Geister-Serie von Lars von Trier

Der Spuk ist nicht vorbei

Bei Krankenhausserien denkt man schnell an deutsches Vorabend-TV. Der dänische Regisseur Lars von Trier holt mit seinem Projekt "Riget" jedoch den Horror in die Klinik. Die neue dritte Staffel, die beim Filmfest Venedig vorgestellt wurde, ist so bizarr wie unterhaltsam

Der Notfallpatient habe "Hochgradige Aortenklappen-Insuffizienz. Endiokarditis", zischt der Doktor, und: "Die Herzklappe versagt, er braucht dringend eine künstliche Herzklappe!" Die wird auch sekundenschnell geliefert, in der neuen Folge der ARD-Serie "In aller Freundschaft", an deren Ende noch ein Wachkomapatient nach jahrelangem Dahindämmern die Augen aufschlägt. Dass es in der fiktiven Sachsenklinik weder überfordertes Arzt- noch Pflegepersonal gibt, braucht man kaum zu erwähnen.

Und Wunder, klar, die gibt es hier immer wieder, was mit anderen Vorzeichen auch für das Reichshospital bei "Riget: Exodus" gilt. Nur: DIESE Wunder möchte man ausschließlich auf dem Bildschirm erleben – das allerdings tut man mit Genuss. Auf der Mostra von Venedig feierte die dritte Staffel der Serie von Lars von Trier Premiere. Der dänische Regisseur begrüßte das Festivalpublikum per Videobotschaft. Mit der spooky Arztseifenoper hat er einen langen Atem bewiesen. Die ersten Staffeln stammen aus den 1990ern, 1995 lief die Serie unter dem Titel "Hospital der Geister" bei Arte erstmals im deutschen Fernsehen.

Von einer Fortsetzung kann man beim dritten Anlauf des "Riget"-Projekts ("Das Reich") gar nicht so richtig sprechen. Vielleicht von einer Art Wiederholungszwang mit unterhaltsamen Folgen. Bestimmte Standards der alten Staffeln überträgt von Trier einfach auf die neue, die wieder in einem Kopenhagener Hospitalkomplex spielen. Neue Figuren treten in die Fußstapfen der alten, vom Neurochirurgen Helmer jr. (Mikael Persbrandt) aus Stockholm (Zerrbild des neuerlichen Schweden-Bashings in der Serie) bis hin zur übersinnlich begabten greisen Patientin, die diesmal Karen heißt.

Die guten gegen die bösen Geister

Dass der Plot ohnehin zu vernachlässigen ist, zeigt auch der Anfang auf der Metaebene. Schlafwandlerin Karen (Bodil Jørgensen), die sich selbst ans heimische Bett zu fesseln pflegt, guckt sich die alte Serie auf DVD an und regt sich über das offene Ende auf, das die alte Dame nicht zufrieden stellt. Ein von magischen Kräften herbeigerufenes Taxi bringt Karen dann zur Klinik, wo sie fünf Folgen lang mit den guten gegen die bösen Geister kämpfen wird.

Denn das Reichskrankenhaus wurde auf dem Boden eines Moors erbaut. Die grausige Vergangenheit ist nicht passé, sondern wuchert parallel zum modernen Klinikbetrieb weiter. Die in der Sachsenklinik und in anderen Soaps üblichen OP- und Behandlungsszenen spart sich von Trier weitestgehend, um sich an privaten Marotten (und Abgründen) der Ärzteschaft zu weiden.

Chefarzt Pontoppidan (Lars Mikkelsen) legt seinen Kopf beim Nickerchen gerne auf eine Tüte gefrorener Erbsen. Mediziner liefern sich Saufduelle, bis kein Arzt mehr zu Bewusstsein kommt. Der schwedische Spezialist Helmer erweist sich als Neonazi, der im Hospital ein skurriles "Unternehmen Barbarossa" durchführen will. Hippokratischer Eid? Irgendwas mit Nilpferd? Chaos regiert!

Medizin und Ratio versagen

Nur wenige behalten den Durchblick, und die sind keine Ärzte: Ein Küchenjunge mit Downsyndrom und ein (notorisch Teller zerschmeißender) Roboterarm mit Frauenstimme kommentieren das spirituelle Geschehen. Luzifer himself (Willem Dafoe) zieht die Fäden. "Lillebror" (Udo Kier), der zu einem riesenköpfigen "Big Brother" gewachsen ist, weint sich im Sumpf so lange die Augen aus, bis er in der eigenen Tränenflut ertrinkt. Unverdrossen reist Karen zwischen den Welten hin und her, um dem Dauerspuk endlich ein Ende zu bereiten. Schließlich setzt von Trier alles auf eine Landkarte vom Moorgebiet, bei der es entscheidend ist, dass man sie richtig herum hält.

Verstehen muss man das bizarre Konstrukt "Riget: Exodus" natürlich nicht. Die Dramaturgie ist trotzdem luzide und packend, der Humor schwarz wie Automatenkaffee, die surreale Poesie mitunter überwältigend. In dieser großartigen Serie versagen Medizin und Ratio. Und die Spiritistin kann am Ende auch nicht wirklich helfen. Der Spuk wird wieder nicht vorbei sein. Eins zu eins im manichäischen Match. Immerhin: Spiel, Satz und Sieg für Lars von Trier!