Debatte
Der Gastbeitrag zur Kunstfreiheit von Wolfram Weimer in der "SZ" stößt weiter auf Abblehnung. Der Kulturstaatsminister beklagte darin eine "radikal-feministische, postkoloniale, ökosozialistische Empörungskultur" und sieht die Kunstfreiheit vor allem durch linke Kräfte bedroht (siehe unsere Medienschauen vom Donnerstag und vom Freitag). Jan Böhmermann versucht immerhin einen Satz aus dem von "Schwachsinn" strotzenden "Scheißtext" mitnehmen: "Die Korridore des Sagbaren, Erkundbaren und Darstellbaren möglichst weiten, anstatt sie zu verengen." "Ich nehme das als Auftrag hiermit offiziell an", sagte der Comedian am Sonntag im Podcast "Fest und Flauschig". "OK, dann gibt es jetzt keine Zurückhaltung mehr und nicht nur im Privaten, sondern jetzt wird der staatliche Kulturbetrieb geändert mit dieser Ansage. (...) Wir erweitern jetzt die Grenzen des Sagbaren, Erlaubtbaren, Darstellbaren, statt sie zu verengen, macht da gerne auch bei mit, und wenn sich jemand beschwert darüber, dass ihr das macht, verweist immer auf Wolfram Weimer, das ist ganz wichtig, von oben abgesegnet von einem best buddy von Friedrich Merz. Wir können wieder alles sagen, es ist soweit." In einer Zeit, in der die Meinungsfreiheit täglich von knallharter Zensur bedroht werde, "wirkt es immer absurder, sich über die sogenannte Cancel Culture aufzuregen", schreibt Medienredakteur Harald Staun in der "FAZ" zu Weimers Text. "Solange eine linksliberale Mainstreamzeitung so etwas noch druckt, kann es nicht so schlimm um die Meinungsvielfalt bestellt sein. Man kann wirklich nicht mehr hören, dass man nichts mehr sagen darf." Nicht nur nervig und unterkomplex findet Sven Lehmann, Vorsitzender des Kulturausschusses des Bundestags, den Weimer-Beitrag, sondern auch "politisch gefährlich". "Die Gleichsetzung linker und rechter Diskurse im Muster der Hufeisentheorie, in der die Ränder sich näherstehen als der Mitte, verkennt die politische Realität rechtsextremer Bedrohungen", schreibt der Grünen-Politiker in einer Replik ebenfalls in der "SZ". "Wer feministische oder antirassistische Bewegungen, die sich für Gleichberechtigung und Teilhabe einsetzen, pauschal als ideologisch motivierte Bedrohung für die Kunstfreiheit darstellt, leistet letztlich jener Polarisierung Vorschub, vor der Weimer selbst warnt. Und die zu verhindern unsere Aufgabe als Politikerinnen und Politiker in den kommenden Jahren sein wird, wenn wir ein weiteres Erstarken des Rechtsextremismus verhindern wollen."
Kunstmarkt
Im "Handelsblatt" berichtet Stefan Kobel nach einem ersten Artikel in Monopol noch enmal ausführlicher über die Übernahme der Artnet AG durch die Investmentfirma Beowolff Capital – den laut Kobel größten Fusionen-und-Übernahmen-Deal in der Geschichte des deutschen Kunstmarkts. Der ehemalige Goldman-Sachs-Banker Andrew E. Wolff, der bereits im April den Artnet-Konkurrenten Artsy übernommen hatte, hält nun über seine Firma SCUR-Alpha 1849 GmbH (zukünftig Leonardo Art Holdings GmbH) rund 66,6 Prozent der Anteile an Artnet. Möglich wurde die Übernahme, weil sowohl die Gründerfamilie Neuendorf als auch der bisherige Großaktionär Rüdiger K. Weng ihre Anteile verkauften. Laut Kobel strebt Wolff ein Delisting der Aktien sowie die Integration von Artnet und Artsy in ein "vernetztes Ökosystem" an. Artnet-CEO Jacob Pabst sieht darin einen entscheidenden Schritt für Innovation und Produktentwicklung. Weng hingegen spricht davon, dass Artnet "ausgenommen" worden sei und nur die Marke überleben werde. Die Branche stehe laut ihm vor einem grundlegenden Wandel hin zu mehr Digitalisierung und Finanzmarktorientierung. Kobel ist skeptisch: Wenn diese Wette auf die Zukunft aufgeht, bedeute das "nichts Gutes für das klassische Betriebssystem Kunstmarkt mit seinen Galerien und Messen".
