Kulturpolitik
Nach dem eher unherzlichen Empfang für den neuen Kulturstaatsminister Wolfram Weimer in der Kunstszene versuchen sich die Feuilletons jetzt vermehrt an der charakterlichen Ergründung des 60-jährigen Publizisten. So fragt Nils Markwardt in der "Zeit", was denn nun stimme: Ist Weimer ein "rechtskonservativer Scharfmacher", wie es in einer Petition gegen ihn heißt, oder doch ein "Kulturverfechter", wie er selbst sagt? Für die Antwort zieht der Autor die früheren Bücher des Neupolitikers heran und findet dort "eine krawallige Form des heutigen Konservatismus, der sich permanent in Widersprüche verheddert". So diagnostiziert er bei Weimer eine Kritik am empfundenen ständigen Alarmismus in Deutschland, während er selbst das "Abendland" durchgehend in rasantem Niedergang sehe. Dabei scheue er sich auch nicht, auf problematische Denker zu verweisen. "Gleichzeitig stimmt aber auch: Die Bücher sind am Ende keine verkappten AfD-Pamphlete. Trotz allem steckt in ihnen ebenso eine Affinität zum vereinten Europa, zur christlichen Botschaft sowie zum liberalen Humanismus. Es wirkt vielmehr so, als ob zwei Spielarten des Konservatismus permanent miteinander ringen. Hier die Idee vom wirtschaftsliberalen Bildungsbürgertum, dort der Hang zum rechtsdrehenden Kulturkampf. Dadurch verweisen Weimers Bücher auch auf ein Problem, das den zeitgenössischen Konservatismus heute als Ganzes begleitet."
In der "Süddeutschen Zeitung" erinnert sich der Autor Peter Littger an seine gemeinsame Zeit mit Wolfram Weimer, als dieser Anfang der 2000er-Jahre das Politikmagazin "Cicero" gründete. Dabei diagnostiziert der ehemalige Weggefährte bei seinem einstigen Chef einen Hang zur Vereinfachung: "Während Weimer mit Anzug und Krawatte vorgab, 'eine neue Ernsthaftigkeit' zu liefern und gegen die Ironie und das Beiläufige wetterte – zwei wichtige Zutaten des Journalismus, by the way zum Beispiel im 'New Yorker' und sehr britisch im 'Economist' –, mussten wir damit zurechtkommen, dass seine Vorstellung von Ernsthaftigkeit weniger von intellektueller Sorgfalt und ideologischer Aufgeschlossenheit als von Bekenntnissen geprägt war – unerschütterlich, oberflächlich, penetrant." Er schließt den Artikel mit einer Anekdote, die wohl belegen soll, wie nahe er Weimer damals gekommen ist und wie distanziert er gleichsam auf diese Nähe zurückschaut. "Wenn heute die Frage gestellt wird, welches Kunstverständnis der Kulturstaatsminister Weimer besitzt und ob er früher mit einem in Erscheinung getreten ist, kehrt noch einmal meine Erinnerung an sein damaliges Haus in Potsdam zurück. Dort hingen sehr viele, ich möchte sagen, fast ausschließlich Bilder, die er selbst gemalt hatte: zehn, 15, vielleicht 20 abstrakte Zeichnungen und Gemälde. Er erklärte, er schenke seiner Frau jedes Jahr eines zum Geburtstag. Der Anblick entlarvte in meinen Augen Weimers größten Tick: Was interessiert mich die Kunst der anderen? Der Künstler bin ich!"
