Comic-Zeichnerin Liv Strömquist

"Frauen leisten die emotionale Arbeit und wischen das Erbrochene weg"

Die schwedische Comiczeichnerin Liv Strömquist malt Eiskunstläuferinnen mit Blutflecken auf der Unterhose und widmet ihr neues Buch den leidenden Geliebten der Künstlergenies. Ein Gespräch über die miesesten Lover der Kunstgeschichte, hartnäckige Tabus und das politische Entsetzen über Menstruationsblut   

Für viele Menschen ist Schweden dieses Land, wo die Designermöbel blühen und Gleichberechtigung auf den Bäumen wächst. Die Comiczeichnerin Liv Strömquist räumt mit dem Vorurteil auf, dass in ihrer Heimat mit der beeindruckenden Männner-mit-Kinderwagen-Quote alles erreicht sei. Es genügte, in der Metro in Stockholm Bilder von Eiskunstläuferinnen mit Blutflecken auf der Unterhose aufzuhängen, um ihre Landsleute ausflippen zu lassen. Mit ihren Zeichnungen entlarvt sie Stereotype in Liebesbeziehungen ("Der Ursprung der Liebe") und die Tabus rund um das weibliche Geschlechtsorgan ("Der Ursprung der Welt"). In ihrem neuen Buch "I’m every woman" lässt sie die Frauen zu Wort kommen, die unter den männlichen Genies der Kulturgeschichte gelitten haben. Wir haben mit ihr gesprochen.

Liv Strömquist, mit welchem Star aus der Kunstgeschichte wären Sie am allerwenigsten gern zusammen?
Gute Frage, ich glaube Jackson Pollock. Mit Picasso zusammen zu sein, wäre vielleicht noch lustig gewesen, all die Musen und so. Aber Pollock … Er war so besessen von sich selbst und so betrunken. Das muss furchtbar deprimierend gewesen sein.

In Ihrem Buch "I’m every woman" küren Sie die miesesten Lover der Kulturgeschichte, darunter Picasso, Munch, Pollock, Einstein und Elvis Presley. Warum?
Ich wollte mich der Geschichte aus einem anderen Blickwinkel nähern, deshalb habe ich mich auf die Frauen konzentriert, die in den Biografien der "Genies" immer nur Fußnoten sind. Es geht um die Gender-Rollen in der Kunst. Ich habe eine interessante Studie gelesen, dass männliche Künstler mehr Kinder haben als der Durchschnitt, weibliche Künstlerinnen aber wesentlich weniger. Das sagt viel darüber aus, wie man Elternschaft mit dem künstlerischen Schaffen vereinbaren kann. Der Erfolg vieler Männer basiert darauf, dass es eine Gruppe von Frauen gibt, die sich um den Mann und alles Familiäre kümmern. Sie leisten die emotionale Arbeit und wischen das Erbrochene weg. Ich wollte zeigen, dass ihr Status als Genie diesen Männern unbegrenzten Zugang zu der Fürsorge von Frauen verschafft hat. Das wäre andersherum schwer vorstellbar. Eine großartige Künstlerin, die 60, etwas dicklich und alkoholkrank ist, kann sich nicht darauf verlassen, dass sich ständig junge schöne nackte Männer um sie kümmern.  

Warum sehen wir bei den männlichen "Genies" über diese Ausbeutung von Frauen hinweg?
Weil sie ja Genies sind. Mir geht es überhaupt nicht darum, ihr Können und ihre künstlerischen Errungenschaften in Frage zu stellen. Es ist nicht sehr originell, aber ich liebe alles von Picasso und halte ihn für einen großartigen Künstler. Ich will niemanden dazu bringen, sich seine Kunst nicht mehr anzuschauen, weil er unausstehlich als Mensch war. Es geht nur darum, Machtmuster aufzuzeigen, und dass sein Erfolg mit bestimmten Mustern zusammenhängt, von denen vor allem Männer profitieren. Es ist der Unterschied in der emotionalen Ökonomie, der einen riesigen Einfluss auf die Geschichte von Kunst, Wissenschaft und Politik hat.

Alle beschweren sich über "mansplainende" – also herablassend belehrende – Männer. Sie benutzen eine weibliche Erklärfigur. Gibt es auch "womansplaining"?
Im Moment wird "mansplaining“ ja für alles benutzt, was Männer von sich geben, auch wenn sie das Thema 30 Jahre lang studiert haben. Aber für mich bedeutet es, dass ein Mann einer Frau ungefragt und ohne besondere Qualifikation seinerseits etwas erklärt, was sie schon weiß. Ich finde, wir sollten keine Welt haben, in der niemand mehr jemand anderem etwas erklären darf. Es sollte nur unbedingt aufhören, dass Männer von vornherein annehmen, dass sie mehr wissen als die Frau und sie belehren müssen. In meinen Büchern teilen die Erzählerinnen den Lesern etwas mit, aber dahinter steht eine lange Recherche. Sie halten die Leser nicht für dumm, sie teilen ihr Wissen über ein spezielles Thema.    

