger ist Schauspieler, ein sehr erfolgreicher noch dazu. Es vergeht gefühlt kein Tag, an dem er nicht auf Instagram en passant mitteilt, dass ein neuer Film mit ihm in die Kinos kommt oder im TV läuft. Auch deshalb hat er sich schließlich doch für Instagram entschieden, dort kann er nämlich beeinflussen, wie er von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden will. Für manch einen ist er vielleicht auch einfach nur ein wahnsinnig nach noch mehr Aufmerksamkeit gierender Schauspieler, der wie er selbst oft in Interviews sagt, geliebt werden möchte. Eine kleine Umfrage in meinem Freundes- und Bekanntenkreis hat ergeben: Die Frauen lieben ihn, die Männer nervt er. Einer hält am Telefon 15 Minuten lang einen Monolog, warum er so genervt ist von ihm. Ich kann nicht ganz folgen, verstehe aber am Ende, dass er in Betracht zieht, neidisch zu sein.

Lars Eidinger ist einer der absoluten High-Performer auf Instagram. Auf ihn trifft zu, was Brad Troemel im Jahr 2013 über Künstler in Zeiten sozialer Medien geschrieben hat. Der fragte sich damals: "Wenn ein Posting auf Tumblr keine Likes bekommt, ist es Kunst?" Ersetze Tumblr durch Instagram und wir sind im Jahr 2019. Troemel prägte den Begriff des "Aesthlete“, also eine Mischung aus Athlet und Ästhet. Seine Definition: ein Kulturproduzent, der handwerkliches und kontemplatives Grübeln mit Unmittelbarkeit und schneller Produktion übertrumpft. Der Künstler soll allgegenwärtig sein, soll immer oben im Newsfeed sein, soll schnell sein. Und wenn mal die Belohnung in Form von Likes ausbleibt, macht nichts, der Künstler ist noch da, wissen jetzt zumindest die Follower. 

Beruflich ist Eidinger viel unterwegs und wenn er woanders ist, läuft er ziellos umher und teilt sofort, was er sieht. Das macht ihn so gut und interessant und seine Dauerpräsenz leicht erträglich: Perfekte Fotos vom perfekten Leben gibt es bei ihm nicht. Dafür Menschen und Dinge, die so gar nicht in die perfekte Welt der sozialen Medien passen wollen. Eidinger filmt und fotografiert beispielsweise Menschen, die sich für einen Moment ausgeklinkt zu haben scheinen, sei es schlafend, tanzend oder vor sich hinstarrend. Jetzt kann man natürlich einwenden, die These ist steil: Lars Eidinger macht Kunst, nur weil er Videos und Fotos in einem sozialen Netzwerk teilt. Instagram-Kunst, wie gern gesagt wird, wenn jemand durch die Hintertür in die Kunstwelt hineinschlüpft. Mittlerweile hat Eidinger mit Nils Müller und Ruttkowski;68 einen Galeristen und eine Galerie, er war mit Videos bei Gruppenausstellungen in Berlin und Paris vertreten, die Einzelausstellung ist der logische nächste Schritt.

In seinem Blog "Post Internet. Notes on the Internet and Art", aus dem Gene MgHugh im Jahr 2011 ein Buch machte, schrieb er in Anlehnung an den Künstler Kevin Bewersdorf: "(...) die Qualität der Kunst im Internet wird nicht an einzelnen Beiträgen gemessen, sondern an der Leistung der Künstler im Laufe der Zeit durch ihr Brand Management. Bei Facebook wird ein Nutzer nicht nach einem Statusupdate, sondern nach seinem Stil und seiner Aktualisierungsgeschwindigkeit beurteilt. Gleiches gilt für Post-Internet-Künstler." Kunst hat in Zeiten sozialer Medien nicht mehr so viel mit Kunstobjekten zu tun, sondern viel mehr mit der Marke, die ein Künstler aufbaut. Hier hat Lars Eidinger natürlich einen klaren Startvorteil, weil er schon als Schauspieler bekannt ist. Deshalb will ich von ihm wissen, was da mit ihm und der Kunst los ist und.

Was ist Kunst für Sie, Herr Eidinger?
Kunst ist für mich ein Synonym für Leben geworden. Es ist eine Form, wie man das Leben sieht oder wie man es darstellen will. Eine Form von Ausdruck. Ich glaube nicht, dass Kunst elitär sein sollte. Leute sagen, der Lars Eidinger, der macht jetzt Kunst … Es ist egal, was ich mache. Wenn ich Platten auflege, sagen die Leute, der soll mal bei dem bleiben, was er kann. Woher wissen denn die Leute, was ich kann? Ich klinge so halb verbittert. Das bin ich aber ja gar nicht. Ein Schauspieler ist doch ein Künstler. Überraschender wäre, wenn ich auf dem Bau arbeiten würde zusätzlich. Oder als Friseur.