Gerade präsentiert sich Chemnitz stolz als europäische Kulturhauptstadt - und das bisher mit Erfolg, wie man hört. Doch hinter der internationalen Aufmerksamkeit versteckt sich auch eine Hiobsbotschaft, wie Julian Weber in der "Taz" beschreibt. Denn außerhalb der gesicherten Finanzierung für das Kulturhauptstadtjahr sollen in Chemnitz bei der Kultur rund 25 Prozent gespart werden. Um dagegen zu protestieren, haben Kunstschaffende aus der freien Szene am Wochenende ein leerstehendes Theater besetzt: Dazu schreibt Weber: "In einem Manifest verkündet die Besetzergruppe ausdrücklich, dass sie das Europäische Kulturhauptstadtjahr begrüßt, aber die Sparmaßnahmen und die dadurch grassierende Unsicherheit in Chemnitz missbilligt. 'Was wir heute einsparen, kostet uns die Zukunft.' Sie zitieren den CDU-Politiker Richard von Weizsäcker: 'Kultur ist kein Luxus, den wir streichen können, sondern der geistige Boden, der unsere eigentliche innere Überlebensfähigkeit sichert.' Das möchte man auch dem neuen Kulturstaatsminister Wolfram Weimer über seine Zirbelstube am Tegernsee als Botschaft nageln."
Nachrufe
Kurz vor der Bekanntgabe ihres Konzepts für die kommende Venedig-Biennale ist die aus Kamerun stammende designierte Kuratorin der Großausstellung Koyo Kouoh überraschend gestorben. Der "schon sehr einsilbig gewordene Dialog" zwischen Europa und dem Globalen Süden "hat eine seiner wichtigsten Protagonistinnen verloren", schreibt Jörg Häntzschel für die "Süddeutsche Zeitung" in einem Nachruf auf die Leiterin des 2017 eröffneten Zeitz Museum of Contemporary Art Africa in Kapstadt – das seit Kouohs Übernahme im Jahr 2019 "zu seinem aktuellen Erfolg" fand, wie der Autor feststellt. Auch international wird Kouoh gewürdigt: Alex Marshall und Roslyn Sulcas nennen sie in der "New York Times" beispielsweise eine der "prominentesten Figuren der globalen Kunstwelt". Mit Verweis auf ihren Mann als Quelle geben die beiden eine erst kürzlich diagnostizierte Krebserkrankung als Todesursache an. Im Artikel heißt es weiter: "Frau Kouoh erwarb sich einen weltweiten Ruf als Fackelträgerin für Künstler of color aus Afrika und anderen Ländern, obwohl ihre Interessen global ausgerichtet waren."
Zu beklagen ist auch der Tod von Carl Hegemann. Der aus Paderborn stammende, zuletzt vor allem mit der Berliner Volksbühne verbundene Dramaturg, Theaterschaffende, Autor, Hochschullehrer und Vater der Autorin Helene Hegemann starb am vergangenen Freitag in Berlin. "Etwas Spielerisches war in allem, was Carl Hegemann tat und sprach", würdigt ihn Peter Kümmel auf "Zeit Online". "Den Dramaturgen, den Theatermann, den listigen In-Theaterfoyers-Herumsteher und Das-Kunstbiotop-Beäuger spielte er mit Genuss". Und: "Wenn die Stadt Berlin eine Theaterstadt ist", zitiert Kümmel den Verstorbenen, "dann gibt es keinen Grund, warum hier nur Architekten bauen, im Monumental-Stil oder im Adlon-Stil. Dann müssen auch Bühnenbildner in der Stadt wirken." Hegemanns Tod kam überraschend, schreibt Jakob Hayner in der "Welt". Er könne nun nicht sein neues Buch "Zum Kunstwerk werden" vorstellen, das er gemeinsam mit Boris Groys verfasst hat. Die beiden "waren ein vertrautes Duo, viele Gespräche zwischen ihnen wurden veröffentlicht, darunter eines aus der Corona-Zeit von – für die damalige Zeit – seltener Klarheit". Ansonsten habe Hegemann "eine aufregende Mischung aus deutschem Idealismus" aus dem Studium in Frankfurt am Main mitgebracht, so Hayner: "Wenn Hegemann loslegte, kam er von Hölderlin über Marx bis zu 'The Matrix'. Er ließ die Tradition des Geistigen lebendig werden und mit der Gegenwart zusammentreffen. Als Dramaturg war er kein stiller Zuarbeiter der Regie, sondern die Instanz, die über das Verhältnis von Theater und Welt, von Realität und Schönheit Auskunft zu geben hatte. Und das konnte manchmal dauern, war jedoch stets erkenntnisreich."