Medienschau

"Das ganze Kulturleben ist unter Vorbehalt"

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Erlebnisse aus einem Kulturzentrum im Libanon, der Wettstreit zwischen den Kunststädten London und Paris, und die Post Internet Art geht offline: Das ist unsere Medienschau am Dienstag


Debatte

In der "Süddeutschen Zeitung" spricht Moritz Baumstieger mit der deutschen Filmemacherin Monika Borgmann, die im Süden von Beirut das Kulturzentrum Hangar betreibt. Auch der Bunker der Hisbollah, in dem unter anderem deren Führer Hassan Nasrallah bei einem israelischen Luftschlag getötet wurde, liegt ganz in der Nähe. Borgmann, die erstmals 1986 in den Libanon reiste, erzählt, dass sie und ihr verstorbener Mann ihre Institution bewusst in diesem Teil der Hauptstadt aufgebaut haben. "Wir wollten versuchen, die mentalen Grenzen zu überwinden, die es in Beirut noch immer gibt und die sich in unsichtbare geografische Grenzen übersetzen: Wir wollten Menschen dazu bringen, für Filmvorführungen oder Ausstellungen in eine Gegend zu kommen, in die sie normalerweise nicht fahren. Unsere Nachbarn sind nicht alle pro Hisbollah, zu uns kamen Diplomaten, schiitische Geistliche, die Kulturszene aus der Beiruter Innenstadt, Palästinenser aus den nahen Lagern, diese Leute treffen sich normalerweise nicht. Und so konnten Gespräche entstehen, die in diesem Land sonst oft leider unmöglich sind." Seit Beginn des Gaza-Kriegs finde alles kulturelle Leben "unter Vorbehalt" statt, sagt Borgmann. "Über die Monate wuchs dann in mir das Gefühl, dass ich weder die Geisel der Entscheidungen von Herrn Netanjahu sein möchte noch von denen von Hassan Nasrallah. Anfang Juni haben wir die Ausstellung eröffnet. Und auch andere Kulturinstitutionen, die zunächst eher wie gelähmt waren, wurden wieder aktiv." Sie wolle "dem Kult des Todes eine Kultur des Lebens entgegensetzen." 

 

Museen

Im Januar hat der Nachfolger des deutschen Direktors Eike Schmidt in den Uffizien in Florenz sein Amt angetreten: Simone Verde, der laut Andreas Rossmann in der "FAZ" eine "dezidiert linke Biographie" aufzuweisen hat. Erstaunlich, denn während zwei Meloni-Jahren sei es sonst bei allen Besetzungen erstrangiger Kulturinstitutionen um politische Verbundenheit gegangen, und Verde, 1975 in Rom geboren, bringe ausnahmsweise "keine Nähe zur postfaschistischen Macht mit". Auch seine bisherige Karriere ist interessant. Simone Verde war Tänzer, Journalist, Kurator und Fernsehproduzent sowie Mitarbeiter des früheren Vorsitzenden des Partito Democratico Walter Veltroni. Zuletzt hatte der Tausendsassa den Palazzo della Pilotta in Parma geleitet. In Florenz hat er Großes vor, wie Rossmann berichtet: "Den größten Zukunftsschritt wagt Simone Verde mit einem Zentrum für Museumsstudien, das im Casino del Cavaliere in den Boboli-Gärten entstehen und zum Ort der Begegnung und des Austauschs für Wissenschaftler aus der ganzen Welt werden soll". Der neue Direktor wird wie folgt zitiert: "Die Uffizien können die Rolle eines nationalen Referenzmuseums in der Welt spielen wie der Louvre für Frankreich und das British Museum für das Vereinigte Königreich, doch dafür müssen wir ihre Substanz als eigene museologische Enzyklopädie in ein Forschungsinstrument überführen." Das Monopol-Interview mit Simone Verde lesen Sie hier


Das Fotozentrum Fotografiska hat seinen New Yorker Standort geschlossen. Das private Ausstellungshaus, das im September 2023 auch eine Dependance im Kunsthaus Tacheles in Berlin eröffnete, hatte schon im Frühjahr angekündigt, innerhalb New Yorks umziehen zu wollen und das mit der "strategischen Entwicklung des Museums" begründet. "Da es klar geworden ist, dass unsere derzeitigen Räumlichkeiten dieser Vision nicht förderlich sind, bleibt unser Engagement für die Kunstszene der Stadt unerschütterlich", sagte Yoram Roth, geschäftsführender Vorstandsvorsitzender von Fotografiska, in einer Erklärung vom Mai. Wie "Hyperallergic" jetzt berichtet, sind dutzende Mitarbeitende betroffen, auch habe Fotografiska bislang noch keinen neuen Standort bekannt gegeben. Isa Farfan schreibt außerdem, dass neben strategischen auch wirtschaftliche Gründe eine Rolle gespielt haben könnten. "Während sich das Museum seit seiner Eröffnung im Jahr 2019 mit 'starken Ticketverkäufen' und 'einer sehr engagierten Mitgliederbasis' rühmte, wird in einer öffentlichen Bekanntmachung der Abteilung Worker Adjustment and Retraining Notification (WARN) des New Yorker Arbeitsministeriums vom Mai der Grund für die Schließung als 'wirtschaftlich' angegeben und erklärt, dass 137 der 189 Mitarbeiter der Einrichtung betroffen sein werden. Ein Sprecher von Fotografiska äußerte sich nicht unmittelbar zu dem WARN-Dokument, bestätigte aber, dass das Museum sein Personal im Vorfeld der Schließung auf ein 'Kernteam' reduzieren werde." Wann und wie es in New York weitergeht? "Der Sprecher lehnte es ab, sich zu einem Zeitplan oder dem Status des Umzugs zu äußern und sagte, der Prozess sei noch nicht abgeschlossen."


