New York im Lockdown

Der große Schlaf

In diesem Frühjahr wurde New York durch die Corona-Pandemie in wochenlange Narkose versetzt. Die Fotografin Mariana Meraz hat die gespenstische Leere in ihrer Heimatstadt in faszinierenden Bildern festgehalten 

330.000 Passanten überqueren im Durchschnitt den New Yorker Times Square - pro Tag. An den belebtesten Tagen im Jahr werden bis zu 460.000 Touristen und Einheimische gezählt, die zwischen Leuchtreklamen, Straßenverkäuferinnen und Performern in den unterschiedlichsten Kostümen umherwuseln. Die Leere, die sich mit dem Corona-Lockdown Mitte März über einen der geschäftigsten Plätze der Welt legte, war für die New Yorker etwas unbekannt Surreales. Die Metropole gehörte zu den ersten Epizentren der Covid-19-Pandemie, das öffentliche Leben wurde weitgehend heruntergefahren, und der Menschen- und Verkehrsstrom versiegte und ließ die gigantomane Architektur der Stadt ziemlich einsam zurück. 

Für viele New Yorker, die aufgrund der horrenden Mieten in der Regel nicht mit großzügigem Wohnraum ausgestattet sind, war der Lockdown eine entbehrungsreiche Zeit. Millionen US-Amerikaner haben durch die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Maßnahmen ihre Jobs verloren. Während sich die Fallzahlen in New York seit Anfang Juni auf konstant niedrigem Niveau halten, liegen die täglichen Neuansteckungen im Rest des Landes immer noch bei 40.000. 

Für die Fotografin Mariana Meraz war die sedierte Stadt sowohl eine professionelle als auch eine private Herausforderung. Sie hielt leere Straßen und Häuserschluchten für mehrere Zeitungen fest, führte aber auch für sich selbst ein fotografisches und filmisches Tagebuch. Eine Auswahl von Eindrücken aus der verwaisten Stadt gibt es nun in ihrem Buch "19 Times" zu sehen, außerdem ist ein gleichnamiger Kurzfilm entstanden, der beim "Quarantine Film Festival" gezeigt wurde. "Ich wollte eine visuelle Sammlung von Landschaften, Gefühlen und Eindrücken der Stadt in diesen Tagen der Unsicherheit erschaffen", erzählt sie gegenüber Monopol. "Es war sehr unwirklich, vor allem, weil ich New York immer als Ort voller Energie, Kultur und Leben gesehen habe. Orte wie der Times Square, wo man normalerweise vor lauter Menschen kaum laufen kann, wurden zu einem seelenlosen Platz mit hellen Lichtern. Die Grand Central Station, ein lebenswichtiger Ort für tausende von Pendlern, wirkte wie eine stille, leere Kirche. New York wurde plötzlich zur Stadt, die schlafen musste. Die City hatte immer noch ihren üblichen Glanz und ihre Schönheit, aber für mich sah sie aus, wie ein Körper, dem die Seele fehlt - die Menschen."

Mariana Meraz, die aus Mexiko City kommt und in Deutschland und Brooklyn lebt, erinnert sich an gemischte Gefühle beim Fotografieren, weil hinter der ästhetisch faszinierenden Leere viele menschliche Schicksale stehen. "Ich habe die Bilder mit Vorsicht gemacht, aber ich hatte das starke Bedürfnis, die Stadt einzufangen. Ich glaube, dass Kunst manchmal von Desaster und schwierigen Zeiten angetrieben wird. Es ist ein Teil der menschlichen Existenz." In einer Stadt, die oft von Ellenbogen und Existenzkämpfen geprägt ist, hat die Fotografin seit dem Beginn der Pandemie ein wenig mehr Menschlichkeit diagnostiziert. "Meine Hauptinspiration ist es, dass eine Katastrophe zu neuen Chancen und Veränderung führen kann."