Architekturkleinod

"Mad Men" in Wolfsburg

1959 gab ein Wolfsburger Unternehmer einen modernistischen Pavillon im Stil Mies van der Rohes in Auftrag. Warum das vergessene Architekturkleinod dringend gerettet werden muss

Die Szenerie könnte aus einer Mad-Men-Folge stammen: In einem modernistischen Pavillon stehen zwei Barcelona Chairs von Mies van der Rohe, bodentiefe Glasfassaden lassen den Innenraum und das begrünte Atrium verschmelzen, hinten erstreckt sich eine grün marmorierte Natursteinwand. Doch ist dies keine filmische Reminiszenz an das coole Manhattan der Nachkriegsära, sondern ein ganz realer Schauplatz im ostniedersächsischen Wolfsburg des Jahres 1960: der Verwaltungsbau der Firma Naturstein Billen.

Dass die Volkswagen-Stadt über ein solches architektonisches Kleinod verfügt, war bis vor kurzer Zeit wohl nicht einmal den eifrigsten Lokalpatrioten bekannt. Zwar stammt der Bau nicht von Mies van der Rohe – aber er ist doch unverkennbar von dem berühmten Architekten beeinflusst, der 1938 aus Nazi-Deutschland in die USA emigriert war. Im November des Jahres 1955 hatte sich eine kleine Delegation der TH Braunschweig auf den Weg nach Chicago gemacht, um Mies van der Rohe die Ehrendoktorwürde der Hochschule anzutragen. Mit dabei: der Wolfsburger Unternehmer Johann Tillmann Billen.

Anleihen bei den Ikonen

Das persönliche Treffen mit Mies muss den Steinmetz tief beeindruckt haben. 1959 gab Billen bei dem Braunschweiger Architekten Rudolfs R. Gerdes seinen neuen Verwaltungsbau in Auftrag, der deutliche Anleihen bei van der Rohes ikonischen Häusern nahm: das leicht erhöhte, scheinbar schwebende Erdgeschoss des Billen-Pavillons zitiert das legendäre Farnsworth House, sein Inneres ahmt den von Mies im Jahr 1929 entworfenen Barcelona Pavillon nach. Billen sonnte sich offensichtlich nur zu gern im Licht der Moderne: Anfang der 60er-Jahre ließ er seinen Bau von dem Fotografen und Wolfsburger Stadtchronisten Heinrich Heidersberger als puristischen Tempel inszenieren.

Nachdem die Naturstein Billen GmbH im Jahr 2010 Insolvenz einreichen musste, stand der Pavillon leer und verkam. Seit 2013 steht der Bau unter Denkmalschutz, doch ein Konzept für Erhalt und künftige Nutzung steht aus. Ein kleiner Kreis engagierter Wolfsburger Bürger um Bernd Rodrian vom Institut Heidersberger und den Fotografen Ali Altschaffel stemmt sich gegen den weiteren Verfall des teils maroden Gebäudes. In diesem Spätsommer bespielen sie den provisorisch hergerichteten Pavillon mit einem Programm aus Ausstellung und Konzerten, Diskussionen und Vorträgen, etwa zur Entstehung des Pavillons und der Architektur-Moderne.Die temporäre Nutzung, so die Hoffnung der Initiatoren, soll Ideen für einen längerfristigen Gebrauch aufkommen lassen.

Wolfsburg ist eine junge Stadt, die Liste seiner Baudenkmäler kurz. Es wäre ein Jammer, wenn dieses vor Geschichte und Geschichten nur so flirrende architektonische Kuriosum für immer verstummen würde.