Kunst-Ikone Maripol

"Manchmal ist es ganz schön nervig, eine Trendsetterin zu sein"

Monopol trifft Maripol: Ein Gespräch mit einer Künstlerin, die als Modedesignerin, Filmemacherin und Erfinderin die New Yorker Szene der 80er entscheidend geprägt hat – und andere reich und berühmt machte

Maripol, Sie haben für Jean-Paul Goude einen preisgekrönten Orangina-Werbefilm ausgestattet, Sie haben Madonnas "Like a Virgin"-Look kreiert, Sie haben ikonische Polaroid-Aufnahmen von Künstlern wie Grace Jones oder Jean-Michel Basquiat aufgenommen, Sie waren Art Director bei Fiorucci – wo soll man denn bitte bei Ihnen anfangen?

(singt) "Orangina, secouez-vous, secouez-moi." Ach, das meiste, das im Internet über mich steht, ist mindestens übertrieben, sprechen Sie mit mir, erfahren Sie die Wahrheit. Ich sehe mich in keiner Kategorie, die letzten 40 Jahre habe ich Filme gemacht, Fotos und Mode. Und das mache ich immer noch. Ich bin Maripol, eine Künstlerin.

Aber stimmt es, dass Sie das Selfie erfunden haben?

Ja! Das war auf der Toilette des Clubs Studio 54 in New York, ich habe meine Polaroid-Kamera umgedreht und ein Bild gemacht von Bianca Jagger, meiner Freundin Edwige Belmore und mir. Als ich neulich Paris Hilton für das "Interview Magazine" fotografiert habe, zeigte ich ihr das Foto, weil sie ja behauptet, sie habe das Selfie erfunden. Dabei hatte ich sogar schon ein iPhone, bevor sie überhaupt alt genug war, eins zu haben. Wir mussten sehr lachen. Ach, wen kümmert das alles schon. 

Ian Schrager – der Mitbegründer des Studio 54 – sagte mir kürzlich, dass so ein Club wie das Studio auch heute noch möglich wäre, trotz neuer Drogen und Smartphone-Kultur. Aber macht die Selfiekultur nicht die Party kaputt?

Auch damals gab es doch auf der Tanzfläche überall Kameras. Die Menschen mögen Publicity, nur so sind sie existent, nur so können sie berühmt werden.

 Aber das Fotografieren mit einer Polaroid ist weniger aufdringlich.

Ja, man kann mit einer Polaroid nicht aggressiv sein, meine SX-70 sieht aus wie aus dem All. Sie macht die Menschen neugierig.

Ist es eine eher feminine Art Fotos zu machen?

Kein bisschen. Jungs können das auch.

Ist die Erinnerung an eine Ära eigentlich nur so gut, wie die Fotos die in der Zeit gemacht wurden?

Jede Szene braucht Fotografen, damit man sich an sie erinnert, da stimme ich zu. Aber es wäre unfair gegenüber der neuen Generation, die alten Zeit zu sehr zu idealisieren. Es wird immer neue Musik geben, neue Schriftsteller, Regisseure, Köche. Heute geht es doch vor allem um Essen, oder? 

Was haben Sie aus der Zeit, die Sie mit Andy Warhol und Co. in den Galerien und Clubs von New York und London verbrachten, behalten?

Die Musik! Und gute Freunde wie Grace Jones oder Blondie. Wir wollten gerade ein Projekt zusammen machen, aber das geht ja nun nicht. Dafür fotografiere ich die nächste Herbst-Kollektion für Dior. 

Wenn Sie wieder Artistic Director eines Modehaus werden könnten, welches wäre das.

Mich würde keiner einstellen, es gibt zu viel Konkurrenz. Aber Maria Grazia Chiuri von Dior arbeitet gerade an einer Kollektion, die von den 80ern, Andy Warhol und Fiorucci inspiriert ist. Sie haben mich gefragt, ob ich Material beisteuern kann. Werden Sie demnächst sehen, ich darf nicht zu viele Details verraten. Das reicht mir, ich bin glücklich.

Sie haben die einflussreichsten Künstlerinnen gestyled, fotografiert oder waren Art Director für ihre Musikvideos. Was denken Sie über Frauen-Mode von heute? Alles gut?

Ich glaube, wir haben den Glamour verloren.

Was ist denn Glamour?

Ich weiß nicht, Glam, Glam-Rock, David Bowie ist der Erfinder auf jeden Fall. Aber Glamour ist vermutlich etwas sehr Persönliches, man muss Style verinnerlicht haben, den kann man sich nicht in einem Magazin abschauen. Alle sollen tragen, was sie wollen. Ich bin tolerant. Ich mag es nicht, wenn Frauen sich nicht entsprechend ihres Alters kleiden. Mich eingeschlossen! Ich muss da aufpassen. Ich will nicht so werden, wie diese Frauen, die sich anziehen, wie ihre Teenage-Töchter.

Sie haben übrigens nicht nur das Selfie, sondern auch diese Gummi-Armbänder erfunden, die in den 90ern alle Kinder hatten. Zunächst für Madonna

Ja. Man kann meine alten Designs auch heute noch kaufen, ich habe mit dem Modedesigner Marc Jacobs vor ein paar Jahren eine Neuauflage von einigen meiner Entwürfe veröffentlicht.

Müssen Sie diese Armbänder nicht unheimlich reich gemacht haben?

Ich habe andere Menschen berühmt gemacht. Und reich. Als Madonna die Armbänder bekannt gemacht hat, wurden in China unzählige davon hergestellt, aber ich ging bankrott. Ich war mal in so einer Produktionsfirma in Providence zu Besuch und der Besitzer hat mich ausgelacht: ""Wissen Sie, wie viel Millionen wir davon verkauft haben?" Ich hätte ihn am liebsten umgebracht. Es ist schwierig, etwas patentieren zu lassen, selbst für große Firmen, man muss ja immer nur eine Kleinigkeit ändern.

Sie haben auch ein Büroklammer-Armband gemacht, das hat Virgil Abloh für die seine Off-White Kollektion kopiert.

Das habe ich gehört, ja. Es ist okay, ein Trendsetter zu sein, nur manchmal ist es auch ganz schön nervig. Aber wissen Sie was? Meine Zeit wird kommen.