Zum 1. Juli 2025 schließt die Galerie Klüser in München – und mit ihr eine der einflussreichsten Adressen für zeitgenössische Kunst in Deutschland. Wie Brita Sachs in der "FAZ" berichtet, beendet Bernd Klüser seine Tätigkeit anlässlich seines 80. Geburtstags. Seit 1978 prägte er mit Künstlern wie Joseph Beuys, Andy Warhol oder Sean Scully die Kunstszene und öffnete Münchens Museen für progressive Positionen. Ab den 1990ern erweiterte Tochter Julia Klüser das Programm um jüngere Namen. Die letzte Ausstellung zeigt Werke von Sean Scully. Langweilig wird es Klüser nicht: Er will weiterhin verbliebene Bestände betreuen und sich mit seiner Frau der eigenen Sammlung widmen, die Meisterzeichnungen aus fünf Jahrhunderten umfasst – darunter Raritäten wie ein Blatt von Giorgione, zuletzt in der Alten Pinakothek zu sehen.
Der Kunsthändler Oghenochuko Ojiri wurde laut "BBC News" zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt, weil er Kunst an den mutmaßlichen Hisbollah-Finanzier Nazem Ahmad verkaufte, ohne dies wie gesetzlich vorgeschrieben offenzulegen. Die Verkäufe im Wert von rund 140.000 Pfund erfolgten trotz US-Sanktionen gegen Ahmad. Ojiri hatte dessen Namen auf Dokumenten verschleiert, obwohl er laut Polizei über dessen Hintergrund informiert war. Die Richterin sprach von einem schweren Verstoß gegen das Terrorismusgesetz, der die Aufklärung von Terrorismusfinanzierung erschwert habe. Ojiri betonte, aus Naivität gehandelt zu haben. Es ist die erste Verurteilung dieser Art in Großbritannien. Oghenochuko Ojiri wurde durch seine Auftritte als Kunstexperte in der beliebten BBC-Sendung "Bargain Hunt" einem breiten Fernsehpublikum bekannt.
Documenta
Beim 70-jährigen Jubiläum der Documenta trafen sich die Kuratorinnen und Kuratoren Roger M. Buergel, Carolyn Christov-Bakargiev, Adam Szymczyk und Naomi Beckwith zur Podiumsdiskussion in der Documenta-Halle. Wie Sophie Jung in der "taz" berichtet, wurde viel über die Bedeutung der Documenta als dynamischen Ort gesprochen – ein "Rahmenwerk", ein Spiegel der Gegenwart, kein starres System. Doch das Kollektiv Ruangrupa, verantwortlich für die umstrittene Documenta 15, fehlte. Kritik an Medien und Kunstbetrieb wurde geäußert, aber zentrale Fragen zum Umgang mit politischer Kunst seien unbeantwortet geblieben. Raum für andere Perspektiven, so Jung, habe gefehlt – auch wenn ihre Spuren in Kassel weiter sichtbar seien. Zum Jubiläum sind in der Stadt auch die "7000 Palmen" von Cosima von Bonin zu sehen. Wie Eva-Maria Magel im Lokalteil der "FAZ" berichtet, erinnere das Projekt nicht nur an Beuys' "7000 Eichen", sondern wolle auch neue Documenta-Orte schaffen. Naomi Beckwith, Kuratorin der Documenta 16, sehe Kassel trotz globaler Kunstzentren weiterhin als zentralen Ort kuratorischer Erneuerung. Politiker wie Kunstminister Timon Gremmels und OB Sven Schoeller lobten ihre Vision als Brückenschlag nach dem Skandal um die Documenta 15. Die Veranstalter betonten die Neuausrichtung der Institution – mit Code of Conduct, wissenschaftlicher Begleitung und öffentlicher Einbindung.
Das besondere Kunstwerk
Zum 30. Jahrestag der Reichstagsverhüllung von Christo und Jeanne-Claude soll eine Lichtprojektion das einstige Kunstereignis ehren – für Kritiker Hanno Rauterberg bleibt sie jedoch weit hinter den Erwartungen zurück. Von einem "visuellen Orgasmus" wie ihn der Initiator Vladimir Yavachev angekündigt hatte, sei jedenfalls nichts zu spüren gewesen. Rauterberg beschreibt in der "Zeit" die Projektion als blass, zittrig und technisch bemüht – ohne jene Magie, die 1995 Millionen bewegt habe. Während damals die Verhüllung das Gebäude vollständig entmaterialisiert habe, bleibe es heute sichtbar und schwer. Von einer "Auferstehung Christos" könne keine Rede sein, vielmehr sehe man den Versuch, mit Digitaltechnik ein unerreichbares Original zu imitieren. Der Autor hält den Vergleich für tröstlich: Denn gerade das Scheitern der Kopie zeige, wie einzigartig Christos Kunst war.