Meehye Lee in Leipzig

Der Geschmack der Digital-Elite

Im Social-Media-Zeitalter wollen alle individuell sein, aber auch dazugehören. Dieses Phänomen nimmt die koreanische Künstlerin Meehye Lee in Leipzig klug auseinander. Mögen wir wirklich alle dasselbe?

Auf Social Media wird häufig etwas in sehr kurzer Zeit wahnsinnig populär. Was gestern völlig unbekannt war, geht heute viral und wird plötzlich von allen gekannt. Das passiert mit Bildern und Videos (wenn sie zum Meme werden), aber auch mit Personen, Orten, Ereignissen oder Diskursen. Für diese Instant-Berühmtheit gibt es hierzulande keinen Begriff, in Südkorea allerdings schon: 국민 (Kookmin) – das sich mit 'national' übersetzen lässt, aber in dem Zusammenhang nicht die Nationalität meint, sondern 'landesweit' oder 'um sich greifend'.

In der von Hyejin Park kuratierten Ausstellung "I Do What You Do What They Do" wird ein Werkkomplex von Meehye Lee gezeigt, der sich mit ebendieser Popularitäts-Kultur auseinandersetzt. Seit 2010 arbeitet die Künstlerin an ihrer Serie "National Taste", für die sie beliebte Sujets auf Bildern und Videos aus den Sozialen Medien identifiziert und kategorisiert.

In ihrem "National Tastes Catalogue" – einem an Versandkataloge erinnernden Künstlerbuch – hat sie eine Auswahl von wiederkehrenden Objekten und Design-Gegenständen versammelt: Neben einem Luftreiniger, der vor allem in südkoreanischen Haushalten beliebt ist, finden sich darunter auch eine Handcreme von Aesop und Designklassiker von Kartell. Dabei fällt ins Auge, wie erstaunlich global und interkulturell der Gegenwartsgeschmack der Digitalelite ist.

"Kookmin" scheint strukturell zu sein

Was Südkorea fraglos einzigartig macht, ist der immense sozioökonomische Wandel im Zuge der Industrialisierung in den letzten drei Jahrzehnten. Vor diesem Hintergrund scheint kookmin gewissermaßen strukturell zu sein, man denke nur an die sogenannte "Koreanische Welle": von Kimchi bis BTS – all das ist ziemlich kookmin. Doch die Arbeiten von Meehye Lee gehen über diesen spezifischen kulturellen Kontext hinaus, sie verdeutlichen vielmehr, dass es sich dabei auch um eine generelle Grundstruktur Sozialer Netzwerke handelt. Weltweit und permanent werden auf Instagram, TikTok und Co. solche Instant-Popularitäten erzeugt, resultierend aus dem Bedürfnis, individuell zu sein, aber eben auch dazugehören zu wollen, Teil einer Bewegung oder Community zu sein.

Die Dynamik von Trends basiert, wie Georg Simmel schon sagte, auf dem Prinzip der "Nachahmung eines gegebenen Musters und genügt damit dem Bedürfnis nach sozialer Anlehnung". Gleichzeitig befriedigt sie aber auch das "Unterschiedsbedürfnis, die Tendenz auf Differenzierung". Mittlerweile findet das alles in stark beschleunigter Weise statt.

Im Zentrum der Ausstellung steht die Arbeit "national-d", Teil davon ist ein nachgebauter Selfie-Spot, der sich eigentlich auf der südkoreanischen Urlaubs-Insel Jeju-Do befindet. Wer mit K-Dramen halbwegs vertraut ist, dürfte die touristische Vulkaninsel kennen. Küstenlandschaften, Wälder, Wasserfälle – es gäbe dort viele Orte, an denen sich ein denkwürdiges Selfie für Instagram machen ließe. Doch die Wege von Influencern und all jenen, die es gerne wären, sind manchmal unergründlich. So ist ein überaus beliebter Fotospot das an der grauen Außenfassade befindliche schlichte d-Logo des Interieur-Stores "d&department".
 

Meehye Lee "I Do What You Do What They Do", Installationsansicht in der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig
Foto: Alexandra Ivanciu


Die eigene Inszeniertheit

Auf einem Video kann man der Selfie-Praxis am Originalort in Jeju-Do zuschauen, an der gegenüberliegenden Wand sind um die 1000 Bilder aus den Sozialen Medien angebracht, auf denen Personen zwar in immer neuen Varianten, aber doch wie nach einer Regel, vor dem großen "d" posieren. Dass die Selfie-Praxis durchaus auch eine Disziplin ist, die man mehr oder weniger gut beherrschen kann, wird im letzten Teil der Installation deutlich: Für einen Wandtext hat Meehye Lee aus diversen Tipps von Influencern zehn Regeln für das perfekte Bild herausgearbeitet. Die erste ist leitgebend: "Wenn alle ein Foto machen, dann mach ebenfalls eins. Denn es gibt mit Sicherheit einen Grund."

Man könnte sehr lange über die einzelnen Regeln nachdenken und schreiben, sie verraten viel über Selbstdarstellung in den Sozialen Medien, insbesondere die beanspruchte Authentizität, ja die rhetorische Kunst, die eigene Inszeniertheit zu verbergen. Das ist die große Stärke von den Arbeiten Meehye Lees: Sie erfassen die digitalen Phänomene präzise, sind aber dennoch subtil und offen, was die Bedeutung und die Bewertung dergleichen betrifft. Man kann in ihrer Installation eine Kritik an der gegenwärtigen digitalen Konsumkultur lesen, an dem damit verbundenen Konformitätsdruck oder an der manipulativen Qualitäten der Inszenierung von Influencern.

Aber diese Perspektive ist nicht verpflichtend. Die Künstlerin verharrt auch nicht im kulturpessimistischen Blick auf unsere Gegenwartskultur, sondern regt im nachgebauten Fotospot zur eigenen Partizipation an. Lässt man sich darauf ein, muss man sich selbst der Frage stellen, ob man die Regeln einhält, um es den Vorgängerinnen und Vorgängern gleichzutun, oder ob man mit ihnen bricht, um sich von ihnen zu unterscheiden. Man ist mit den ganz persönlichen Ängsten, Wünschen und Begehrlichkeiten im Social-Media-Zeitalter konfrontiert, in dem Aufmerksamkeit und Popularität nicht mehr die Ausnahme von der Regel, sondern selbst zur Regel geworden sind. Meehye Lee findet in ihren konzeptuellen Arbeiten sehr pointierte Darstellungen dafür.