Der Kölner Galerist Thomas Zander ist bekannt für seine museal wirkenden Ausstellungen, oft von großen US-amerikanischen Fotografen wie Robert Frank, Joel Sternfeld, Mitch Epstein, Robert Adams, Helen Levitt oder Lee Friedlander. Aktuell zeigt er eine beeindruckende Präsentation von Lewis Baltz: Die 51-teilige Serie "The New Industrial Parks near Irvine, California" aus dem Jahr 1974 ist die wohl wichtigste und einflussreichste Arbeit des 2014 verstorbenen Künstlers; und in ihrer Vollständigkeit ohnehin nur selten zu sehen.
In dem Konvolut untersucht Baltz die Ökonomie einer bebauten Umwelt am Beispiel des titelgebenden Gewerbegebiets in der kalifornischen Stadt südöstlich von Los Angeles. Der US-Bundesstaat gehörte zu jener Zeit ohnehin zu einem der am schnellsten urbanisierten Gebiete der Welt, und so war nicht nur das abgebildete Viertel, sondern das gesamte Irvine zu dem Zeitpunkt nur wenige Jahre alt.
Anfang der 1960er-Jahre verkauften die Besitzer der Irvine Ranch ihr Land an die Irvine Company, die mit der Planung einer kompletten Stadt einschließlich Universität beauftragt wurde. 1971 bekam der Ort die Stadtrechte verliehen und wuchs weiter stark an.
Ein neuer Landschaftsbegriff
Baltz’ Fotos zeigen nagelneue Hallen, Bürogebäude, Parkplätze, Schriftzüge, Fassaden und Sträucher auf einem charakterlosen Gelände. Die leeren Fassaden geben keinerlei Hinweis darauf, was hinter ihnen stattfindet. Doch im Vergleich zu Objektivitätsmeistern wie Bernd und Hilla Becher ist in den Aufnahmen auch eine klare Handschrift und ein großes Interesse an Formen und Strukturen, an grafischen Elementen und Minimalismus, aber auch an sozioökonomischen Zusammenhängen und einer generischen Architektur und Stadtplanung abzulesen.
Nicht von ungefähr wählte Kurator William Jenkins die Serie 1975 für seine legendäre Gruppenausstellung "New Topographics: Photographs of a Man-altered Landscape" aus (an der auch Bernd und Hilla Becher teilnahmen). Darin ging es ihm um einen neuen Landschaftsbegriff in einer Zeit, in der immer mehr Natur vernichtet und gewachsene Strukturen durch Zweckbauten und sich ausbreitenden Kapitalismus verunstaltet wurden.
Überraschenderweise fotografiert Lewis Baltz mit einer Leica-Kleinbildkamera. Überraschend deshalb, weil gerade auch zu jener Zeit Mittel- und Großformatfotografie für solche statischen Motive der Standard waren. Doch Baltz wollte sich nicht mit zu viel Technik und Ausrüstung auseinandersetzen und nutzte lieber die leichte Leica mit einem 35-mm-Objektiv und zusätzlich einen extrem niedrig empfindlichen Schwarz-Weiß-Film, um den Qualitätsverlust durch das kleinere Negativ auszugleichen.
Fotografie galt noch nicht als Kunst
Diese Vorgehensweise verrät viel über seine grundsätzliche Denkweise: Baltz war in erster Linie Künstler, nicht Fotograf. Dass er das Medium dennoch nutzte, lag daran, dass es damals nicht nur die einfachste, sondern auch die unprätentiöseste Art war, mit Bildern zu arbeiten, wie er selbst einmal in einem Interview erklärte. In den 1960er- und 70er-Jahren galt Fotografie einem breiten Publikum noch nicht als Kunst und war gerade deshalb für viele Kreative so interessant.
"Damals herrschte eine deutliche Apartheid zwischen der Fotografie und den übrigen Künsten. Das bedeutete aber auch, dass viele Leute, die zu Bürgern zweiter Klasse gemacht wurden, diese Unterbewertung genossen, weil sie in einem sehr kleinen Bereich sehr wichtige Akteure sein konnten", blickte Baltz in einem Interview mit dem Kurator und Autor David Campany zurück. An vielen Stellen war Baltz damit zu früh, um rezipiert zu werden, und er wird in der Fotografie-Welt bis heute ähnlich oft ignoriert wie beispielsweise sein kalifornischer Kollege Ed Ruscha.
Dessen heute legendäre Fotobücher wie "26 Gasoline Stations", "Some Los Angeles Apartments" und "34 Parking Lots" hatten einen großen Einfluss auf Baltz. Denn "sie hatten nichts von der Anmaßung der Kunstfotografie, wie sie damals in Mode war", erklärte Baltz Anfang der 1990er-Jahre: "Sie waren witzig, ironisch und voller Informationen. Es war eine wirklich genaue Dokumentation."
Das scheinbar Banale in den Architekturen am Straßenrand
Diese Inspiration kann man auch in der Werkgruppe "The Prototype Works" ablesen, aus der ebenfalls ein Dutzend in der Galerie Thomas Zander gezeigt wird und die als Vorbereitung zu "The New Industrial Parks near Irvine, California" gesehen werden kann. Bereits ab 1967 konzentrierte sich Baltz mit diesen Fotografien auf das scheinbar Banale in den Architekturen am Straßenrand, allerdings bereits hier schon mit einem enormen Gespür für Flächen und Strukturen, minimalistische Kompositionen und formale Strenge: Zugemauerte Fenster und rissiger Verputz, leere Parkplätze und Wellblechreste, schicke Straßenkreuzer vor trostlosen Fassaden.
Baltz wirkt wie ein Dokumentarist und ist doch ein Kommentator. Er zeigt uns das Hässliche und Seelenlose und schafft es, dieses zu etwas Malerischem und Erhabenen zu machen.