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Pulsierende Beats, elektrisierende Bilder von Tanzenden, deren Mode durch Jahrzehnte hindurch immer noch verdammt gut aussieht. Die legendäre Videoarbeit "Fiorucci Made Me Hardcore" von Mark Leckey aus dem Jahr 1999 ist zwar ganz in ihrer damaligen Gegenwart verhaftet, aber zugleich zeitlos. Das nur 15 Minuten dauernde filmische Werk zeigt mit zusammengeschnittenem Found-Footage-Material rund 30 Jahre Subkultur und ist auch nach einem Vierteljahrhundert noch auf vielen Ebenen relevant – musikalisch, modisch und in der immer noch unbeantworteten Frage: Wohin mit dem menschlichen Erlebnishunger, wohin mit der jugendlichen Energie?
Dass Julia Stoschek die Videoarbeit schon früh für ihre Sammlung kaufte, liegt mit Sicherheit auch daran, dass die Mitte der 1970er-Jahre geborene Sammlerin sich als Kind der MTV-Kultur bezeichnet. Außerdem hat sie einen untrüglichen Geschmack bei der Auswahl ihrer Werke. Doch dieses Schlüsselwerk wurde von Julia Stoschek bislang nur einmal in einer Gruppenausstellung an ihrer Düsseldorfer Adresse gezeigt. Nun richtet sie eine große Soloschau für Mark Leckey in Berlin aus. Die Ausstellung verspricht, so ansteckend energetisch und zugleich rätselhaft wie das gesamte Werk des Turner-Preisträgers aus Nordengland zu werden. Anders als seine Londoner Altersgenossen der "Young British Artists" hat Mark Leckey nie Wert darauf gelegt, einen sofort wiedererkennbaren Stil zu etablieren.
"Bis ich 'Fiorucci' gemacht habe, wusste ich nicht, wie man Kunst macht", sagt Leckey. Nach seinem Kunststudium am Newcastle Polytechnikum hatte er sich erst zehn Jahre aus der Kunst zurückgezogen, 1999 fand er mit dem Video seinen Wiedereinstieg. "Ich konnte nur etwas machen, von dem ich weiß, und das ich aus Erfahrung kenne", sagt er. Bis heute hat er kein Atelier. Sonst würde er sich ja wie ein Künstler fühlen. Eigentlich hatte Leceky immer Musikvideos machen wollen, aber irgendwie passierte der Einstieg in die Musik nie. "In die Kunst zu gehen, hat mir dann die Möglichkeit gegeben. Ich nutzte, dass die Leute interessiert daran waren, was ich visuell machte."
Verhinderungen
Mark Leckeys eigener Weg in die Kunst war nicht so glatt. Er wurde in den 1960ern in Nordengland geboren, in einer Hafenstadt gegenüber von Liverpool namens Birkenhead. Seine Themen sind verankert geblieben im Heranwachsen dort. Sein Material ist das urbane Mobiliar der Thatcher-Ära, das Jugendlichen mit Abwehr, Verboten und Verhinderungen begegnete. Man ist zu jung für Clubs, hat zu wenig eigenes Geld für Restaurants, nirgendwo gibt es einen Ort, an dem man willkommen wäre. Doch bloß weil man unerwünscht ist, heißt das noch lange nicht, dass man nach Hause geht. Es gibt ja noch Brücken, Straßenlaternen, Wellenbrecher aus Beton, Bushaltestellen. Man findet sie bis heute in Leckeys Werken.
Immer wiederkehrend ist das Motiv des Durchbrechens der Wirklichkeit. So empfindsam Leckeys Radar für Gegenwart und Jugendkulturen stets ist, so interessant ist auch sein Blick auf mittelalterliche Ikonografie. Mark Leckey geht es gewiss um die grenzüberschreitende Ekstase, aber nicht um Eskapismus. "Mystische Erfahrungen sind keine Form von Weltflucht", erklärt er, "sondern ein intensivierter Moment hier und jetzt. Fast schon göttlich. Das ist es, wonach ich suche." In einem seiner neuen Filme, "Dazzledark", ziehen Wolken über das bewegte Meer, am Horizont leuchtet ein Vergnügungspark. Da ist Verlockung, aber auch Ungewissheit. Plötzlich ist man mittendrin zwischen blinkenden Fahrgeschäften, Leuchtschrift und Losbuden-Prämien – darunter ein Plüschtier mit riesigen Augen, eine jener Trophäen, von denen man nicht weiß, ob man sich über sie freuen soll.
Doch es wird zum Protagonisten einer irrlichternden Grenzerfahrung, es wird die Bodenhaftung und vor lauter Freude auch fast den Verstand verlieren. Mark Leckey versteht es immer wieder, aus dem Schmutz und dem Trash die Ekstase und das Göttliche hervorzubringen. "Ich möchte, dass die Welt für mich größer ist, wenn ich mir erlaube, an Potenzial und an Möglichkeiten zu glauben", sagt er. "So fühlt man sich auch als Kind, oder? Man ist überwältigt, es ist erschreckend, aber auch aufregend und spannend." Die Ausstellung "Enter Thru Medieval Wounds" zeigt in Videos, Skulpturen und Sound, wie sich Erinnerung und Vorstellungskraft über die physische Welt legen und zu ekstatischen Erfahrungen werden können – intensiv und ergreifend auch für jene, die MTV gar nicht mehr kennen.
Dieser Artikel erschien zuerst im Monopol-Sonderheft zur Berlin Art Week 2025.