Trotz ihrer Prominenz ist es – gerade für deutsche Ohren – schwer, nicht in die Falle zu tappen, die die kalifornische Künstlerin Lutz Bacher dem Publikum mit ihrem Pseudonym gestellt hat. Denn bei dem Namen denkt man vielleicht unwillkürlich zuerst an einen Maler aus Germany. Dabei war Bacher weder Maler noch Mann und schon gar nicht deutsch. Das gesamte Œuvre der 2019 verstorbenen Konzeptkünstlerin ist durchzogen von einer Americanness, einer Referenzialität auf das "US-Amerikanische an sich": Mal steht es im Zentrum der Arbeiten, mal ist es lediglich als Hintergrundrauschen zu vernehmen, schwingt mit als undefinierbares Gefühl, irgendwo zwischen Nostalgie und Paranoia.
Was das bedeutet, lässt sich in der aktuellen Bacher-Retrospektive im privaten Astrup Fearnley Museum im Hafen von Oslo erfahren. Dabei handelt es sich um die erste große Ausstellung seit dem Tod der Künstlerin im Alter von 75 Jahren und eine Kollaboration mit dem Brüsseler Wiels Contemporary Art Centre. Unter dem Titel "Burning the Days" wird ihr Œuvre nicht chronologisch präsentiert, sondern anhand ausgewählter Arbeiten aus dem Nachlass. In thematisch gegliederten Kapiteln soll ein assoziativer Zugang zu dem komplexen Werk ermöglicht werden, das Bacher hinterlassen hat.
Schon im Eingangsbereich des Museums empfängt die Besuchenden die Videoarbeit "Closed Circuit". Sie nimmt die Überwachungs-Thematik vorweg, die sich durch die Schau zieht. Auf dem Bildschirm laufen Aufnahmen einer Kamera, die in Stop-Motion-Optik Bachers New Yorker Galeristin Pat Hearn an ihrem Arbeitsplatz zeigen. Über die 40 Minuten des Films bleibt der Schreibtischstuhl immer öfter leer, bis Hearn irgendwann gar nicht mehr zurückkehrt.
Die Künstlerin wacht über ihre Werke
Der Zusammenschnitt der Filmstills dokumentiert die voranschreitende Krebserkrankung der Galeristin, das langsame Entschwinden eines Menschen aus seinem gewohnten Alltag. Bei Lutz Bacher wechseln sich Motive aus dem persönlichen Umfeld mit gesellschaftlichen Themen ab und verfließen mit ihnen. Gegenstände und Bilder aus dem eigenen Leben verwandelt sie ebenso in Kunstwerke wie die objects trouvés vom Straßenrand und found footage aus den Massenmedien.
Viele Arbeiten sind dabei äußerst intim. Es ist vor allem jene, die – zum Teil ziemlich konkret – einen Einblick in Bachers Innerstes gewähren, die die klinische Distanz offenbaren, mit der die Künstlerin die Situation und ihre eigene emotionale Reaktion darauf seziert. Auch in der Ausstellung im Astrup Fearnley nimmt Bacher posthum den Posten der Beobachterin ein. In Form eines schmalen Fotostreifens mit kleinen, verschwommenen Selbstaufnahmen am Ende der breiten Eingangstreppe wacht sie rauchend und kaum zu erspähen über den Werken.
Schneewittchen im Metallkoffer
Vom oberen Absatz fällt der Blick auf zwei identische Stahlköfferchen am Fuß der Stufen. Schwer sehen diese seltsamen, Hexagon-förmigen Dinger aus, wie sie kalt und kantig mitten im Raum stehen. Man erwartet beinahe eine Durchsage: "Bitte melden Sie unbeaufsichtigtes Gepäck umgehend dem Sicherheitspersonal." Vielleicht wirken auch nur die Drohnensichtungen über Olso ein paar Tage zuvor und der Hackerangriff auf den Flughafen BER nach, der die Anreise nach Norwegen verzögerte. Statt der Security-Durchsagen hallen beklemmende, dumpfe Klänge durch die Ausstellung, deren Ursprung nicht auszumachen ist. Erst beim Nähertreten an die Koffer gibt eine Inschrift einen Hinweis auf ihre Funktion. In kleinen Lettern steht da "Snow White".
