Biennale-Feeling begleitet den Besuch von "Half Frame", Maria Toumazous erster Solo-Ausstellung in Deutschland. Wegen Bauarbeiten führt der Weg zum Eingang des Ausstellungspavillons durch die verwinkelten Gassen der historischen Bürgergärten Lübecks, vorbei an pittoresken Backsteinhäuschen und durch schmale Mauerdurchlässe. Betritt man dann das Gebäude, wirken die Räume zunächst leer. Sonnenstrahlen fallen durch die hohen Oberlichter des Overbeck-Pavillons, einem der wenigen gebauten Beispiele der Neuen Sachlichkeit in Norddeutschland. Auf den weiß gestrichenen Wänden zeichnen sich Schattenspiele ab, auf dem Parkett hinterlassen Schuhe der Besuchenden kleine Tropfspuren vom hereingetragenen Schnee.
Erst der weiße Vorhang, der sich hinter der ersten Ecke verbirgt, lässt erahnen, dass es mehr zu entdecken gibt als die Architektur. Schiebt man ihn beiseite, befindet man sich mitten im Nachdenken über die Zeit – und zugleich an den Ursprüngen medialer Wahrnehmung. Die Dunkelheit hinter dem Stoff wird von einem einfallenden Lichtstrahl durchbrochen, der an der gegenüberliegenden Wand ein Bild entstehen lässt. Mal mehr, mal weniger deutlich erscheint dort – kopfüber zwischen Baumkronen – die goldene Daphne-Statue der Bildhauerin Renée Sintenis, die sich seit 1930 vor dem Pavillon befindet.
Ein dichtes Netz mit zahlreichen Beziehungen
Die zypriotische Künstlerin Maria Toumazou verwebt mit ihrem Werk diskret Orte und Zeiten: Die Lochbildkamera, die sie hier mit einfachsten Mitteln konstruiert hat, macht die Flüchtigkeit des Moments sichtbar. Denn kein statisches Bild, sondern ein Phänomen zeichnet sich ab – das Licht selbst erzeugt den Eindruck eines Bildes, doch es ist in ständigem Wandel. Genau wie die gezeigte Gestalt der Daphne, die sich in einer Metamorphose befindet.
Es ist bezeichnend für Toumazou und ihr künstlerisches Œuvre, dass diese Arbeit als einzige der Schau nicht unter ihrem Namen geführt wird. Wann beginnt Gestaltung, wo Urheberschaft? In zwei weiteren Projektionen holt sie Außenansichten des Gebäudes in die Ausstellung. Aufgenommen mit einer Halbformat-Kamera – aus deren Nutzung sich der Ausstellungstitel "Half-Frame" ableitet –, hinterfragen die Bilder unsere Wahrnehmung von Architektur und fordern eine bewusste Auseinandersetzung mit dem Pavillon und seiner Geschichte.
Die Sockel hier haben die gleiche Höhe wie jener der Daphne-Skulptur: Das Netz an Bezügen verdichtet sich zunehmend, Innen und Außen werden gleichzeitig erfahrbar. Auch die Tageszeit schlägt sich nieder – je nach Lichteinfall sind die Projektionen mal deutlicher, mal kaum sichtbar. "Es ist eine sehr zeitabhängige Ausstellung", so Maria Toumazou. "Daher gibt es für mich einen idealen Moment, sie zu besuchen: die blaue Stunde. Es ist die Zeit, in der man die Camera obscura noch sehen kann – denn sie ist nur sichtbar, wenn es hell ist. Die Projektionen hingegen sieht man nur, wenn es dunkel ist. Aber dann brauchen die Skulpturen Licht. Es gibt also nur ein kurzes Fenster, in dem sich alles gleichzeitig zeigt."
Der Fokus auf Objekte und die Analyse ihrer Beziehungsgeflechte spiegeln sich auch in den reflektierenden Abgüssen im Ausstellungsraum wider. Alltägliches wird hier unter neuen Vorzeichen betrachtet: Ein gefundenes Polizeiabzeichen aus Zypern wird in seiner Bildhaftigkeit hinterfragt. Umgedreht und auf Hochglanz gebracht, erhält es ikonischen Charakter – und bleibt zugleich ein Artefakt einer bestimmten Zeit. Eine weitere abstrakte Wandarbeit entpuppt sich als auseinandergeklapptes Lederetui von Toumazous Kamera. Der Titel "Leather", der zunächst angesichts des Materials paradox erscheint, sich jedoch aus diesem Bezug erklärt, schreibt der Kamera dabei geradezu wesenhafte Züge zu.
Was aber ist Zeit? Schon Augustinus philosophierte im 4. Jahrhundert in seinen "Confessiones" darüber und kam zu dem Schluss, sie bestehe aus Dauern. Henri Bergson wiederum begreift unseren Zeitbegriff als eine Art Hybrid von Dauer und Raum. Wir erleben das Phänomen jeweils durch Einteilungen, die stets räumlicher Natur sind, da sie jeweils einen Fluss in Form eines Zeitstrahls oder eine Unterteilung in Einheiten darstellen. Toumazou, die am Goldsmiths College und an der Glasgow School of Art studierte, stellt diesem Denken alternative Wahrnehmungsmodelle entgegen. Sie löst den Zeitbegriff aus dem abstrakten Diskurs und findet bildhafte Ausdrucksformen, die sich den tradierten Schemata weitgehend entziehen. Zeit als Phänomen ist ihr Ausgangspunkt, Flüchtigkeit ihr zentrales Motiv.
Mit "Half Frame" hat die Kuratorin der Ausstellung und neue Direktorin der Overbeck-Gesellschaft, Paula Kommoss, eine starke Antrittsausstellung präsentiert. Wenn sie den eingeschlagenen Kurs beibehält, könnte sich Lübeck - vielleicht über Umwege wie beim Betreten der Ausstellung - zu einem Hotspot internationaler zeitgenössischer Positionen entwickeln.