Für Marius Berceas erste Einzelausstellung in Bukarest - und seine bisher größte überhaupt - ließe sich kein passenderer Rahmen denken. Schon der Weg dorthin ist leicht surreal. Im rückwärtigen Teil des (nach Ceaușescus irrem Parlamentspalast) zweitgrößten Gebäudes Rumäniens, das ehemals die Zentrale des kommunistischen Presse- und Propagandaapparats war, ist mit Scânteia+ Ende letzten Jahres ein Komplex für Galerien, Ausstellungen und Ateliers entstanden.
Ortsunkundige müssen sich zunächst ihren Weg suchen: von der majestätischen Front über etwas heruntergekommene Flure, durch schier endlose, verlassen wirkende Gänge im Untergeschoss mit gespenstischer Neonbeleuchtung zu einem großen Innenhof, der einer Industriebrache mehr ähnelt als einer Grünfläche. Von dort geht es durch einen unscheinbaren Eingang in eine 1000 Quadratmeter große Halle, die aktuell die Galerie Jecza aus Temeschwar bespielt. Berceas Ausstellung "New Tenant Sunshine Noir", kuratiert von Tevž Logar, zieht seine Inspiration aus Eugène Ionescos absurdem Theaterstück "Der neue Mieter".
Ähnlich wie dessen Protagonist, der sich von einer sich ständig füllenden Wohnung überwältigt fühlt, baut Bercea bühnenartige Räume. Diese ziehen die Betrachterin oder den Betrachter in surreale, emotional aufgeladene und gleichzeitig befremdlich kühle Kompositionen, die zwischen Realität und Fiktion schwanken: angefüllt mit einzelnen Designobjekten, Alltagsgegenständen, Zimmerpflanzen und Figuren, die selbst zu zweit vereinzelt wirken.
Imaginäre Städte, überwucherte Landschaften
Die schlaglichtartige Beleuchtung der einzelnen Werke, die wie Inseln in der abgedunkelten Halle erscheinen, vermitteln der Betrachterin oder dem Betrachter das Gefühl, selbst Teil einer Inszenierung zu sein. Allerdings einer, zu der er das Drehbuch nicht kennt.
Die zentralen Themen Entfremdung, materielle Anhäufung und existenzielle Gefangenschaft, die Ionescos Erzählung prägen, durchziehen auch die großformatigen Gemälde von Marius Bercea, die den Szenografien noch eine surreale Dimension hinzufügen. Sie zeigen imaginäre Städte, überwucherte Landschaften oder ineinander verwobene Innen- und Außenräume. Dort scheint die Zeit ein Eigenleben zu entwickeln.
Die Malereien sind hyperbolische Cappriccios, in denen sich US-amerikanische Westküsten-Szenerien mit Motiven aus Berceas transsylvanischer Heimat mischen. Dystopische Ruinenarchitektur und dräuende Berglandschaften verdichten sich zu traumartigen Sequenzen, die eine nicht genau benennbare Unbehaustheit ausstrahlen.
Fließende Übergänge
Berceas vielschichtige Kompositionen sind visuelle Metaphern für kulturelle Identität, geprägt von persönlichen Erfahrungen und gemeinsamer Geschichte. Letztere begreift er dabei nicht als abgeschlossene Erzählung, sondern als fließenden, fortlaufenden und vor allem individuellen Prozess. Realität wird durch Erinnerung, Geschichte und persönliche Erfahrung ständig neu konstruiert. Sein Fokus auf Grenzräume - zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Ruine und Wiederaufbau - passt nicht nur zu den gesellschaftspolitischen Veränderungen in Osteuropa.
Einen Schlüssel zum Verständnis seines Werks bietet ein Zusammenschnitt von Eindrücken seiner Reise mit dem Auto quer durch die USA nach Kalifornien. Er begab sich damit auf die Suche nach entfernten Familienmitgliedern, deren Vorfahren nach Amerika ausgewandert waren. Zwischen Filmaufnahmen der endlosen Straßen durch menschenleere Gegenden sind immer wieder Fotos von Werbetafelfriedhöfen geschnitten, die eine besondere Faszination auf Bercea ausüben. Was von den Versprechen der Neonreklamen in der realen Welt übrigbleibt, unterscheidet sich im Land der unbegrenzten Möglichkeiten kaum von den Ruinen des Sozialismus, der auch nie real existiert hat.
"New Tenant Sunshine Noir" ist nicht nur eine Ausstellung, sondern eine konzeptionelle Reise durch liminale Räume - jene Übergangszonen zwischen Erinnerung und Ort, Vergangenheit und Gegenwart. Für die Rückkehr in die Realität lässt man sich am besten vom Fahrdienst seiner Wahl vom Standort an der Hinterseite des Gebäudekomplexes abholen. So muss man nicht noch einmal durch die Katakomben irren.