"On:Off"-Kolumne

Liebe mit Technik

 Auch der Maskottchen-Roboter Miraitowa hat bei den Olympischen Spielen 2020 in Tokio Liebe zu verschenken
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Auf Kuschelkurs: Auch der Maskottchen-Roboter Miraitowa hat bei den Olympischen Spielen 2020 in Tokio Liebe zu verschenken

Ein Besuch in Japan, wo die Menschen sich wenig berühren, aber von Robotern streicheln lassen

Die Entwicklung von Technik birgt oft das Heilsversprechen, die Welt zu einer besseren zu machen. Im Silicon Valley wird derzeit eifrig geforscht, das Leben von Menschen dank CRISPR und anderen Gentechnologien auf mehrere hundert Jahre zu verlängern. Jeff Bezos und Elon Musk wollen schon länger ins All, um dort nach einem neuen Zuhause und auszubeutenden Ressourcen zu suchen, bevor die Erde vollends vor die Hunde geht. Dass das passiert, davon gehen jene vermeintlichen Pionieren schon längst aus. Aber was macht man, wenn man 400 Jahre alt wird und auf dem unwirtlichen Mars Milliarden Dollar zu verprassen hat? Aber dazu ein andermal mehr.

In Japan ist Technik ebenfalls seit jeher Motor der Wirtschaft und kommt immer häufiger im eigenen Land zum Einsatz, wenn Menschen fehlen, beispielsweise bei Pflege oder Service. Man kennt die humanoiden Roboter, die in Restaurants servieren, aber auch beim Tragen und Füttern von Kranken und Alten aushelfen sollen. Denn Japan ist ein Land, dessen Hals der demografischen Kopfstandpyramide immer schmaler und fragiler wird. Gerade Kleinstädte und Dörfer dünnen immer mehr aus. Die Unruhe über eine ungewisse Zukunft ist in jenen Orten förmlich zu spüren.

Neulich war ich in Japan. Die Menschen dort gelten gemeinhin als höflich, förmlich, aber auch recht distanziert. Es fällt auf, dass sie  untereinander so gut wie nie Körperkontakt austauschen. Das mag in der überfüllten Tokioter U-Bahn erstmal begrüßenswert sein. Aber weder unter Geschäftspartnern, unter Kollegen, noch Freunden tauscht man sonderlich viel Körperlichkeiten aus. Kein Händeschütteln, kein Schulterklopfen, keine liebevollen Umarmungen. Selbst beim Daten soll es teils Wochen dauern, bis ein Paar anfängt, Händchen zu halten, erklärte mir eine Japanerin, bis zum ersten Kuss vergehen Monate – wenn bis dahin einem nicht die Lust vollends vergangen ist.

Geräte streicheln, Tiere streicheln

In Japan gibt es eine Generation von Männern, die man Gemüsejungen nennt. Also Männer, die nie in den Genuss von Fleisch kommen. Und nein, das hat nichts mit Vegetarismus zu tun. Wohl ist das auch der Grund, wieso eine Gadget-Kategorie in Technikkaufhäusern eine besondere Vielfalt aufweist: Massagegeräte. Es gibt riesige Sessel, kompakte smarte Massage-Devices, in die man seine Hand reintut, welche dann bemüht sanft geknetet wird. Das Gefühl erinnert eher an eine Blutdruckmessung mit ruckelig-glitchigen Variationen, aber man kann durchaus imaginieren, wie Freund oder Freundin die Hände beim gemeinsamen Filmgucken bearbeitet. Es gibt gar Geräte, die das Streicheln eines Rehfells simulieren.

Das Streicheln von Tieren gilt generell als unverfänglicher. Deshalb gibt es im rauschenden Hipster-Bezirk Harajuku zahlreiche Tiercafés mit lebenden Katzen, Kaninchen und sogar Igel und Eulen, die im Minutentakt abrechnen und bei allen fragwürdigen Umständen vitale Nähe und Wärme suggerieren. Bei japanischen Frauen sind diese Freizeitbetätigungen besonders populär.

Aber auch für die eben erwähnten Gemüsejungen gibt es eine ungeahnte Bandbreite ausgefuchster Masturbationsgeräte, die sich zu hiesigen Sextoys in etwa so verhalten wie beheizte und smarte Klodeckel zu unseren mittelalterlichen Laminatklappen. Diverse Gyroskopen, Elektromotoren, bis zu sechs Bewegungsachsen mit unterschiedlichen Druck- und Vibrationszonen, natürlich synchronisiert mit dem Lieblings-Hentai – alleine beim Angucken der Features wird einem schwindelig.

Keine technische Shortcuts in der Liebe

Technik sollte immer dann zum Einsatz kommen, wenn ein Mehrwert offensichtlich wird. Muss ich mein Spiegelei mit einem Thermomix braten? Brauche ich 500 Euro teure Bluetooth-Noise-Cancellation-Kopfhörer, um im Zug oder Flieger in Ruhe dösen zu können, wo es doch Ohrstöpsel gibt? Digitalisierung und Technologien können viele Dinge im Alltag vereinfachen, keine Frage. Basale und rudimentäre Aspekte im menschlichen Miteinander wie ein gemeinsames Leben und die Liebe sind aber weiterhin nicht durch technische Shortcuts zu erreichen. Wieso? Ich glaube einfach, dass die Liebe wie das Leben selbst, aber auch die Bildung, das ambitionierte Kochen oder künstlerische Expertise eine Angelegenheit ist, die man ein Leben lang lernt und verfeinert.

Es bleibt eine hochkomplexe und empathische Angelegenheit, die weder durch Algorithmen, K.I., Apps noch Gadgets auf ein snackable Street-Food-Level reduziert werden kann. Vielleicht darf das auch so bleiben. Nur vergessen sollten wir das nicht.