Seit wann machen Sie denn Kunst?
Ich bin schon immer Künstler. Ich hatte nur keine Möglichkeit, meine Kunst zu zeigen. Ich habe mich schon immer gefragt: Wie komme ich denn da ran? Wie schaffe ich es, dass sich jemand meine Fotos in einer Galerie anschaut? Wen spreche ich an? Jetzt gibt es Instagram und die sozialen Medien, wo ich ohne Galerie und ohne Verlag meine Kunst zeigen kann. Davon habe ich immer geträumt.

Es war also immer Ihr Ziel, Kunst in einer Ausstellung zu zeigen?
Ich habe neulich Fotos gefunden, die ich mit sechs Jahren gemacht habe. Es gibt eine Reihe, da habe ich meinen Hamster fotografiert. Ich wollte mein Leben lang Künstler sein, dann bin ich Schauspieler geworden. Wie lange es gedauert hat, bis ich mich getraut habe, meinen Freunden zu sagen, dass ich Schauspieler werden will. Ich hatte immer Angst, ausgelacht zu werden. Ich will Pop-Star werden. Ich will berühmt werden. Das habe ich mich nicht getraut zu sagen. Es kostet mich immer noch Überwindung. Wenn ich bei meiner Tochter auf dem Elternabend bin, stellen sich die Eltern der Reihe nach vor. Da zittere ich. Da bin ich aufgeregt. Ich bin Lars Eidinger, ich bin Schauspieler. Das finde ich ganz unangenehm.

Kennen die Sie denn nicht?
Ja, manche kennen mich schon. Mir ist das sehr suspekt. Es kostet mich Überwindung.

Sie sind ja nicht erfolglos. Ein Problem wäre es, wenn Sie keinen Erfolg hätten, oder?
Ja, vielleicht. Ich weiß nicht, woran das liegt. Der Beruf ist viel mehr als alle anderen Berufe eine Behauptung. Ich kann ja nichts vorweisen. Es gibt keine Kriterien, was ein guter und was ein schlechter Schauspieler ist. Daher kommt ja die Idee zu sagen: Ich bin der beste Schauspieler der Welt. Ich habe durchschaut, dass das im Auge des Betrachters liegt. Seit einem halben Jahr traue ich mich zu sagen: Ich bin Künstler.

Das sagen Sie jetzt so? Guten Tag, Lars Eidinger, Schauspieler und Künstler?
Ja. Und ich merke ja, wie die Leute darauf reagieren. Die finden das komisch. Ich bin Schauspieler und Künstler und als DJ unterwegs. Das schreiben tatsächlich die Medien: Er ist auch als DJ unterwegs.

War nicht letztlich irgendwo zu lesen "Hobby-DJ Lars Eidinger"?
Ja, das war gut. Er hat sein Hobby zum Beruf gemacht. Hobby-DJ, das ist despektierlich. Nicht dass ich mich darüber aufrege, aber es stimmt einfach nicht. Es ist de facto nicht wahr.

Und jetzt werden Sie dann Hobby-DJ und Instagram-Künstler genannt.
Wie gesagt, das sagt mehr über die Leute aus als über mich. Ich bin weder Hobby-DJ noch Instagram-Künstler.

Was zeigen Sie in Ihrer Ausstellung?
Instagram-Kunst und danach lege ich als Hobby-DJ auf.

In der Ausstellung werden Fotos, Videos und eine Skulptur zu sehen sein.
Den größten Teil der Ausstellung machen Videos aus. Viele der Videos sind entstanden, als ich noch gar nicht bei Instagram war. Es sind fünfminütige Videos von Situationen, die ich gesehen habe. Ich habe mich dazugestellt und fünf Minuten die Kamera darauf gerichtet, meist ohne Schwenk. Die Dauer von fünf Minuten ist ein wichtiger Faktor. In sich haben die Videos eine stimmige Dramaturgie. Sie sind ungestaltet, nicht inszeniert und erlangen trotzdem einen Grad an Perfektion. Irgendwann fand ich das zu dogmatisch.

Was ist für Sie ein gutes Video?
Ich kann zu jedem Video, das ich gemacht habe, eine ausführliche Geschichte erzählen. Und ich kann sagen, was ich daran wertvoll, reizvoll oder interessant finde. Und warum ich das gemacht habe. Und warum ich daran festhalte. Macht man das eigentlich als Künstler, dass man sein Werk erklärt?