Die Behältnisse, die Bacher in Los Angeles zufällig in die Hände fielen, dienten einst dem Transport von Filmrollen des Disney-Klassikers von 1937. Als erstes Zeichentrickwerk in Spielfilmlänge ist "Schneewittchen" US-amerikanisches Kulturgut. Die Metallhüllen sind Zeugnisse dessen, was sie enthielten und wie der Inhalt seinerzeit gehandhabt wurde. Als Artefakte verweisen sie wiederum in einem digitalen Zeitalter auf das Spannungsfeld zwischen dem Kunstwerk als Objekt – als Einheit bestehend aus dem Bild als image und dem physischen Bildträger – und dem Kunstwerk als metaphysischer Entität. Diese wird durch ihre Manifestation im Raum (dem Medium) lediglich vermittelt und entsteht erst im Kopf der Betrachtenden.
In dem Moment, in dem die Zelluloidstreifen als Bildträger für den Film obsolet werden (als Folge der Digitalisierung etwa), werden auch die Koffer ihrer Funktion beraubt. Diese physischen Kapseln sind – als Ding an sich ebenso wie als Trägermedium für Bachers Kunstwerk – schlichte Hülle des Inhalts, den sie transportieren.
Das eigene und das kollektive Begehren
Im nächsten Raum hängt "Jackie & Me" – die Arbeit, der das Postermotiv der Ausstellung entliehen ist. Auch hierbei handelt es sich um gefundene Bilder. Die stark vergrößerten Aufnahmen an der Wand zeigen eine braunhaarige Frau im Park (angeblich ist es Jackie Kennedy, wie wir den Bildunterschriften entnehmen), wie sie vor einem Paparazzo, dem Urheber der Fotos, zu fliehen versucht.
Wir sehen sie nur von hinten, unter den Aufnahmen Kommentare des Fotografen. Kostprobe: "Jackie Kennedy Onassis, die begehrteste Frau der Welt, wollte von mir, Ron Galella, dem Paparazzo, verfolgt werden. Ich wusste schon damals, dass es kein Zurück mehr gab, kein Entkommen." Selbstgerecht ist diese Aussage, übergriffig, purer Machismo, unverschämt. Aber auch unfreiwillig komisch. Und unabsichtlich auch eine Reminiszenz an Andy Warhols "Thirteen Most Wanted Men."
Wie Warhol einst in dieser Arbeit herausstellte, ist der Ausdruck most wanted eine Beschreibung, die sowohl für besonders attraktive Prominente gebraucht wird als auch für die meistgesuchten Verbrecher. Was also ist dieses Begehrte? Wodurch wird Verlangen ausgelöst, wann verwandelt es sich von einer persönlichen Empfindung zu einem kollektiven Sentiment?
Gegenüber von "Jackie & Me" findet sich abgedruckt auf mehreren Blättern ein Interview, das Lutz Bacher 1976 mit sich selbst geführt hat – weil sie nicht mit dem Journalisten reden wollte, von dem sie eigentlich befragt werden sollte. Im Dialog mit der eigenen Person diskutiert sie ihr Interesse an Lee Harvey Oswald, dem mutmaßlichen Mörder von John F. Kennedy. Fragmentiert und auf mehreren Seiten ist das Selbstgespräch auf Fotokopien von Collagen gedruckt, die aus Porträtfotos Oswalds und Zeitungsschnipseln zum Attentat zusammengesetzt sind.
Die Aussagen wiederholen sich, die Bilder auch. Die Zettel fangen die schizophrene Stimmung ein, die diese nationale Tragödie in den USA auslöste. Sie spiegeln die bis heute andauernden Obsession mit dem Fall und mit den nach wie vor zirkulierenden Verschwörungserzählungen, greifen die tausendfache Vervielfältigung der Konterfeis Oswalds und Kennedys auf. Auch das kann in gewissem Sinne als Anlehnung an Andy Warhol verstanden werden. Und so ist Bachers Arbeit auf mehrfache Weise "Americana". Sie bekommt durch den Verweis auf den Pop-Papst und All-American Artist Warhol einen doppelten Boden.
Readymades und Referenzen
"Bachers Readymades sind inbrünstiger Ausdruck des Überflusses im Angesicht struktureller Verknappung", schreibt Kate Nesin im Ausstellungskatalog (zu dem auch die Philosophin Juliane Rebentisch und die Kunsthistorikerin Emily LaBarge je einen Essay beigetragen haben). "Oder, um es kosmisch auszudrücken statt soziopolitisch: Ihre Readymades unterstreichen den unbegreiflich erscheinenden Fakt, dass lediglich 5 Prozent des Universums aus gewöhnlicher Materie bestehen. (…) Dann wiederum legen Bachers Readymades jede Verbindung offen, die ich versuchen könnte zwischen dem Objekt und dem Bild zu ziehen – und bringt sie ins Wanken."
