Nachruf auf Peter Lindbergh

Der Inbegriff der Schönheit

Der Modefotograf Peter Lindbergh zeigte Frauen, wie sie sein wollten. Aber er prägte mit seinen Supermodel-Bildern auch, wie Frauen dachten, dass sie sein sollten. Jetzt ist der deutsche Künstler mit 74 Jahren gestorben

Wenn man Ende der 80er-Jahre geboren wurde und ab Mitte der 90er in den komplexen Kosmos weiblicher Schönheit und deren Darstellung hineingewachsen ist, fließt einem mit großer Wahrscheinlichkeit immer noch Peter Lindbergh durch die Adern. So wie Helmut Kohl naturgemäß Kanzler war, sahen Supermodels naturgemäß so aus, wie Peter Lindbergh sie inszenierte. Endlosbeinig in Rudeln auftretend, immer ein Spektakel in kontrastreichem Schwarz-Weiß, die Straße kontrollierend, auf den Eiffelturm kletternd, mit diesem ganz besonderen Ausdruck um den halb geöffneten Mund. Dieser eleganten, furchtlosen Beiläufigkeit, die synonym für die Modefotografie wurde. Die man selbst vor dem Spiegel nie hinbekam.

Peter Lindbergh, der nun im Alter von 74 Jahren gestorben ist, hat immer betont, dass er die Modelle und ihre Besonderheit so einfangen wollte, wie sie sind. Aber er hat mit seiner Fotografie auch geprägt, wie Frauen sein wollen. Und wie sie denken, dass sie sein müssten. Kate Moss, Claudia Schiffer, Naomi Campbell und Cindy Crawford (deren Tochter heute die Maßstäbe setzt) schwirren noch immer im Körper der nun Erwachsenen herum. Vorzugsweise im kleidsam zu großen Männerhemd. 

Seine Musen wurden Geschäftsfrauen

Der deutsche Fotograf, 1944 unter dem Namen Peter Brodbeck in Polen geboren, arbeitete zuerst in der Werbung, bevor er die Mode für sich entdeckte. Doch anders als viele seiner Kollegen machte er nie den Fehler, seine Modelle mit Produkten zu verwechseln. Er war der erste, der den für seine Softporno-Ästhetik bekannten "Pirelli-Kalender" mit Aufnahmen von selbstbewusst auftretenden Schauspielerinnen aller Altersgruppen bestückte. Seine Musen wurden Superstars und mächtige Geschäftsfrauen. Seine spektakulären Kulissen, die oft etwas Sci-Fi-haftes und Apokalyptisches hatten, ließen die Models eher wie Schauspielerinnen mitten in einer Szene wirken als wie seelenlose Modepräsentations-Objekte. Wer die Gruppenportraits des 90er Supermodel-Squads betrachtet, muss unweigerlich an die ermächtigenden Girl-Gangs von Beyoncé oder Janelle Monae denken. Nur, dass es eben damals noch den Mann gebraucht hat, der das ganze legitimiert und in Szene setzt. 

Weniger bekannt sind Lindberghs Anfänge in der Kunstwelt. An der Kunsthochschule in Krefeld, wo er studierte, lernte er seine erste Frau Astrid kennen. Seine Bilder signierte er zeitweise mit "Sultan". Manches aus diesen frühen Arbeiten ließ er später in seinen Blockbuster-Fotos reinkarnieren. Seine Faszination für Holzstühle soll sich von der Konzeptkunst eines Joseph Kossuth ableiten. Seine Dokumentationen der Pariser Protestkultur der 60er-Jahre kehrte als Geist zurück, als er 2012 Models mit antiautoritären Plakaten aufmarschieren ließ. Milla Jovovichs glamouröser Auftritt vor dem Schriftzug "Abuse of Power comes as no surprise" wurde in der "MeToo"-Debatte als Icon wieder aufgenommen.Und zeigte gleichzeitig, wie sich Protest als Modeaccessoire instrumentalisieren lässt. 

Peter Lindbergh hat nicht nur Supermodels fotografiert. Aber er hat es geschafft, dass Frauen zu ihm kamen, wenn sie mal wie eins aussehen wollten. Seine Kamera diente als Transformationsobjekt, das auch Klimaaktivistin Greta Thunberg und Schlagersängerin Helene Fischer (die auf dem deutschen "Vogue"-Titeln zugegebenermaßen etwas verkniffen aussah) zu unantastbar souveränen Cover-Frauen gemacht hat. Man darf das fehlende Make-up und die Sets außerhalb des Studios allerdings nicht mit Natürlichkeit verwechseln. Denn Lindberghs Inszenierung von Natürlichkeit verlief immer an den Umrisslinien von Perfektion.

Photoshop ist für Loser

"Er hinterlässt eine große Lücke", schrieb sein Team am heutigen Mittwoch auf seiner Instgram-Seite. Und diese Lücke sah Lindbergh auch in der zeitgenössischen Fotografie. Selfie-Kultur und die digitale Bildbearbeitung waren ihm suspekt. "Photoshop ist für Loser", hat er einmal in einem Interview gesagt

Die Supermodel-Generation der 90er ist längst abgelöst und die Modefotografie von heute versucht das Prinzip "Mann fotografiert konventionell schöne Frauen" aufzubrechen. Aber Peter Lindbergh hat dafür gesorgt, dass man heute nicht in dem Segment arbeiten kann, ohne ihn mitzudenken. Und er war keiner, der in seinem Stil stehen blieb und den man heute nur noch nostalgisch betrachten kann. Eins der letzten Fotos, das Peter Lindbergh auf seinem Instagram-Account gepostet hat, ist ein wunderschönes Porträt der nigerianischen Autorin Chimamanda Ngozi Adichie. Die Aufnahme sieht angenehm unmodelig und Lindbergh-untypisch aus. Der Fotograf hat sich auf eine neue weibliche Ikone eingelassen, die nicht vorrangig von ihrem Aussehen definiert wird. Schade, dass man davon nicht mehr sehen wird.