Ich glaube schon.
Das klingt sehr überzeugend. (lacht) Ich habe eine Faszination für den Zusammenhang zwischen Kunst und Kommerz. Deshalb steht vor diesem verhangenen Objekt dieses kleine Körbchen, in das man Geld hineinschmeißen kann. Die kommerzielle Verwertbarkeit interessiert mich.

In Ihren Bildern und Videos geht es oft um Menschen, die sich in der Öffentlichkeit allein in seltsamen Situationen befinden.
Wenn ich ein Bild von einem Menschen poste, der schläft oder in einem Einkaufswagen sitzt, dann identifiziere ich mich mit diesem Menschen. Ich führe sie nicht vor. Ich sehe mich in diesen Bildern selbst. Jemand, der in einem Einkaufswagen sitzt, ist ein Sinnbild für den Kapitalismus, für eine pervertierte Form von Konsum.

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Autistic Disco, Berlin-Charlottenburg 2019

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Diese Situationen fassen Sie unter dem Begriff Autismus zusammen. Der Titel Ihrer Ausstellung lautet "Autistic Disco".
Ich beziehe mich nicht auf das Krankheitsbild, sondern: Autismus ist für mich die Beschreibung eines gesellschaftlichen Phänomens, einer gesellschaftlichen Inkompetenz. Ich sehe das in meinen Bildern und in den Menschen, die ich zeige. Ich mache mich nicht über die Menschen lustig, ich erhebe mich nicht.

In einem Interview haben Sie einst Influencer gebasht.
Soll ich jetzt nochmal?

Hat sich mittlerweile Ihre Haltung geändert?
Ich falle ja selbst unter die Definition von Influencer. Ich gelte als jemand, der Leute beeinflusst, wenn er etwas postet. Das heißt aber nicht, dass man dem nachgehen muss. Ich finde es nicht gut, dass sich Menschen in den Dienst von großen Unternehmen stellen. Dass sie nicht einmal schauen, wofür Unternehmen wie Nike oder Nestlé stehen, das finde ich verwerflich. Ich bin ja auch schon auf Chanel-Shows gestanden oder bei Prada. Da habe ich kein Hashtag platziert. Das ist meine Grenze. Und ich schreibe nicht: Thanks for having me. Oder: Thanx a million

Sie sind also Schauspieler, Künstler und Influencer?
Künstler wie Money Boy sind faszinierend, weil sie schwer greifbar sind. Wie meint er das? Er äußert sich nicht. Das macht ihn attraktiv. Das ist auch ein Punkt, den ich versuche auszureizen. Das monochrome Blau von Yves Klein ist für mich das wichtigste Kunstwerk. Ich möchte dieses monochrome Blau sein. Daran kann man alles ablesen, was mir wichtig ist: Es gibt eine unmittelbare Beziehung zum Gegenüber. Ich kann vorbeilaufen. Blaues Bild, habe ich verstanden. An mir kann man auch vorbeilaufen und sagen, habe ich verstanden: Instagram-Künstler, Ugly Instagram – und was war die dritte Kategorie? Influencer.

Und Hobby-DJ.
Genau. Oder man bleibt stehen und guckt genauer hin und versucht zu verstehen, was dahinter steckt. Das Kategorisieren im Sinne von Linien und Grenzen findet im Bild nicht statt. Menschen fürchten sich vor Schubladen, weil sie sich eingeengt fühlen. Ich möchte nicht eingeengt sein. Ich möchte nicht als Schauspieler gelten, ich möchte Künstler sein. Das erlaubt mir, in alle Richtungen zu gehen, ohne das jemand sagt: Warum macht der Schauspieler eine Kunstausstellung?

Das führt aber auch dazu, dass Sie immerzu arbeiten.
Ich glaube, es ist ein Irrtum zu denken, dass sich in einer Pause oder beim Nichtstun Entspannung einstellt. Ich bin am Entspanntesten beim Schaffen. Ich trinke sehr viel Kaffee. Vielleicht ist das mein Geheimnis. Ich kann aber auch gut zwischendurch schlafen.

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Jetzt muss er schnell los. Er hat nämlich noch einen Termin und dann noch einen und am nächsten Tag muss er nach Köln. Wir verlassen zusammen die Paris Bar, unterhalten uns noch einmal kurz über seine Crocs, während er sein Fahrrad neben mir herschiebt und ich ein Video für Instagram mache. Ich sage wieder, dass mich die Schuhe etwas zu sehr an die bunten Crocs meines Vaters erinnern, die er gern bei der Gartenarbeit trägt. Bunte Sneakers gehen natürlich nicht, die trägt ja schon Juergen Teller als Markenzeichen zur sehr kurzen Hose.