In Madrid wird Alltag zur Kunst: 70s: Photography and Everyday Life

Ertappt! Wir wissen jetzt, was Kohei Yoshiyuki in den 70er-Jahren getrieben hat. Ein Geheimnis hat der japanische Fotograf allerdings nie um seine „Park“-Serie gemacht: Zwischen 1971 und 1979 zeichnete er auf Infrarotfilm auf, wie sich (nicht nur) schwule Tokioter auf den Grünflächen der Stadt vergnügten. Doch kein lüs­terner, ein soziologischer Blick prägt die Bilder, die Niederschlag einer Art Normalität sind. So passen sie ideal in die Schau „The 70s: Photography and Everyday Life“, die im Madrider Teatro Fernán Gómez das Subversive im Alltäglichen findet.


Alltagserfahrung abseits kunstwissenschaftlichen Schubladendenkens ist auch insgesamt das große Thema der diesjährigen Photo España in Madrid. Dass die 70er-Parade im Zentrum des bedeutenden Festivals steht, leuchtet ein – wird doch ein Jahrzehnt behandelt, in dem alltägliche Gesten endgültig kunsttauglich wurden. Die Fotografie war das Versprechen, das Reale ungefiltert aufschnappen zu können. Gleichzeitig zeigt sich in der Ausstellung die grenzenlose Experimentierfreude der Zeit: Street-Photography, ironische Inszenierung, Spurensuche, konzeptuelle Strategien, alles hat hier seinen Platz.
Die Ausstellung blickt auf die frühen Schaffensjahre einer Cindy Sherman oder Karen Knorr, eines Christian Boltanski oder Hans-Peter Feldmann, von David Goldblatt und William Eggleston sowie von Victor Burgin und Allan Sekula. Und wo Burgin oder Sekula mit ihren Schriften auch für die rege Mediendiskussion der Dekade stehen, ließ sich Malick Sidibé vor allem von der Neugier leiten, wenn er die Jugendkultur Malis in nachkolonialistischer Zeit dokumentierte.


So erweist sich die Kamera als flexibles Instrument, die sogar zur Waffe werden kann, wie Laurie Anderson in ihrer Serie „Fully Automated Nikon“ vorführt. Genervt von der billigen Anmache männlicher Passanten, pflegte Anderson mit dem Fotoapparat zurückzuschießen. Ihre verblüfften, teils entrüsteten „Opfer“ zeigt sie mit Balken über der Augenpartie. Shame on you!
 

 

Teatro Fernán Gómez, Madrid, bis 26. Juli.