Auch wenn Bacher keine klaren Deutungen für ihre Werke vorgibt, lassen sich in Oslo noch an anderen Stellen Referenzen auf Künstlerikonen entdecken, mal mehr, mal weniger offensichtlich, und vielleicht auch mal unbeabsichtigt. Die Arbeit "Pink out of a Corner (to Jasper Johns)" besteht aus mehreren rosafarbenen Neonröhren und ist ein Zitat der gleichnamigen Installation von Dan Flavin, der darin wiederum Jasper Johns Tribut zollt. Bacher kehrt das Werk um, legt die Drähte offen und fokussiert so auf einen möglichen queeren Subtext des Originals.
In der Videoarbeit "Girl in a Blue Dress" (2002) hält die Kamera auf ein Mädchen im blauen Kleid, das sich, der Beobachtung unbewusst, durch das Pariser Musée Picasso bewegt. Ironischerweise ist der Bildschirm, auf dem das Werk abläuft, in Oslo direkt unter einer der museumseigenen Überwachungskameras platziert. Prominent und gar nicht versteckt ist auch Marcel Duchamps Rad, das auf einem überlebensgroßen Schachbrett aus Pixeln steht, zusammen mit einem Dino, einem Kamel und einem Elvis-Aufsteller als weiteren Spielfiguren. Ein Zitat des Readymades in einer Ausstellung voller Readymades.
Verweise über Verweise
Und dann sind da die fragmentierten Bison-Skulpturen, aus denen Drähte ragen und Füllmaterial quillt und die in einem Raum zusammen mit Fotoausschnitten junger Soldaten während einer Feuerpause ausgestellt sind. Wie viele Assoziationen die Bisons wecken: Stolze Tiere, die von den europäischen Einwanderern während der Ausbreitung nach Westen in Massen getötet wurden, um der indigenen Bevölkerung Amerikas die Lebensgrundlage zu entziehen. Oder ein halbfertiges Bühnenbild für einen Western aus der kalifornischen Traumfabrik. Oder David Wojnarowicz' Bisons, die eine Klippe hinabstürzen, eins nach dem anderen. Der New Yorker Künstler verband damit 1988 Kontrollverlust, Aidskrise, Verletzlichkeit. Alles scheint aufgeladen, Verweise über Verweise, aber Lutz Bacher selbst liefert nie eine Erklärung.
Jung sind die Soldaten auf den vergrößerten Bildausschnitten, die den Bisons gegenüber hängen, mehr Kinder als Männer. Alle sind sie weiß. Der Ausdruck burning the days, der Bachers Retrospektive den Namen gibt, wurde während des Vietnamkrieges von den US-Streitkräften für die Phasen verwendet, in denen die Soldaten zwar im Einsatz waren, aber gerade nicht kämpften.
Der Titel selbst ist einem unvollendeten Manuskript aus Bachers Archiv entnommen. In der schwer zu entschlüsselnden Arbeit "Men at War" (1975) findet er seine Entsprechung: In Badehose posieren die Jungen vor Sträuchern im Sand für ein Gruppenfoto, lächeln in die Kamera. Einige der Ausschnitte rahmen Arme und Beine ein, die sich berühren, dazu Hände an Schultern, Körperfragmente, Haut an Haut. Zeitlich einordnen lässt sich die Szene nicht. Der Krieg bleibt anwesend, nimmt dem Motiv die Unschuld. Dann erkennt man ein vernarbtes Hakenkreuz auf einem der glatten Oberkörper, die Szene kippt ins Unheimliche.
Bin ich geliebt?
Arbeiten wie diese haben augenscheinlich keinen direkten Bezug zu Bacher selbst, sondern richten den Blick auf Themen, die die US-amerikanische Gesellschaft durchziehen. Andere sind sehr offensichtlich dem Privatleben der Künstlerin entnommen. Dazu gehört etwa das auf der Website des Museums hochgeladene zwölfstündige Video "Do you love me?", in dem die Künstlerin unterschiedliche Menschen aus ihrem Umfeld dazu befragt, was sie ihnen bedeutet.