In einer Kritik im "Spiegel" war zu lesen, dass Sie genauso gut die dümmsten Geliebten der Geschichte hätten küren können. Sie hätten die schrecklichen Männer schließlich nicht verlassen. Ihre Antwort?
Das finde ich ehrlich gesagt keinen konstruktiven Beitrag und nicht besonders durchdacht. Viele der Geschichten spielen an Orten und in Zeiten, wo eine Scheidung den gesellschaftlichen und finanziellen Ruin für die Frau bedeutet hat. Priscilla Presley wurde als Teenager auf dem Anwesen von Elvis regelrecht eingesperrt. Das Machtgefälle zwischen den Männern und den Frauen ist riesig. Den Frauen die Schuld zu geben, unterstellt, dass sie eine freie Wahl hatten.

In ihren Büchern benutzen Sie viel Text und wissenschaftliche Fußnoten. Warum wählen Sie trotzdem die Form des Comics?
Es ist nicht so, dass ich immer gedacht habe: Das ist die Form, in der ich mich ausdrücken möchte. Es hat sich eher so ergeben. Ich habe schon immer gezeichnet und ich liebe Comics. Wenn ich nur Texte schreibe, langweile ich mich. Ich finde Comics sehr unprätentiös, sie sind keine "Hochkultur", man liest sie auf dem Klo, Kinder lesen sie, und sie kommen in allen sozialen Schichten vor. Zeichnen macht mich außerdem einfach glücklich.

In Ihrem Buch "Der Ursprung der Welt" geht es um die Kulturgeschichte des weiblichen Geschlechtsorgans. Auf dem Cover stellen sie das Werk "Aktionshose Genitalpanik“ von Valie Export nach. Welche Künstlerinnen haben Sie noch inspiriert?
Da gibt es viele. Valie Export verehre ich sehr. Ich mag aber auch Nicky de Saint Phalle, die übrigens auch Comics gemacht hat, Ana Mendieta und Judy Chicago. Ich interessiere mich sehr für Kunstgeschichte und benutze auch immer wieder Elemente daraus.   

Ist es deprimierend, dass diese Künstlerinnen schon vor 50 Jahren genau die selben Tabus rund um den weiblichen Körper bekämpft haben, die es heute immer noch gibt?
Geschichte ist keine geradlinige Reise in Richtung Fortschritt. Feminismus ist eher wie Murmeltiertag.  In "I’m every woman" spreche ich auch über eine Anarchistin, die zur gleichen Zeit gelebt hat wie meine Urgroßmutter. Sie hatte Ende des 19. Jahrhunderts radikale Ansichten zur Ehe und war gegen traditionelle Familienmodelle. Es ist schwer zu glauben, dass sie in derselben Welt gelebt hat wie meine Urgroßmutter. Ideen blühen in der Geschichte immer wieder auf, erlöschen aber auch wieder. Judy Chicago hat schon vor Jahrzehnten Kunst über Menstruation gemacht. Auf diese Vorreiterinnen können wir uns jetzt wieder berufen.  

Apropos Menstruationsblut: in Stockholm haben Sie in der U-Bahn Zeichnungen von Eisläuferinnen mit Blutflecken auf der Unterhose aufgehängt. Stimmt es, dass das politische Verwerfungen gab?
Ja, die Reaktionen waren unglaublich aggressiv und die Plakate wurden mehrmals zerstört. Die Rechtspopulisten in Schweden haben Poster mit meinen Bildern aufgehängt und dazugeschrieben "So sieht die U-Bahn unter unserer jetzigen Regierung aus". Und daneben war ihr Vorschlag gedruckt, wie die U-Bahn aussehen sollte: ein vormodernes Ölgemälde mit Booten. Auch der Vorsitzende der Christdemokraten hat die Bilder als Beispiele für einen Feminismus genannt, der "vom rechten Weg abgekommen" sei.  

Warum haben so viele Menschen immer noch Angst vor ein bisschen Blut?
Wir sind nicht gewohnt, uns als Gesellschaft mit Tabus zu sehen, aber es gibt sie. Und die Menstruation ist ein besonders hartnäckiges. Im öffentlichen Raum sieht man niemals, niemals Menstruationsblut. Aber natürlich gibt es dieses Blut und wenn man es dann mal sieht, ist es ein Schock. Ich habe die Zeichnungen nach einem Foto gemacht, auf dem eine Eisläuferin bei einer Kür wirklich einen Blutfleck hatte. Menstruationsblut ist ein materieller Fakt, aber man will es nicht sehen. Ich will das nicht bewerten, ich respektiere die Gefühle der Leute, aber ich will dieses Tabu reflektieren.

Für die meisten Frauen ist ein Blutfleck auf der Hose so ziemlich das peinlichste, was sie sich vorstellen kann.
Ja, es gibt diese riesige Scham. Ich kenne das Gefühl sehr gut, diese Angst, "enttarnt" zu werden. Das war einer der Gründe, warum ich unbedingt diese Bilder machen wollte.