Kunstmarkt

In der "Welt" blickt Marcus Woeller auf die kommende Frieze London. Während es Ableger der Messe in New York, Los Angeles und Seoul gebe, sei "das Original in der Kunsthandelsmetropole London (...) ein wenig in die Jahre gekommen", deshalb wolle Eva Langret, Direktorin des Events seit 2019, "die fünftägige Messe am 9. Oktober 2024 aufgefrischt eröffnen: mit mehr Fenstern im Zelt, mehr Tageslicht in der Ausstellung und mehr Ausblicken in den Park". Das seit 2003 genutzte Monumentalzelt im Regent’s Park habe Langret "von der im Kunst- und Galeriebetrieb sehr beliebten Architektin Annabelle Selldorf aufräumen lassen", so Woeller. Großbritannien ist zwar immer noch der größte Kunstmarkt in Europa, Paris wird allerdings besonders nach dem Brexit bei Galerien und Sammlern immer beliebter. Für die Frieze-Direktorin offenbar kein Grund zur Beunruhigung: "Paris und London haben eine Verbindung, und es gibt genug Platz für beide Städte, um zu glänzen", sagt die Französin Langret. "Paris hat zuletzt große Aufmerksamkeit bekommen, das schafft eine interessante Situation. Wir haben viele Sammler, die beide London und Paris nacheinander besuchen wollen."


Post Internet Art

Was machen eigentlich Ryan Trecartin und Lizzie Fitch so? Die Kunstkollaborateure galten einst als Speerspitze der sogenannten Post Internet Art und waren nicht zuletzt auch in Berlin sehr präsent: durch eine Ausstellung in den KW etwa oder durch ihre Teilnahme an der vom Kollektiv DIS kuratierten Berlin Biennale 2016. Kurz darauf erwarben Trecartin und Fitch 32.000 Hektar Land samt Scheune in der Nähe von Athens im US-Staat Ohio, das sie langsam in eine Kombination aus Wohnort, Filmstudio und Wasserpark umbauen – und wo sie jetzt Besuch von der "New York Times" erhielten. "Das Tempo ihrer Arbeit hat sich in Ohio erheblich verlangsamt. Überraschenderweise verbringt keiner der beiden Künstler, die vor allen anderen verstanden haben, wie das Internet unsere Gehirne neu verdrahtet, mehr viel Zeit online", schreibt John Chiaverina. "Fitch, die auch eine diskrete bildhauerische Praxis unterhält, bezeichnet den Höhepunkt der Pandemie als die 'Auszeitjahre' des Duos. In dieser Zeit ging sie viel 'spazieren, las und sah fern' und verbrachte nur sehr wenig Zeit im Internet. Es machte ihr Spaß, an kreativen Projekten ohne festen Endpunkt zu arbeiten. Schließlich bekam sie einen Job bei der Post. Trecartin veredelte Bäume in einer Art Mutanten-Bonsai-Stil; er zeichnete; er führte Biohacking-Experimente an seinem Körper durch, von denen einige dem Altern entgegenwirken sollten. Beide Künstler arbeiteten an Projekten für ihre größere Freundesgruppe. Sie haben nicht mehr so viel verdient wie in den vergangenen Jahren. 'Wenn viel Geld reinkommt, finanzieren wir das Projekt eines Freundes, schmeißen eine Party für unsere Freunde oder fliegen Leute zu irgendetwas aus', sagt er. Viele Mitglieder von Trecartins Umfeld haben auf sein Drängen hin dieselbe Hellseherin aufgesucht, eine kürzlich verstorbene Frau aus Philadelphia, die als Cosmic Jackie bekannt ist und Trecartin sagte, dass die Zeit zwischen 2019 und 2025 mit finanziellen Schwierigkeiten verbunden sein würde." Auch offline kann man offenbar jede Menge Spaß haben.


Ausstellung

Ein ausführliches, reich bebildertes Porträt widmet die "NZZ" dem japanischen Fotografen Daido Moriyama, dessen Werk jetzt im Photo Elysée in Lausanne ausgestellt wird. "Seine Bilder sind verwackelt, unscharf und grobkörnig. Und man weiss oft nicht, was eigentlich das Motiv ist, das Daido Moriyama ins Visier seiner Fotokamera nehmen wollte. Das Sujet ist in diesen Schwarz-Weiss-Aufnahmen manchmal so sehr aus dem Fokus gerutscht, dass man sich fragt, was dieser als Fotostar gefeierte Japaner eigentlich von Fotografie versteht", schreibt Philipp Meier. Gerade im Rauschhaft-Dynamischen aber gründe die große visuelle Intensität des Straßenfotografen. "Moriyama ist in Städten wie Tokio, aber auch in New York, Paris und London Hunderte von Kilometern abgelaufen. Er hat Tausende von Aufnahmen von Gebäuden, Leuchtreklamen, Passanten und Hotelzimmern gemacht: eine chaotische, hypnotisierende Welt voller Produkte, Waren, Spiegel, Reflexionen – die grelle urbane Welt des Konsums." Moriyama künstlerischer Pioniergeist zeigt sich zugleich in formalen Experimenten, Vergrößerungen, Fragmentierungen, dem Arbeiten gegen das eigene Medium oder zumindest die Erwartungen, die an den Fotojournalismus herangetragen werden. "Diese Naivität, zu glauben, man könne womöglich Meisterwerke erschaffen; dieser naive Humanismus, zu versuchen, den Menschen durch die Kunst, die man macht, helfen zu können – das ist mir einfach zu optimistisch", hat der mittlerweile 86-Jährige einmal gesagt.