Wieder andere Werke liefern zwar einen Bezug auf persönliche Themen, geben ihn aber nicht gleich preis: "Yamaha", eine Elektroorgel, die als kinetisches Organ durch ein automatisiertes Exoskelett mit Holzhämmern zum Singen gebracht wird, ist laut Begleittext eine Hommage an Bachers verstorbenen Ehemann, den Astrophysiker Donald C. Backer (im Englischen ist organ ein Teekesselchen). Drei aufragende Orgelpfeifen aus Zinn, in Balance wie Mikado-Stäbe, zäunen das Instrument ein. Auf den ersten Blick sehen sie aus wie riesige Artilleriegeschosse. In "Untitled [Mudra]" von 1975, einer Großaufnahme von Backers Händen, gleichen die Muttermale einer Sternenkonstellation. Ein Raum, durch den schwarze Stressbälle kullern, wird Sinnbild für Kontrollverlust und Entropie. Eingerahmt sind die Kugeln von Buchseiten mit Bildern des Universums aus "The Celestial Handbook", einem Astronomie-Band für Laien.
Die Arbeit "In Memory of my Feelings" (1990) ist sehr viel unmittelbarer, aber nicht weniger kryptisch: Auf eine Reihe weißer T-Shirts in Schaukästen sind Fragen aus einem Selbstauskunftsbogen gedruckt, den Bacher vor der operativen Entfernung eines Karzinoms ausfüllen sollte: "Was ich von meinem Vater wollte und nicht bekam, war …", "Eines der Dinge, für die ich mich schuldig fühle, ist …". Auf Englisch sagt man dazu wohl to wear one’s heart on one’s sleeve, auf Deutsch trägt man das Herz auf der Zunge statt auf dem Ärmel.
Wortspiele und schlechte Witze
Während der erste Teil der Retrospektive in sich geschlossen wirkt – auch weil er sich stärker auf installative Werke konzentriert –, hat die Kuration des Zwischengeschosses mit dem Problem zu kämpfen, das sich prinzipiell aus Lutz Bachers Arbeitsweise ergibt: Ihre Werke folgen keiner linearen Erzählung, sie sind nicht als abgeschlossene Eintheit zu denken und verweigern sich auch einer chronologischen Verortung. Und so wirken die Objekte im Mezzanin ein wenig verloren, wie sie so vereinzelt für sich stehen.
Die Ausstellung schließt mit einem Raum, der Bachers Serien "Jokes" (1985-88), "Playboys" (1991-93) und "The Little People" (2005) gewidmet ist. Die gar nicht so unschuldige "Witze"-Reihe zeigt Persönlichkeiten jener Zeit, neben die große Comic-Sprechblasen gesetzt sind.
"Ich bin wirklich seltsam. Ich bin wirklich total verkorkst", erklärt Jane Fonda. "Ich bin der Meinung, dass eine Person, die wegen ... verurteilt wurde, kastriert werden sollte – das würde sie ziemlich schnell davon abhalten", predigt der Baptistenpastor Billy Graham seinem weiblichen Publikum.
Misslungener Slapstick, der Abgründe öffnet
Sich über die Pikiertheit der Ausstellungsbesuchenden zu amüsieren, die einen unschuldigen Scherz erwarten, wenn sie "Jokes" hören, sähe Bacher ähnlich. Die gezeichneten Pin-Ups der "Playboys"-Serie daneben werden von anzüglichen Sprüchen begleitet, die so geschmacklos sind, dass die Bilder jede Erotik verlieren. Eine vollbusige Blondine erklärt: "Natürlich bin ich für die feministische Bewegung. Tatsächlich bin ich ziemlich gut darin." Die Pointen wirken verschoben: auf den ersten Blick wie misslungener Slapstick, auf den zweiten vulgär, auf den dritten verstörend.
"Wann ist etwas nicht es selbst? Wann wird es zu etwas anderem? Das ist sowohl die Logik des Scherzes als auch die von gefundenen Objekten, Assemblagen, Installationen", schreibt Emily LaBarge in ihrem Essay zur Ausstellung. Den Sinn muss man sich selbst erarbeiten und zusammenreimen. Um Lutz Bacher zu fragen, was all das soll, ist es zu spät. Aber die Künstlerin hätte wahrscheinlich eh nur mit den Schultern gezuckt – Witze erklärt man nun mal nicht.